Solch ein Brief ist wirklich selten: «Liebe Samichlaus, bitte chum nöd.» Diese Bitte erinnert mich unweigerlich an meine eigene Jugend: Wie hatte ich Angst vor dem Samichlaus – oder besser gesagt vor dem Schmutzli! Und heute? Heute bin ich als Pöstler der erste Gehilfe des Weihnachtsmanns und des Christkinds. Denn alle Briefe, die «an den Weihnachtsmann am Nordpol», «ans Christkind auf Wolke 7», «an Papa Noël» oder so ähnlich adressiert sind, werden von meinen Postkolleginnen und -kollegen gesammelt und mir zugestellt.

Lauter bunte Umschläge, die Kinder irgendwo in der Schweiz in einen Briefkasten gesteckt haben. Die Post leitet die Briefe an uns Helfer weiter, damit wir sie für den Weihnachtsmann und das Christkind vorbereiten. «Wir», das sind fünf Angestellte der Postfundstelle in Chiasso, die ich seit sieben Jahren leite.

Seither ist mir aufgefallen, dass die Kinder aus dem Tessin und aus der Westschweiz besonders gern ans Christkind gelangen. Und wie neugierig die Kleinen sind: Sie wollen vom «père noël» zum Beispiel wissen, ob die Arbeit im Dezember besonders hart ist, ob «il babbo natale» friert, wenn er nachts mit dem Schlitten durch den verschneiten Wald fährt, oder wie es oben im Himmel aussieht.

«Ich bin gross und werde brav sein»
Die Kinder schreiben aber nicht nur, sie zeichnen vor allem. Einige legen auch gleich ihre ganze Wunschliste bei oder schneiden aus dem Spielzeugkatalog das Objekt ihrer Begierde aus, zum Beispiel eine Rennbahn oder ein Stofftier. Nur wenige wünschen sich ganz prosaisch Frieden auf der Welt und weniger Hunger – oder sind genügsam: «Mir gefällt alles.»

Viele Kinder schenken aber auch selber, indem sie eine kleine Gabe «für arme Gspäändli» beilegen: einen Scherenschnitt, etwas Selbstgebasteltes, einen Rachenputzer oder ein Zeltli, ein Stofftierchen. Besonders rührt es mich, wenn sich ein Kind von seinem «Nuggitüchlein» trennt und es dem Weihnachtsmann schickt, «weil ich nun gross bin und fortan brav sein werde». Was in so einem Kind vorgehen mag! Das ist etwas ganz Intimes.

Absender: Nach der Badi links
Was das Christkind später tatsächlich unter den Weihnachtsbaum legt, wird sich erst noch zeigen – meist hat ja die Mutter beim Briefschreiben ans Christkind geholfen. Mindestens aber erhalten alle Kinder, die uns schreiben, eine Antwort, in der Regel auch ein kleines Gschänkli. Und die Sonderbriefmarke trägt selbstverständlich den Poststempel von Bern-Bethlehem. Voraussetzung für eine Antwort ist allerdings, dass wir die Adresse des Absenders haben – oder finden.

Oft wissen wir nur, dass etwa das Kind Kevin heisst, sechs Jahre alt ist und das Kuvert in Langenthal abgestempelt wurde. In solchen Fällen wird der dort zuständige Pöstler kontaktiert, und die Suche nach allen kleinen Kevins beginnt. Einfacher ist es, wenn dieser Bub schreibt, dass der Weihnachtsmann «nach der Badi links» mit seinem Schlitten abbiegen müsse, um zu ihm zu gelangen. Dort stehe ein gelbes Haus an der Fantasiestrasse, wo er – der Kevin – im dritten Stock wohne.

Es gibt freilich auch Briefe, bei denen wir nicht mehr weiterwissen – etwa beim Umschlag, der von einer Maria im Shopping-Center Emmen eingeworfen wurde. Da haben wir Gehilfen überhaupt keine Möglichkeit, diese Maria ausfindig zu machen. Aber nur rund zehn Prozent aller Absender finden wir nicht.

Gewiss, der Aufwand für die Post ist gross. Und er hat seit 1950, als der Weihnachtsmann und das Christkind die Post zum ersten Mal um Mithilfe baten, stetig zugenommen.

Letztes Jahr kamen 14'644 Kuverts mit Wünschen ans Christkind bei uns an. Was das kostet, ist keine Frage. Darüber sprechen wir nicht. Handelt es sich doch um ein Geschenk an die Kinder. Ich finde es einfach das Nonplusultra, dass die Post das macht. Notabene in dieser Zeit der Hektik und des Sparens. Sollten das Christkind und der Weihnachtsmann die Aktion eines Tages aufgeben, würde ich sie privat weiterführen. Aber dazu wird es gewiss nie kommen. Es darf doch nicht sein, dass ein Brief unbeantwortet bleibt, den ein Kind in ein Luftpostkuvert gesteckt und an den Himmel geschickt hat! Oder noch schlimmer: Der Brief käme zurück mit dem Vermerk, er sei unzustellbar. Da würde für das Kind eine Welt zusammenbrechen.

Christkind ohne E-Mail-Adresse
Manchmal gibt es Briefe, die belasten: Wenn es um die Krankheit der Mutter geht, die das Christkind heilen soll. Oder dass der Papi wieder Arbeit findet. Solche Fälle sind aber zum Glück die Ausnahme.

Ich habe schon viel erlebt als Christkind- und Samichlaus-Gehilfe. Nur eines würde ich nicht unterstützen: eine E-Mail-Adresse! Sonst sehe ich all die wunderbaren Bastel- und Zeichenarbeiten nicht mehr, diese Liebe und Mühe, die hinter jedem einzelnen Brief steckt. Nur so sehe ich den Weihnachtszauber in den Augen der Kinder funkeln – und fühle mich tatsächlich fast ein wenig als Weihnachtsmann oder als Christkind.

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