«Ich ging 390 Meter am Stück – ein Rekord»
David Mzee wurde 2018 weltberühmt als der Tetraplegiker, der wieder gehen kann. Das treibt den Leuten auch ein Jahr danach noch Tränen in die Augen.
Sieben Jahre nach dem Unfall konnte ich wieder gehen. Das war überwältigend, ein neues Lebensgefühl. Möglich machten es 16 Elektroden, die mein Rückenmark stimulieren und eventuell auch einige Nerven nachwachsen liessen. Und monatelanges hartes Training. Zu danken habe ich aber vor allem den Neurowissenschaftlern Grégoire Courtine und Jocelyne Bloch. Ich nahm an ihrer Studie an der ETH Lausanne teil, zusammen mit zwei anderen Probanden.
Ohne Elektroden schaffe ich sieben Schritte. Dazu brauche ich aber einen Barren zum Abstützen oder ein Körpergewichtsentlastungssystem. Mit den Elektroden, die ich via Tablet ansteuern kann, und Gewichtsentlastung habe ich schon 40 Minuten geschafft, der Schweiss lief nur so runter. Beim Training lasse ich mich gern von Musik pushen, etwa von Run the Jewels, die unablässig «Run, run, run» singen. Im Spital dröhnte die Musik teils bis in die Nachbarzimmer. Damit machten wir uns nicht nur Freunde.
Im Mai nahm ich am Wohltätigkeitslauf «Wings for Life» in Zug teil. Wir waren mehr als 4000 Läufer und Rollstuhlfahrer. Mit dem Rollator ging ich 390 Meter am Stück – ein Rekord. Es war überwältigend mit all den Leuten, die uns zujubelten. So etwas motiviert mich.
Die Studie der ETH Lausanne soll nun auf weitere Probanden ausgeweitet werden. Ich bin nicht mehr so oft dort, stattdessen ist Training daheim angesagt. Dank Crowdfunding konnte ich Trainingsgeräte kaufen, darunter ein medizinisches Laufband mit Körpergewichtsentlastung.
2010 wurde ich zum inkompletten Tetraplegiker. Beine und Arme sind nicht vollständig gelähmt, denn das Rückenmark wurde nur teilweise durchtrennt. Bei meiner Ausbildung zum Sportlehrer ist mir beim Dreifachsalto auf dem Trampolin die Landung missglückt, zwei Halswirbel wurden verletzt. Die Ausbildung habe ich trotzdem abgeschlossen. Zum Glück hatte ich die praktischen Prüfungen schon hinter mir.
Seit Mai bin ich Sportlehrer in Teilzeit an der Wirtschaftsschule KV Wetzikon. Die Schüler finden die Lektionen «megacool», das freut mich sehr. Nach den Sommerferien kommt ein neuer Job dazu. Auch der ist in der Nähe, ich kann im Rollstuhl hinfahren – sehr praktisch.
Sport ist meine grosse Leidenschaft. Seit 2012 bin ich in der Rollstuhl-Rugby-Nationalmannschaft. Es geht grob zu, manchmal fliegen die Rollstühle. Letztes Jahr haben wir an der Europameisterschaft Silber gewonnen.
Ich fahre auch Ski, spiele Basketball, mache Krafttraining. Letzten Sommer war ich kitesurfen in Griechenland – eine tolle Erfahrung.
Ich werde immer öfter für Vorträge angefragt. Dieses Jahr war ich an einem Galadinner einer Organisation für Paraplegieforschung. Dort sassen Leute, die seit Jahren viel Geld für die Rückenmarksforschung spenden. Als sie mich auf der Bühne einige Schritte machen sahen, wurden sie sehr emotional. Einigen kamen die Tränen, es gab Standing Ovations. Für sie bin ich die Versinnbildlichung von so vielem, in das sie investiert haben. Eine surreale, superspezielle Erfahrung, die mir Gänsehaut machte.
Ich glaube, es macht etwas Positives mit den Leuten, wenn sie meine Geschichte erfahren.
David Mzee, 31, Sportlehrer
Berührend war auch die Begegnung mit einem Jogger, der mir spontan gratulierte, als ich mit einem Filmteam am Genfersee drehte. Ich glaube, es macht etwas Positives mit den Leuten, wenn sie meine Geschichte erfahren. Seit die Studie der ETH Lausanne bekannt wurde, hatte ich zahlreiche Medientermine – darunter mit «New York Times», «National Geographic», «Guardian» und TV-Teams aus Deutschland, Grossbritannien und Australien. Auch wenn ich viel um die Ohren habe und manchmal ans Limit komme – das macht mir keine Angst. Ich bin es vom Studium gewohnt, viel unter einen Hut zu bringen. Die Medienauftritte sind nicht nur ein Geben, es kommt auch etwas zurück – etwa die beiden Stellen als Sportlehrer. Trotz teils struben Zeiten: Es fühlt sich irgendwie richtig an.