Knatsch bei Entzugsprogramm
Eklat unter Ärzten: Der christlich-konservative Arzt Daniel Beutler zieht sich vom umstrittenen Drogenentzugs-Programm ANR zurück. Bei der Partner-Klinik Interlaken ist man erleichtert.
Veröffentlicht am 25. Juni 2014 - 11:22 Uhr
Der Verein ANR Switzerland, der an der Klinik Interlaken seit November 2012 eine umstrittene Drogenentzugstherapie anbietet, wird einen neuen Allgemeinmediziner suchen müssen: Der bisherige Zuständige, Daniel Beutler, hat gestern Abend seinen Austritt bekannt gegeben. «Sie dürfen zur Kenntnis nehmen, dass ich heute Abend vom ANR Projekt demissionierte – Ihre klare Haltung mir gegenüber hat dabei den Ausschlag gegeben», schreibt er in einer E-Mail an den Direktor der Klinikgruppe Frutigen, Meiringen, Interlaken (FMI). Und fügt gleich noch ein Bibelzitat hinzu: «Es wird eine Zeit kommen, da man das Schlechte gut und das Gute schlecht nennen wird.»
Hintergrund der Differenzen zwischen der Klinik und dem Arzt ist Beutlers politische Tätigkeit. Der EDU-Parteigänger, der ANR in die Schweiz gebracht hat, macht seit Jahren mit seinem Engagement gegen Abtreibung und gegen die Drogenpolitik des Bundes von sich reden und verlor deswegen 2010 sogar die ärztliche Leitung der Drogenentzugsklinik «Marchstei» in Kehrsatz. Tatsächlich hat sich FMI-Direktor Urs Gehrig auf Anfrage des Beobachters von Beutler distanziert: «Ich teile eine solche Haltung nicht. Ich halte die Drogenpolitik des Bundes für vernünftig.» Ein Problem in Beutlers Abgang sieht Gehrig nicht: «Dass er sich jetzt aus dem ANR-Projekt zurückzieht, haben wir mit Erleichterung zur Kenntnis genommen.»
Bei ANR wird der Drogenentzug unter Vollnarkose gemacht. Die umstrittene Therapie des schnellen, Anästhesie-gestützten Opiatentzugs, bei der in früheren Formen auch schon Menschen gestorben sind, wird vom israelischen Arzt André Waismann seit bald zwei Jahrzehnten praktiziert. Waismann, der für die Schweiz keine Zulassung als Arzt besitzt und deshalb nur als Berater mit dabei ist, will bereits 18'000 Patienten von der Opiatsucht befreit haben. Einen Beweis für die Wirksamkeit seiner Methode ist er bislang allerdings schuldig geblieben, es gibt bis heute keine einzige Studie zu ANR. Dafür wird dem ehemaligen Armee-Arzt von Kritikern eine ausgeprägte Geschäftstüchtigkeit attestiert. Auch in der Schweiz ist seine Therapie teuer: 16'000 Franken muss auf den Tisch legen, wer mit ANR clean werden will. Und nur gerade 4500 Franken gehen an die Klinik Interlaken als Entschädigung für die benutzte Infrastruktur und das Personal, das jeweils die Behandlungen durchführt.
Die Zusammenarbeit mit der Klinik Interlaken kam nur zustande, weil Waismann erstmals einer wissenschaftlichen Untersuchung seiner Methode zustimmte. Geplant ist eine Studie mit 150 Probanden in Zusammenarbeit mit dem Inselspital Bern, das selber allerdings keine Behandlungen durchführen wird, wie teilweise fälschlich berichtet wurde, sondern lediglich die wissenschaftliche Begleitung macht. Noch ist die Finanzierung nicht geklärt. Ein Antrag beim Schweizer Nationalfonds ist noch hängig. Sollte die Studie nicht zustande kommen oder die Wirksamkeit der Methode nicht bestätigen, will die FMI-Gruppe laut Direktor Urs Gehrig die Zusammenarbeit mit Waismann beenden.