Polizei setzt umstrittene Munition ein
Was in Frankreich schon Menschenleben gekostet haben soll, setzt jetzt auch die Basler Kantonspolizei bei Demonstrationen ein.
Veröffentlicht am 27. Oktober 2023 - 17:07 Uhr
Als «less lethal», also weniger tödlich, bewirbt der Thuner Hersteller B&T die Gummigeschosse, die kürzlich in Basel zum Einsatz gekommen sind. Die Kantonspolizei Basel-Stadt hatte damit gegen Mitglieder des Bündnisses Basel Nazifrei geschossen. Die rund 100 Personen hatten eine Demonstration der Massnahmengegner von Mass-Voll und den Freunden der Verfassung zum Anlass für eine Gegendemonstration genommen. Auf Anfrage bestätigte die Kantonspolizei Basel-Stadt die Vorkommnisse.
Die Rede ist von sogenannter Flashball-Munition, ursprünglich ein Markenname, der umgangssprachlich für derlei Gummimunition verwendet wird. Dabei handelt es sich um Gummigeschosse von 40 mal 46 Millimetern. Sie bestehen aus weichem, geschäumtem Kunststoff und sehen ähnlich aus wie ein Golfball. Im Gegensatz zu herkömmlichem Gummischrot, das ungezielt verschossen wird, richtet man die mit Flashball-Munition beladenen Waffen auf Einzelpersonen.
Menschenrechtskommissarin fordert Verbot
Flashball-Waffen werden gemeinhin als nicht tödlich kategorisiert. Der «Wucht-Schuss» entspreche in etwa einem «harten, exakten Faustschlag», schreibt B&T auf ihrer Website. «Rechnerisch und praktisch» erfolge kein Eindringen in den Körper. Schüsse auf Hals oder Kopf empfiehlt der Hersteller explizit nicht.
Da sich die Zielpersonen gerade bei Demonstrationen oft bewegen, kann der Einsatz auch zu ungewollten Treffern führen. Anlässlich der Gelbwesten-Proteste in Frankreich verurteilte die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatović, den Einsatz solcher Munition durch die französische Polizei scharf. In ihrem Memorandum führte sie aus, dass bis Anfang Februar 2019 nachweislich 12’122 Flashball-Schüsse abgefeuert wurden und es zu 193 Verletzungsfällen mit vielen Kopfverletzungen gekommen war. Sie forderte ein vorläufiges Verbot von Hartgummigeschossen.
Tatsächlich kam es rund um den Einsatz von Flashball-Munition auch schon zu Todesfällen. 2010 erlitt ein 40-Jähriger einen Herz- und Atemstillstand, nachdem er von einem Flashball-Geschoss an der Brust getroffen worden war. Zwar konnte er wiederbelebt werden, er verstarb jedoch einen Tag später im Krankenhaus. 2023 wurde bei Ausschreitungen in Frankreich ein unbeteiligter 27-jähriger Familienvater im Brustbereich getroffen, mutmasslich von Flashball-Munition. Er brach vor Ort tot zusammen. Die zuständige Staatsanwaltschaft eröffnete ein Verfahren.
In Bern seit 2021 im Einsatz
Zur Gefährlichkeit ihres Flashball-Systems bezog sich B&T 2019 auf ein Gutachten der Universität Bern von 2008, das die Munition als «sicher auf Nahdistanz» bezeichnet. Es wurde nie veröffentlicht, liegt der Tageszeitung «Der Bund» aber vor. Zwar könnten offene Wunden und gebrochene Finger ausgeschlossen werden, auf bis zu 30 Meter Distanz seien aber Leberrisse, Brustbeinbrüche und Frakturen des Gesichtsschädels nicht ausgeschlossen. Noch auf 60 Meter Entfernung könnten Rippenbrüche und irreversible Augenschäden auftreten, zitierte «Der Bund» das Gutachten 2019. Der Anlass: Die Berner Kapo führte zu diesem Zeitpunkt ein Pilotprojekt mit Flashball-Munition durch. Sie setze die Geschosse seit 2021 flächendeckend ein, heisst es auf Anfrage. Bislang sei eine Person im Genitalbereich verletzt worden. Es sei der einzige ihnen bekannte Fall.
Man habe Flashball-Munition in den letzten sechs Monaten nur zweimal bei Demonstrationen eingesetzt, heisst es bei der Kapo Basel-Stadt. Die Mitarbeiter der Sondereinheit Basilisk, die diese Waffen bei Einsätzen tragen, würden regelmässig geschult. Gezielt werde lediglich auf Rumpf und Extremitäten.
Zu den Todesfällen in Frankreich könne man keine Stellungnahme abgeben, da man nicht wisse, welche Munition verwendet worden sei.