Kantonsschüler in St. Gallen dürfen künftig 25 Minuten später zur Schule. Auf Initiative der Schülerorganisation und des Schularztes hat die Schulleitung der Kantonsschule am Burggraben beschlossen, mit dem Unterricht am Vormittag künftig um 07:55 Uhr statt um 07:30 Uhr zu beginnen. Sie erhofft sich dadurch eine verbesserte Leistungsfähigkeit der Schüler.

Die kontroverse Diskussion über einen späteren Unterrichtsbeginn für Volksschüler ist gesamtschweizerisch schon seit Jahren im Gange – insbesondere auf politischer Ebene. Anfang Jahr war im St. Galler Kantonsrat eine Motion dazu deutlich abgelehnt worden. Dass der unabhängig davon initiierte Vorstoss der Schüler an der Kantonsschule erfolgreicher war, kommt nicht von ungefähr. Sofern die kantonalen Vorgaben der Schulbehörden zur Anzahl Lektionen und den Blockzeiten eingehalten werden, ist es Sache der Gemeinden zu bestimmen, wann der Unterricht beginnt.

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Ähnlich im Kanton Baselland: Dort hatte die Sekundarschule Aesch BL vor wenigen Wochen beschlossen, ab August die erste Lektion am Morgen (und damit auch die schulfreien Nachmittage) zu streichen. Da dieser Entscheid die Richtlinie – vier Lektionen am Vormittag – nicht verletzte, legte das kantonale Amt für Volksschulen kein Veto ein.

Uneinigkeit unter Schülern

Dennoch kam es in Aesch BL zu Unstimmigkeiten – weil der Beschluss ohne Einbezug der Schüler und Eltern gefällt wurde. Welchen Einfluss das Mitspracherecht der Schüler haben kann, zeigte sich im Kanton Bern. Die Idee, den Unterrichtsbeginn an Gymnasien von 08:00 Uhr auf 09:00 Uhr zu verschieben, stiess bei 80 Prozent der dazu befragten Schüler auf Ablehnung und wurde deshalb nicht durchgesetzt.

Kerngedanke der Berner Behörden war es, mittels eines späteren Schulbeginns die Überlastung im öffentlichen Verkehr zu bekämpfen. Zusatzzüge, Zugverlängerungen, zusätzliche Bus-/Postauto- oder Tramkurse kosten den Kanton rund 40 Millionen Franken im Jahr. Ähnliche verkehrspolitisch begründete Vorstösse wurden in der Vergangenheit auch in den Kantonen Luzern und Zürich abgelehnt.

Anpassung an Biorhythmus der Jugendlichen

Die Befürworter eines späteren Unterrichtsstarts zielen allerdings in den meisten Fällen auf den Biorhythmus. Weil sich dieser in der Pubertät nach hinten verschiebt und viele Schüler deswegen erst spät einschlafen können, sind sie im morgendlichen Unterricht müde und nicht sonderlich konzentriert, sagen Schlafforscher. Eine Studie der Uni Basel bei 2700 Gymnasiasten belegte das: Mehr Schlaf macht die Schüler leistungsfähiger.

Das sind die Argumente der Gegner
  • Der angestrebte Effekt (ausgeruhtere Schüler) wird nicht eintreten, weil Schüler, die später zur Schule können, einfach später ins Bett gehen.
  • Nicht nur der Biorhythmus ist schuld an der Müdigkeit der Jugendlichen: Partybesuche, Videogames bzw. übermässiger Smartphone-Konsum am Abend spielen ebenfalls eine Rolle.
  • Wenn am Morgen der Unterricht später beginnt, müssen Lektionen auf den Nachmittag verschoben werden. Schüler, die längere Anreisewege haben, kommen so noch später nach Hause.
  • Schüler haben nach der Schule weniger Zeit für Hobbys, Hausaufgaben, Familie.
  • Schüler sagen in Umfragen selber, dass der Unterricht nicht später beginnen soll.
  • Kinder werden verhätschelt, ein späterer Schulbeginn passt nicht zur Arbeitswelt.
  • Es entsteht ein Graben zwischen Jugendlichen, wenn Gymnasiasten länger schlafen können als Lehrlinge, die ab 07:00 Uhr im Betrieb arbeiten müssen.
Das sind die Argumente der Befürworter
  • Viele Schlafforscher empfehlen, die erste Schulstunde später anzusetzen, damit die Kinder genügend Schlaf erhalten.
  • Der Biorhythmus verschiebt sich in der Pubertät nach hinten, Jugendliche werden zu «Eulen»: Sie sind abends putzmunter, können erst später einschlafen, kommen dafür morgens kaum aus den Federn. 
  • Beginnt der Unterricht (zu) früh, ist die Konzentration der Schüler oft nicht sehr hoch.
  • Die Pausen am Mittag und zwischen den Lektionen werden verkürzt, damit die Schule nachmittags nicht länger dauert.
  • Viele Privatschulen haben den Unterrichtsbeginn bereits auf 08:00 Uhr festgelegt.
  • In städtischen Gebieten wird der ÖV entlastet.
5 Fragen an Stefan Kölliker, Bildungschef des Kantons St. Gallen

