Eine beispiellose Reihe von 15 Kindermorden versetzte die Schweizerinnen und Schweizer in den achtziger Jahren in Angst und Schrecken. Erst mit der Verhaftung von Werner Ferrari, dem lediglich vier Morde eindeutig angelastet werden konnten, fand die schreckliche Serie ein Ende. Ferrari war ein Rückfalltäter; er hatte bereits in den siebziger Jahren eine langjährige Zuchthausstrafe wegen Mordes an einem Knaben verbüsst.

1993 schockierte der brutale Mord an Pasquale Brumann am Zollikerberg. Der Täter, Erich Hauert, verübte das Verbrechen während eines Gefängnisurlaubs. Er war wegen zwei Morden und zehn Vergewaltigungen zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt worden.

1996 vergewaltigte ein rückfälliger Straftäter im Rheintal ein Mädchen und brachte es beinahe um. Der Täter wurde gefasst – doch für die Patin und die Mutter des Mädchens, Anita Chaaban und Doris Vetsch, war der Fall damit noch nicht erledigt. Im Herbst 1998 lancierten die beiden Frauen die «Verwahrungsinitiative», über die am 8. Februar 2004 abgestimmt wird. Mit ihrem Vorstoss wollen Chaaban und Vetsch verhindern, dass rückfällige Straftäter weiterhin zuschlagen können.

Die ins Auge gefassten Massnahmen sind hart. Täter, die von zwei Gutachtern als nicht therapierbar und extrem gefährlich eingestuft werden, sollen künftig bis an ihr Lebensende verwahrt werden. Die heute vorgeschriebene jährliche Überprüfung, ob die Verwahrung noch gerechtfertigt sei, soll dahinfallen. Hafturlaube wären ausgeschlossen. Nur wenn neue wissenschaftliche Erkenntnisse eine Heilung möglich erscheinen liessen, könnte aufgrund neuer Gutachten eine Entlassung erfolgen. Bei einem Rückfall trügen die Behörden die ganze Verantwortung.

Neue Erkenntnisse angezweifelt
Die Initiative fand ein gewaltiges Echo: 194'390 Stimmberechtigte unterstützten das Begehren. Eine Annahme ist nicht ausgeschlossen – auch wenn nur die SVP und kleine Gruppierungen vom politisch rechten Rand die Annahme empfehlen.

Ruth Metzler hob die inhumane Stossrichtung der Initiative wohl am treffendsten hervor: Aus der «Null-Risiko-Politik» drohe eine «Null-Chancen-Politik» zu werden, warnte die Ex-Bundesrätin. Ein Rechtsstaat dürfe Menschen nicht einfach «wegsperren und vergessen».

Auch Fachleute halten die Initiative für nicht durchführbar. So bekundet etwa der renommierte Gutachter Volker Dittmann Mühe mit «neuen, wissenschaftlichen Erkenntnissen», da sie auf Gruppenuntersuchungen basieren. «Ob sie auf den Einzelnen zutreffen, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen.» Dittmann spricht gar von einem Missbrauch der Psychiatrie: «Es ist für einen seriösen Psychiater nicht möglich, festzustellen, ob ein Straftäter bis zu seinem Lebensende nicht therapierbar sei.»

Dass er damit nicht falsch liegt, zeigt ein Beispiel aus den fünfziger Jahren. Damals prognostizierten zwei Psychiater, dass der Raubmörder Ernst Deubelbeiss bis zu seinem Lebensende gefährlich bleiben werde. Ende der siebziger Jahre wurde der damals 56-Jährige entlassen – er wurde nicht rückfällig (siehe Nebenartikel «Und er änderte sich doch»).

Als indirekter Gegenvorschlag zur Initiative kann der revidierte allgemeine Teil des Strafgesetzbuchs betrachtet werden, der 2005 in Kraft treten wird. Ein zentrales Element darin ist der Schutz der Öffentlichkeit – oder wie sich die Zürcher SP-Nationalrätin Anita Thanei ausdrückt: «Wir haben das Opfer entdeckt.»

Gemäss dem neuen Gesetz kann die Verwahrung neu nicht nur bei geistiger Abnormität erfolgen, sondern auch wenn Persönlichkeitsmerkmale vorliegen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere schwere Straftaten erwarten lassen. Voraussetzung ist, dass Täter ein Verbrechen begangen haben, für das eine Höchststrafe von zehn und mehr Jahren vorgesehen ist. Jährlich muss überprüft werden, ob die Verwahrung gerechtfertigt ist.

Nicht zufrieden mit dieser Formulierung ist Frank Urbaniok, Chefarzt des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes des Zürcher Amts für Justizvollzug. Laut dem neuen Gesetz sei es nicht möglich, einen Täter zu verwahren, der sexuelle Übergriffe gegen Kinder begangen habe. Dafür seien nur fünf Jahre Freiheitsentzug vorgesehen. Der Täter könne allerdings trotzdem sehr gefährlich sein. Anderer Meinung ist Anita Thanei: «Bei wirklich gefährlichen Tätern kommen meist andere Straftatbestände dazu, welche die Verwahrung möglich machen.»

