Missionieren bei Trauernden
Die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas wirbt vermehrt per Post – auch nach Todesfällen.
Veröffentlicht am 26. Mai 2021 - 17:40 Uhr
Fredi Schnider aus Igis GR fehlen noch immer die Worte. Ende März gab seine Familie in der Lokalzeitung eine Todesanzeige auf. Einen Tag später erhielt er ein persönlich anmutendes Kondolenzschreiben. «Zum Heimgang Ihrer lieben Mama Anni möchte ich Ihnen mein herzliches Beileid aussprechen.»
Den Brief verfasst hatte ein Mitglied der Zeugen Jehovas. Der Mann berichtet, wie er den Verlust seiner eigenen Frau betrauere und die Gefühle der Trauernden nachvollziehen könne. Weiter schreibt er: «Möchten Sie bitte einen Blick in das beigelegte Traktat werfen, das uns einige Gedanken der Hoffnung und des Trostes vermittelt über die von unserem himmlischen Vater Jehova Gott versprochene Zukunft ohne Seuchen, Krankheit, Leid, Schmerz und Tod.»
«Keinesfalls Werbung»
Der Brief enthielt auch einen Hinweis auf die Website der Zeugen Jehovas, zudem waren zwei Broschüren beigelegt. Fredi Schnider sagt dazu: «Wir waren wirklich sehr entsetzt, als uns klar wurde, dass der Absender einer Sekte angehört.»
Für die Zeugen Jehovas ist diese Reaktion unverständlich. Es handle sich um ein Kondolenzschreiben einer Privatperson, die nur ihr Mitgefühl habe zum Ausdruck bringen wollen. «Wenn ich solch nette Zeilen von jemandem erhalten würde, wäre ich persönlich gerührt – unabhängig davon, welcher Religion der Verfasser des Briefes angehört», sagt ein Sprecher. Es handle sich keinesfalls um Werbung. Es sei weder eine Mitgliedschaft angeboten noch um Spenden gebeten worden.
Sogar handgeschriebene Briefe
Es komme häufiger vor, dass die Zeugen Jehovas Trauernde anschrieben, sagt Susanne Schaaf von der Beratungsstelle Infosekta. «Die Zeugen Jehovas gehen davon aus, dass sich die Menschen nach der bevorstehenden Endschlacht Gottes wiedersehen, sofern sie getaufte Zeugen sind. Diese empfundene Gewissheit eines Wiedersehens mit den Verstorbenen möchten sie der Trauerfamilie ungefragt näherbringen.» Das könne die angeschriebenen Trauerfamilien stark aufwühlen.
Die Zeugen Jehovas benützten seit Beginn der Pandemie generell mehr persönliche Briefe, um Kontakt aufzunehmen, berichtete kürzlich die «NZZ am Sonntag». Laut Susanne Schaaf sind viele dieser Briefe sogar handschriftlich verfasst; damit wolle man die Aufmerksamkeit erhöhen.
Der Brief an Fredi Schnider
Das Neuste aus unserem Heft und hilfreiche Ratgeber-Artikel für den Alltag – die wichtigsten Beobachter-Inhalte aus Print und Digital.
Jeden Mittwoch und Sonntag in Ihrer Mailbox.
6 Kommentare
Der Beobachter scheint auf einem Sektenhype zu sein. In letzter Zeit kommen immer wieder Themen von Sekten, insbesondere von Zeugen Jehovas. Das sind anscheinend Themen, die sich gut verkaufen lassen. Auch bei dem Artikel ‚ der „verzweifelte Trompeter“ wurde die Religionsgemeinschaft erwähnt. Warum eigentlich? Bei den Staatsreligionen, den Katholiken und Protestanten, erwähnt man dies nicht. Seltsam. Bei dem Verzweifelten Trompeter handelt sich im Übrigen um eine gescheiterte Existenz, der sehr von der betagten Dame profitiert hat. Er selbst beschreibt das als Liebe. Im Rheintal weiss man um diesen Herrn, deshalb auch der Grund, warum hier keine regionale Zeitung publiziert hat. Der Beobachter schon. Nun, ich kaufe diese Zeitschrift bei so einer miesen Recherche und billigen Headlines auf jeden Fall nicht mehr.
Fanatismus ist Ekelhaft. Mach was ihr wollt aber nur in Eueren eigenen Reihen. Hört auf euch als Propheten zu bezeichnen. Es Nervt ganz gewaltig.
In der heutigen Zeit wo niemand mehr handgeschrieben Briefe verfasst und sich niemand mehr erkundigt, wie es einem nach einem Todesfall geht, finde ich die Anteilnahme nicht nur lobenswert, aber sie sucht seinesgleichen.
Ich erhalte jede Woche irgendein Standardschreiben mit der Bitte eine Spende zu überweisen oder ein fiktives Gewinnversprechen das nur ein Vorwand ist. Darüber regt sich dann niemand auf. Wenn aber sich aber jemand Zeit nimmt und Anteilnahme ohne Hintergedanken ausspricht, wird dies kristiert. Unsere Gesellschaft ist schon sehr seltsam...
Es geht um eine Sekte, nicht um Teilnahme. Man nutzt schamlos die Schwäche der traumatisierten Leute aus, die den Verlust einesnächsten Familienangehörigen betrauen. Das ist zynisch und dreist. Zeugen Jehovas halten gezielt Ausschau nach solchen Leuten aus, die verzweifelt nach Anschluss, Halt und Teilnahme suchen und in ihr Opferschema passen wie Ausländer, Neuzuzüger etc. Das sie jetzt ohne persönlich die Verstorbene gekannt zu haben die Familie ansprechen ist zynisch und scheinheilig. Meinen Sie wirklich sie spenden uneigennützlich Trost, sind wahre Freunde? Traurig ist dass sie es nicht erkennen. Die Vereinsamung ist auch traurig und bittet Nährboden für solche Sekten.
@JohnSnow: Haben Sie den abgebildeten Brief gelesen? Ich sehe darin zwei Bibelstellen, einen Verweis auf die Webseite der Zeugen Jehovas und tröstende Worte von jemand der auch eine nahestehende Person verloren hat und Trost spenden will. Das er den Zeugen Jehovas angehört ist zweitrangig. Wenn er Katholisch, Buddistisch oder Reformiert wäre, wäre der Brief in Ordnung, aber so nicht? Wie gesagt, die heute Gleichgültigkeit ist tausend Mal schlimmer als die gezeigte Anteilnahme aus dem Religionseifer heraus. Ich hätte dem Absender für seine Anteilnahme gedankt und mit einer handgeschriebenen Dankeskarte geantwortet.
Bei allem Respekt, dies kann nur jemand beurteilen, der Mitglied in dieser Gruppierung war, (hineingeboren) wie ich zum Beispiel. Es wird trainiert wie man gezielt um neue Anwärter wirbt, so auch mithilfe solcher scheinheiliger Briefe. Wöchentlich wird geübt was man sagen, wie man sich am besten verhalten soll, um Menschen anzulocken mit gespielten Gefühlen. Ganz perfide Masche.