Der Zölibat macht nicht pädophil
Der Zölibat gehöre endlich abgeschafft, heisst es jetzt. Wer dies jedoch als Mittel gegen die sexuellen Übergriffe in der Kirche fordert, verhöhnt die Opfer.
Veröffentlicht am 13. April 2010 - 08:59 Uhr
Je mehr Fälle von sexuellem Missbrauch aus dem Dunstkreis der katholischen Kirche ans Licht kommen, desto lauter wird das Ende des Zölibats gefordert. Namhafte Katholiken besonders in Deutschland sehen in der Pflicht der Priester zur Ehelosigkeit einen Hauptgrund für die Übergriffe auf Minderjährige. An vorderster Front agiert der fortschrittliche Schweizer Theologe Hans Küng, der schon lang für die Priesterehe kämpft. «Mit der gleichen Offenheit, mit der nun endlich die Missbrauchsfälle aufgearbeitet werden, müsste auch eine ihrer wesentlichen strukturellen Ursachen, das Zölibatsgesetz, diskutiert werden», fordert er. Für ihn ist klar, dass die Ehelosigkeit und der massenhafte sexuelle Missbrauch zusammenhängen. Die Logik dahinter: Weil den Priestern ehelicher Sex verwehrt ist, vergreifen sie sich an Kindern. Es gibt gute Gründe für die Abschaffung des Zölibats, das sei hier betont. Aber diese Triebdruck-Logik ist zynisch.
Wer den Zölibat als Ursache der Missbräuche hinstellt, sieht Priester als rein triebgesteuerte Wesen, die sich irgendwo abreagieren müssen. Frauen werden so zu Objekten degradiert, deren Zweck es sein soll, den Trieb der Herren kontrolliert abzuführen. Und die Ehe ist offenbar bloss ein Sex-Ventil. Es wird so getan, als sei es natürlich, dass sich die sexuelle Energie auf Kinder richtet, wenn Priestern das Ehe-Ventil verwehrt ist. Das ist Unsinn. Pädophile Neigungen entstehen in der Pubertät und nicht erst durch den Sexentzug nach der Priesterweihe. Und auch Diakone, Katecheten, Vikare und andere Nicht-Zölibatäre missbrauchten Kinder.
Wenn Kirchenleute sich an Minderjährigen vergehen, liegt das einzig an ihrer Selbstsucht und ihrem moralischen Versagen. Wer den Zölibat als Grund anführt, verwedelt diese persönliche Schuld und verschafft den Tätern ein Alibi. Fehlbare Geistliche erscheinen plötzlich als Leidtragende des Systems, subtil werden aus Tätern Opfer gemacht. So instrumentalisieren Fortschrittliche die Untaten, um innerkirchliche Politik zu betreiben.
Die katholische Führung in der Schweiz ist ebenfalls schwach geworden. Norbert Brunner, Präsident der Bischofskonferenz, betonte zwar, der Zölibat stehe in keinem Zusammenhang mit dem Missbrauch. Das hielt ihn aber nicht ab, mitten im Streit um die Übergriffe die Zölibatsfrage neu zu lancieren. Auch der Einsiedler Abt Martin Werlen geisselte die Instrumentalisierung der Übergriffe – und stellte den Zölibat zur Debatte. Die Schweizer Kirchenoberen stellen zwar keinen ursächlichen, wohl aber einen zeitlichen Zusammenhang von Missbrauch und Zölibat her. Damit versuchen sie, die öffentliche Empörung für ihre politischen Ziele zu nutzen.
Die Debatte um den Zölibat ist vor allem ein Ablenkungsmanöver. Sexueller Missbrauch hat wenig mit Triebstau zu tun, aber viel mit Macht. Zu Ausbeutung kommt es, wo Abhängigkeit und Nähe bestehen und die Strukturen es zulassen, Minderjährige gefügig zu machen. Deshalb suchen Pädophile oft Berufe, die sie in Vertrauensverhältnisse mit Kindern bringen, Schulen, Internate, Heime und eben auch Institutionen der Kirche. Diese begünstigt strukturell den Missbrauch. Sie ist ein geschlossenes System, ein Schweigekartell, in dem Täter weder öffentliche Schmach noch Gitterstäbe fürchten müssen. Noch immer wäre es der Kirche lieb, sie könnte die Taten intern abhandeln, als gälte für ihr Personal eine Sonderjustiz. Jeder jedoch, der ein Kind missbraucht, gehört aus seinem Amt entfernt und von einem weltlichen Gericht bestraft, ob Heimbetreuer, Sportlehrer oder Kirchendiener.
Der Zölibat macht nicht pädophil. Er hält aber Männer mit normaler Sexualität davon ab, Priester zu werden. Dadurch kommt es wohl zu einem Überhang an sexuell Gestörten in der Kirche. Das ist der einzige – zahlenmässige – Zusammenhang von Missbrauch und Zölibat. Das Ende des Eheverbots könnte zwar dazu führen, dass mehr normale Männer Priester werden. Damit würde das Problem mit den sexuell Abnormen aber höchstens verdünnt.
Wer den Zölibat abschaffen will, muss anders argumentieren als mit der Triebumlenkung von Kindern auf Ehefrauen. Man müsste hervorheben: Die Bibel kennt keinen Pflichtzölibat. Er steht für eine verknorzte Sexualmoral. Lebenslange Entsagung ist unmenschlich. Sexuell ausgeglichene Menschen sind bessere Seelsorger. Es ist gut, wenn Ratgebende etwas von Ehedingen verstehen. Und das Priesteramt würde attraktiver. Wer jedoch die Abschaffung des Zölibats als Mittel gegen Übergriffe anpreist, missbraucht die Missbrauchten ein zweites Mal.
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