Die Begriffe «Schutz der Gesellschaft» und «Gerechtigkeit für die Opfer» prägen auch das Ambulante Intensivprogramm (AIP), das Frank Urbaniok vor drei Jahren in der Zürcher Strafanstalt Pöschwies lancierte. Zwei Expertinnen und drei Experten arbeiten im Rahmen eines gruppentherapeutischen Behandlungsprogramms mit 15 hochgefährlichen Sexual- und Gewaltstraftätern zusammen. «Grundsätzlich vertreten wir vor allem die Interessen der Opfer», sagt AIP-Therapeutin Marianne Wick. Und der Psychologe Matthias Stürm fügt bei: «Potenzielle Opfer zu schützen und künftige Rückfälle zu verhindern ist uns ein grosses therapeutisches und persönliches Anliegen.»

Die Klienten von Wicks und Stürms Gruppe sind wegen Mordes, Vergewaltigung und sexueller Übergriffe gegen Kinder verurteilt. Bis zu 14 Stunden pro Woche decken sie in der Gruppe die Vorgeschichte ihrer Taten auf, erstellen Feinanalysen des Tatablaufs. Ziel ist, zu erkennen, warum es zum Verbrechen kam und wie Delikte künftig vermieden werden können. Die kleinste Beschönigung der Tat findet keine Gnade. Als Max Gehrig (Name geändert), 40, über seinen «Missbrauch mit Kindern» spricht, korrigiert ihn Marianne Wick: «Das ist Missbrauch an Kindern, die Kinder haben nicht mitgewirkt.»

Einen hohen Stellenwert hat die Auseinandersetzung mit den Gefühlen der Opfer. Die Täter sollen sich bewusst werden, welche Ängste ihre Opfer ausstehen mussten, wie hilflos sie sich fühlten und welche Schmerzen sie erlitten. Zu einem Kontakt mit den Opfern kommt es nicht. «Es darf nicht sein, dass die Betroffenen nochmals in die Opferrolle gedrängt werden», sagt Psychologe Matthias Stürm.

Eine Frau als Therapeutin, eine Frau, die hart kritisiert, ist für etliche Täter eine komplett neue Erfahrung. «Frauen waren für mich Sexualobjekte», sagt Mario Unternährer (Name geändert), ein gross gewachsener Frauenmörder mit starrem Blick. «Jetzt habe ich gelernt, mit Frau Wick zu reden. Ich kann von ihr auch Kritik entgegennehmen.»

Therapeuten verhinderten Freilassung
Ziel der Klienten ist es, deliktfrei ausserhalb der Mauern zu leben. Doch der Weg dorthin ist weit. Das hat auch Christoph Schönauer (Name geändert) erfahren, der wegen sexueller Übergriffe gegen Kinder verwahrt wird. Die Justizdirektion seines Heimatkantons hatte bereits die Freilassung angeordnet, als seine Therapeuten Bedenken anmeldeten. «Schönauer wird das Ziel erreichen, in Freiheit zu leben, wenn er konsequent weiter an sich arbeitet», kommentiert Psychologe Edgar Blawatt den Fall. «Aber jetzt ist er noch nicht so weit.»

Eine derart günstige Perspektive sieht Chefarzt Frank Urbaniok nicht für jeden Straftäter. In einem Artikel in der Fachzeitschrift «Forensische Psychiatrie und Psychotherapie» vertritt er die Meinung, «dass es hochgefährliche, kaum oder gar nicht zu beeinflussende Straftäter gibt, bei denen die lebenslange Sicherung das einzig vertretbare präventive Mittel darstellt».

Für Christoph Schönauer kam der Entscheid, dass er in Haft bleiben muss, nicht überraschend. Alle AIP-Teilnehmer sind immer im Bild, wie man sie beurteilt. Die Täter nehmen nicht nur an den 14-täglichen Visiten mit Frank Urbaniok und den Therapeuten teil. Auch an den halbjährlichen Fallbesprechungen sind sie dabei, bei denen zusätzlich noch die Chefs des Arbeitsbereichs, des Wohnbereichs und des Sozialdienstes mitwirken. Das macht eine durchgehende Betreuung und Bewertung möglich, die den Insassen gerecht wird.

Das Arztgeheimnis vorgeschoben
Wie fortschrittlich das «Zürcher Modell» ist, zeigt ein Vergleich mit anderen Strafanstalten. Im bernischen Gefängnis Thorberg etwa ist laut Direktor Hans Zoss noch immer eine Stunde Einzeltherapie die Regel. Sarkastisch äussert sich Martin-Lucas Pfrunder, Direktor der Strafanstalt Lenzburg, über gewisse Psychiater: «Nicht selten erfahren wir bloss, dass dieser oder jener Gefangene sehr, sehr krank sei – oder dass die Dauer der Therapie 45 Minuten betrage.» Bei weiteren Fragen rassle dann der Vorhang des Arztgeheimnisses nieder. Mario Etzensberger, Direktor der Klinik Königsfelden und zuständig für die psychiatrische Betreuung der Gefangenen, bestreitet diesen Sachverhalt allerdings vehement: «Wir verstecken uns nie hinter dem Arztgeheimnis.» Dennoch: Von einer durchgehenden Betreuung ist Lenzburg noch meilenweit entfernt.

Urbaniok und sein Team haben allerdings den Beweis der Tauglichkeit ihrer Therapie noch nicht erbracht. Eine eindeutige Auswertung wird erst möglich sein, wenn die ersten AIP-Teilnehmer einige Jahre deliktfrei in Freiheit gelebt haben. Seit dem Mord vom Zollikerberg 1993 sind keine verwahrten Verbrecher mehr entlassen worden.

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