«Die Urne ist die letzte Hülle eines Menschen»
Thomas Schär aus Zürich macht Urnen, die als Kunstobjekte wirken. Er will damit eine Alternative zur traditionellen Bestattungskultur anbieten.
Aufgezeichnet von Deborah Bischof:
Ich habe kein Geschäft, sondern ein Atelier. Denn in erster Linie bin ich Künstler, der Verkauf ist eher sekundär. Zugegeben, meine Kunst ist nicht für alle. Ich mache ein Angebot, und ob man darauf eingehen will oder nicht, kann jeder und jede für sich entscheiden.
Ich komme weder aus einer Bestatterfamilie, noch hat ein tragischer Todesfall mich zum Thema geführt – zum Glück! Auf die Urnenkunst gekommen bin ich eher aus Zufall. 1996 besuchte ich die Art Basel. Auf dem Heimweg, den Kopf noch voll mit künstlerischen Eindrücken, kam ich an einem Bestattungsinstitut vorbei. Im Schaufenster waren Urnen ausgestellt – allesamt traurig, trostlos, ohne Inspiration. Da fragte ich meinen Freund: «Kannst du dir vorstellen, in so einer zu enden?»
Das Thema liess mich nicht mehr los. Ich begann zu recherchieren. Die Etrusker und die Griechen hatten ihre Urnen einst kunstvoll gestaltet. Im frühen Mittelalter übernahm die Kirche das Monopol. Die Urne wurde zu einem Gefäss, das wenig mit Ästhetik, aber viel mit Religion zu tun hatte. Zur Zeit der Aufklärung übernahm der Staat die Rolle der Kirche, führte aber ihr Konzept fort. Es gab also keine Alternative zu jenen Schaufenster-Urnen. Niemand hatte sich je wieder ernsthaft mit dem Thema befasst, nicht einmal die Kunsthochschulen. Das wollte ich ändern.
«Letzten Endes betrifft der Tod uns alle, doch wir sprechen kaum über ihn.»
Thomas Schär, Künstler
Meine ersten Entwürfe waren runde Kreationen. Die entstandene «Ball of Love»-Urne ist eine Anlehnung an das Universum und den kosmischen Kreislauf. Über sie kam ich auch zu meinem Künstlernamen Cosmicball.
Meine Kollektion umfasst inzwischen über 200 Urnen. Sie werden in kleinen Auflagen in Handarbeit in der Schweiz gefertigt. Jede gehört zu einer von ungefähr zehn Familien, hinter denen ein eigenes Konzept steckt. Die «Yasura» sind zum Beispiel Urnen aus Schweizer Holz, während die «Katami», meine neuste Kreation, die Form eines Diamanten hat.
Bei einigen Urnen habe ich nur schon in die Konzeption Jahre investiert. Jede Farbe, jede Form und jedes Symbol hat eine Bedeutung. Genauso der Name. So bedeutet das japanische Wort Yasura so viel wie Ruhe in Frieden. Die Namen sind alle patentiert. Das kostet anfangs viel Energie, schafft mir aber langfristig ein stabiles Fundament. Anhand der ersten Designs kreiere ich Variationen oder setze auch mal Wünsche von Kundinnen und Kunden um.
Bis alles vergeht
Individualität steht bei meinen Werken an oberster Stelle. Der Mensch selbst ist ja auch ein individuelles Wesen und die Urne seine letzte Hülle. Für mich sollte sie ihn und sein Leben repräsentieren und bei den Angehörigen einen letzten, einzigartigen Eindruck hinterlassen. Einige Urnen kann man später auch zu Hause aufbewahren, selbst wenn die Asche verstreut wurde. Sie werden dann zum Symbol für einen geliebten Menschen.
Andere wie die Wasserurne «Sfera bianca – aqua» sind bewusst vergänglich gestaltet, aus niedriggebranntem Ton und inwendig mit Filz ausgekleidet. Wenn man sie ins Wasser gibt, saugt sich der Filz langsam voll, und die Urne beginnt zu sinken. Nach einer Weile löst sie sich auf.
Gegen das Tabu
Ich beziehe mich mit meiner Arbeit auf unsere Vergänglichkeit. Ein Thema, das ich bewusst immer wieder aufgreife. Letzten Endes betrifft der Tod uns alle, doch wir sprechen kaum über ihn. Meine Kunst soll auch ein Stück weit zur Enttabuisierung beitragen. Kunstausstellungen und Medienauftritte sind für mich daher wichtige Plattformen.
Ganz locker werden wir mit dem Thema aber nie umgehen können. Der Gedanke an den eigenen Tod hinterlässt immer ein mulmiges Gefühl. Mir selbst macht der Umgang mit dem Tod keine Angst, sonst würde ich mich kaum jeden Tag damit befassen. Grossen Respekt davor habe ich aber auf jeden Fall.
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