Niemand will das Parlament auflösen
Die Initiative «Update Schweiz» wollte einen politischen Neustart. Doch sie stösst auf wenig Begeisterung.
Veröffentlicht am 29. April 2024 - 17:53 Uhr
Es hätte der Startschuss sein sollen für ein spektakuläres Projekt. Doch nun ist der Auftakt vertagt. Die Volksinitiative mit dem Arbeitstitel «Update Schweiz» für eine Totalrevision der Bundesverfassung verzögert sich. Die Unterschriftensammlung findet vorerst nicht statt.
Daniel Graf, Polit-Campaigner und einer der Initianten, sagt: «Wir sind stark. Aber noch zu schwach, um den historischen Schritt zu wagen.»
Eine Totalrevision der Bundesverfassung per Volksinitiative gab es noch nie. Eine Chance, sagt Mitinitiant Michel Huissoud, ehemaliger Chef der Eidgenössischen Finanzkontrolle. Denn die aktuelle Bundesverfassung sei veraltet, ein Flickwerk dazu, mit zahlreichen blinden Flecken – etwa in den Bereichen Digitalisierung, Demografie oder Klimaschutz.
Bundesrat und Parlament sollen aufgelöst werden
Statt mühsam mittels Volksinitiativen einzelne Artikel anzupassen, wollen die Initianten den grossen Wurf. Heisst konkret: 100’000 Unterschriften für eine Gesamterneuerung. Ein Ja an der Urne würde zur Auflösung des Parlaments und des Bundesrats und zu Neuwahlen führen. Das neue Parlament würde dann die neue Bundesverfassung erarbeiten – unter Beteiligung von Wissenschaft und Bürgerräten. So weit der Plan von Graf und Huissoud.
Es sollte ein Gemeinschaftsprojekt sein. Oder wie es Graf gegenüber dem Beobachter formulierte: ein «Fest der Demokratie».
Allgemeine Verunsicherung und «Demokratie-Angst»
Nur hat offenbar niemand so recht Lust mitzufeiern. Man habe seit der Präsentation der Idee im März 2023 Hunderte von Gesprächen geführt, sagt Graf. Das Interesse sei da. Aber die Bereitschaft, mitzumachen und sich finanziell oder ideell hinter das Projekt zu stellen, sei vor allem bei politischen Akteuren noch kaum vorhanden, heisst es in einer Mitteilung.
Als Hauptgrund nennt Graf eine allgemeine Verunsicherung, die lähmend wirke. Er nennt das Vertrauensverlust oder: «Demokratie-Angst». Angesichts der zahlreichen Krisen und Konflikte weltweit sei den Leuten die Vorstellung eines Neustarts nicht geheuer.
«Dafür brauchen wir keine Totalrevision»
Stimmt Grafs Vermutung mit dem Verlust des Vertrauens in die Demokratie? Der Beobachter hat nachgefragt.
Politische Stimmen zeigen sich ablehnend bis skeptisch. «Wenn jemand Handlungsbedarf in den Bereichen Digitalisierung, Klima et cetera sieht, soll er oder sie in diesem Bereich eine Volksinitiative lancieren», findet Andri Silberschmidt, Vizepräsident der FDP. Thomas Aeschi, SVP-Fraktionspräsident im Nationalrat, sieht das auch so und sagt: «Dafür brauchen wir keine Totalrevision.»
«Was die Menschen aktuell wollen, ist Stabilität.»
Philipp Bregy, Nationalrat Mitte
Philipp Bregy, Fraktionspräsident der Mitte aus Naters VS, sagt, er habe unlängst erlebt, wie die Walliser Bevölkerung eine «progressive Totalrevision der Kantonsverfassung» an der Urne ablehnte. «Die Instrumente Initiative und Referendum sind intakt und beliebt», sagt Bregy. Das Beispiel Wallis zeige jedoch: «Was die Menschen aktuell wollen, ist Stabilität.»
Corina Gredigs (GLP) Einwand zielt auf die Gleichzeitigkeit, mit der im Fall einer Totalrevision unterschiedlichste Dossiers bearbeitet würden. «Wenn in der neuen Verfassung eine strengere Migrationspolitik drinnen ist, mehr Geld für den Klimaschutz und ein höheres Rentenalter – was soll ich denn da stimmen? Ja oder nein? Wenn über verschiedenste Anliegen gleichzeitig abgestimmt werden müsste, könnte der einzelne Bürger seinen Willen gar nicht zum Ausdruck bringen.»
«Keine offizielle Anfrage»
Samira Marti, Co-Präsidentin der SP-Fraktion, sagt, die Partei fokussiere zurzeit auf die Prämieninitiative, über die am 9. Juni abgestimmt wird und «die auch eine Revision der Verfassung fordert». Über die Unterstützung von Initiativen und Projekten entscheide grundsätzlich der Parteirat oder Parteitag. Bislang sei ihr allerdings keine offizielle Anfrage bekannt, so Marti.
Das Stimmungsbild zeigt: In der Politik stösst die Idee, den eigenen Posten zu räumen und sich einer möglichen Neuwahl zu stellen, auf wenig Gegenliebe. Kritik zielt auf die Radikalität des Vorhabens. Die Skepsis auf die fehlende Erfahrung im Umgang mit einer Totalrevision, angestossen vom Stimmvolk.
Für die Initianten ist das Projekt trotzdem nicht vom Tisch. Daniel Graf betont, dass das Initiativprojekt fortgeführt werde, jedoch ein Strategiewechsel nötig sei, um es breiter abzustützen. «Die Zeit arbeitet für uns», ist Graf überzeugt.