Sie hat den Tod des eigenen Vaters vorausgesehen. Doch die Anzeige der Stadtpolizei Zürich kam für das «Medium Franziska» unvermittelt. Als die Baslerin vor wenigen Wochen das Schreiben aus Zürich im Briefkasten vorfand, dachte sie zuerst, man wolle sie auf den Arm nehmen. Im Brief stand: «Durch die Stadtpolizei Zürich ist festgestellt worden, dass von Ihnen im Internet ein Inserat mit folgendem Inhalt aufgeschaltet wurde: ‹Pendeln und Kartenlegen nach Mlle. Lenormand etc.›. Mit diesem Inserat haben Sie gegen das Straf- und Justizvollzugsgesetz verstossen.»

Partnerinhalte
 
 
 
 

Die Basler Hellseherin, die mit Verstorbenen im Jenseits kommuniziert, war nur eine von mehreren verzeigten Personen, wie Polizeisprecher Michael Wirz bestätigt. Inzwischen wurden diese Anzeigen dem Stadtrichteramt übergeben, das Urteil – und damit die Höhe der absehbaren Busse – steht noch aus.

Verbote im Straf- und Justizvollzugsgesetz des Kantons Zürich

«Gewerbsmässige Ausbeutung» verboten

Tatsächlich verbietet Paragraph 5 des Zürcher Straf- und Justizvollzugsgesetzes unter Androhung von Busse das «Wahrsagen, insbesondere Traumdeuten oder Kartenschlagen, Geisterbeschwörung, Anleitung zum Schatzgraben». Strafbar macht sich auch, wer sich öffentlich für solche Tätigkeiten anbietet. Ähnliche Formulierungen kennen ein halbes Dutzend andere Kantone – nicht aber «Medium Franziskas» Wohnkanton Basel-Stadt.

Gegen das Gesetz verstösst ein Wahrsager aber nur, wenn er die «Leichtgläubigkeit» der Kunden «gewerbsmässig ausbeutet». Trifft dies auf das «Medium Franziska» tatsächlich zu? Im Oktober etwa führte sie über ihre 0900er-Telefonnummer gerade mal zehn Gespräche, jede Minute kostet bei ihr Fr. 2.50. Im Schnitt hatte sie die Ratsuchenden knapp 19 Minuten am Telefon, im Mittel zahlten diese Fr. 47.50. Für die wöchentlich zwei bis drei persönlichen Beratungen in ihrer Wohnzimmerpraxis verlangt sie jeweils 120 Franken. Immer mal wieder verrechne sie Kunden mit offensichtlichen finanziellen Problemen gar nichts, erzählt sie. Gewerbsmässiges Ausbeuten von Leichtgläubigen sieht anders aus.

Kleininserate: übersinnliche Angebote zuhauf

Quelle: Website mike-shiva.ch

Angesichts der unzähligen Kleinanzeigen in «Glückspost», «Coop-Zeitung» und anderen Magazinen fragt sich: Nach welchen Kriterien verfolgt die Polizei Hellseher strafrechtlich? Weder die in letzter Zeit aktiv gewordene Stadtpolizei Zürich noch die Kantonspolizei Bern wollten dem Beobachter ihre Arbeitsweise offenlegen. Aus Zürich heisst es: «Wir sind auf solche Fälle aufmerksam geworden und haben mehrere Personen an das Stadtrichteramt verzeigt.» Aus Bern tönt es ebenso nichtssagend: «Konkreten Hinweisen wird mit der gebotenen Sorgfalt nachgegangen.»

Konkrete Hinweise wären angesichts der unzähligen Angebote dieser Szene gar nicht nötig. Was aber ist eigentlich mit den Grossen im Geschäft? Beispielsweise mit Monica Kissling alias «Madame Etoile», die mit ihren Horoskopen und astrologischen Prophezeiungen in Zeitungen und am Radio dauerpräsent ist? Die Dienstleistungen der in Zürich domizilierten Dame wären im Kanton Bern aufgrund der dort gültigen Gesetzesformulierung eigentlich verboten («Horoskopstellen»). Und im Gegensatz zum «Medium Franziska» langt «Madame Etoile» kräftig zu: Eine einstündige «Kurzberatung» kostet 400 Franken (zahlbar im Voraus oder bar bei der Konsultation). Richtig teuer wirds am Telefon. Wer die Sternenfrau an den Draht will, zahlt 70 Franken Basispauschale und pro 15 Minuten weitere 75 Franken. Ein 15-minütiger Blick in die Sterne kostet also 145 Franken, Fr. 9.66 pro Minute!

Was denkt «Madame Etoile» zur juristischen Situation? Sie ignoriert, dass sie im Kanton Bern illegal Horoskope herausgibt, und bezieht sich gegenüber dem Beobachter wörtlich auf die Zürcher Gesetzesformulierung: «Ich bin nicht im Bereich Wahrsagen, Traumdeuten, Kartenlegen tätig.» Juristisch belangt wurde sie bisher nicht. Auf ihrer Internetseite preist sie ihre Dienstleistungen als «Beratungen» an.

Die Berner Polizei hat Wichtigeres zu tun

Im Vergleich zu Kissling ist die unbestrittene Nummer eins im Schweizer Wahrsagergeschäft geradezu günstig. Bei Mike Shiva kostet ein Anruf auf seine 0900er-Nummer «nur» sieben Franken. Er, der auf fünf verschiedenen TV-Stationen mit einem Heer von Beraterinnen und Beratern live Karten legt, Schamanismus und allerlei Hokuspokus praktiziert und vermittelt, ist aber nur scheinbar günstig. Shiva strickt aus banalsten Zuschauerfragen ellenlange Gespräche, tippt mit wichtiger Miene in seinen Laptop, legt Karten, streichelt sein Hündchen. Die Minuten vergehen im Flug, der Kostenzähler tickt. Ein Schelm, wer bei dieser Geschäftspraxis an «gewerbsmässiges Ausbeuten von Leichtgläubigen» denkt!

Würde die Kantonspolizei Bern das eigene Gesetz konsequent anwenden, müsste sie Mike Shiva längst das Handwerk gelegt haben. Der hellsichtige Seelenanalytiker hat den Geschäftssitz seines Imperiums in Thun. Doch er muss sich ganz offensichtlich nicht allzu viele Sorgen machen. Berns Polizeisprecher Jürg Mosimann will keine personenbezogenen Auskünfte erteilen. Er spricht allgemein von zwei bis drei Anzeigen jährlich, gibt aber zu verstehen: Eine solche Übertretung habe angesichts der Entwicklung im Bereich der mittleren und schweren Kriminalität «nicht oberste Priorität». Sprich: Die Berner Kantonspolizei kümmert es wenig, wenn Mike Shiva Ratsuchenden Hunderte von Franken für nichtssagende Telefonberatungen abnimmt.

Gern hätte der Beobachter mit Shiva über allfällige Verstösse gegen den Wahrsagerartikel gesprochen. Doch der selbsternannte Heiler benutzt sein Handy vor allem, um die Anrufe auf die teure 0900er-Nummer umzuleiten. Vermutlich hat er keine Zeit für solch irdische Probleme. Über Patrick Gutter, seine rechte Hand, lässt er ausrichten: «Wir sind überzeugt, dass unsere Tätigkeit absolut legal ist.»