Stefan Kölliker ist SVP-Regierungsrat und Vorsteher des Bildungsdepartementes des Kantons St. Gallen. (Bild: sg.ch)

Quelle: Thinkstock Kollektion

Beobachter: Bei der Diskussion um die Motion von Richard Ammann hatten Sie Ihre Bedenken zu einem späteren Unterrichtsbeginn geäussert. Wie haben Sie den Entscheid der KSBG aufgenommen? Waren Sie überrascht?
Stefan Kölliker: Die Bedenken zur Motion von Richard Ammann und in der Antwort auf seine vorgängige Interpellation in der gleichen Sache bezogen sich insbesondere auf die Volksschule und haben nach wie vor Gültigkeit: Es ist zu gewährleisten, dass am Morgen fünf Lektionen gehalten werden können. Dies wäre mit einem Unterrichtsbeginn um 08:00 Uhr in der Volksschule nicht mehr möglich gewesen. Das gilt für die Mittelschulen grundsätzlich auch. Da aber die Lektionen an den Mittelschulen fünf Minuten kürzer sind und das gemeinsame Mittagessen mit der Familie nicht gewährleistet werden muss, ist es auch bei einem späteren Unterrichtsbeginn möglich, am Morgen fünf Lektionen zu erteilen. Die einzelnen Mittelschulen legen den Unterrichtsbeginn autonom fest. Dies ist wichtig, weil Mittelschülerinnen und Mittelschüler häufig nicht am Standort der Schule wohnen und die Mittelschulen den Unterrichtsbeginn deshalb auf die Zugankunftszeiten abstimmen müssen. Neu ist die Begründung für die Neufestsetzung des Unterrichtsbeginns. Die Kantonsschule am Burggraben erhofft sich, dass damit einerseits die Anzahl der Zuspätkommenden verringert wird und andererseits die Motivation und die Leistungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler signifikant verbessert werden. Die Schulleitung der Kantonsschule am Burggraben St.Gallen wird die entsprechenden Kennzahlen erheben. Den Erkenntnissen blicke ich mit Spannung entgegen.

Beobachter: Wo sehen Sie die grösste Problematik beim späteren Unterrichtsbeginn? 
Kölliker: Ein späterer Unterrichtsbeginn hat vor allem organisatorische Folgen und dürfte die Stundenplangestaltung erschweren. Ich gehe davon aus, dass sich die Schulleitung der Kantonsschule am Burggraben St. Gallen dieser Erschwernisse durchaus bewusst war und alle diesbezüglichen Fragen lösen konnte.

Beobachter: Sehen Sie auch Vorteile? 
Kölliker: Viele Schülerinnen und Schüler der Mittelschulen haben aufgrund der Distanz zwischen Wohn- und Schulort einen längeren Schulweg als Oberstufenschülerinnen und -schüler. Daher mussten sie nach dem Wechsel an die Mittelschule den Wecker bisher deutlich früher stellen als während des Besuchs der Oberstufe.

Beobachter: Wie beurteilen Sie den Gesundheitsaspekt («innere Uhr bei Jugendlichen»), der immer wieder von Befürwortern ins Spiel gebracht wird? 
Kölliker: Ich habe da gewisse Vorbehalte. Der frühe Unterrichtsbeginn ist nicht der einzige bestimmende Faktor, der auf die Motivation sowie auf die Konzentrations- und Leistungsfähigkeit in den Morgenstunden einwirkt. Die Kantonsschülerinnen und -schüler derselben Klasse kommen aus unterschiedlichen Wohnorten. Folglich müssen sie auch unterschiedlich früh aufstehen. Zudem gibt es grosse individuelle Unterschiede; sei dies in der Persönlichkeit, in der körperlichen und geistigen Entwicklung und auch bei den Schlafgewohnheiten und der «inneren Uhr». Auch bei Mittelschülerinnen und Mittelschülern gibt es «Lerchen» und «Eulen». Ein späterer Unterrichtsbeginn kommt dem Morgenmuffel mit kurzem Schulweg sicher entgegen. Ob sich die Verschiebung des Unterrichtsbeginns für die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler signifikant positiv auswirkt, muss sich erst noch weisen.

Beobachter: Sollten die Erkenntnisse der Neuerung an der KSBG positiv ausfallen, würde das etwas an Ihrer Haltung ändern? 
Kölliker: Wenn die Erfahrungen an der Kantonsschule am Burggraben St.Gallen zeigen, dass der spätere Unterrichtsbeginn zu deutlichen Verbesserungen bezüglich der Motivation sowie der Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit führt, würde dies in der Kantonalen Rektorenkonferenz der Mittelschulen erörtert werden. Die Rektorenkonferenz wird in diesem Fall dem Erziehungsrat Bericht erstatten. Diese Berichterstattung würde sich allerdings allein auf die Mittelschulen beziehen und nicht auch auf die Volksschule, in der sich – wie erwähnt – die organisatorischen Rahmenbedingungen von denjenigen in einer Mittelschule wesentlich unterscheiden.