Die Hilfssheriffs von nebenan
Selbsternannte Ordnungshüter wollen dort Regeln durchsetzen, wo die Staatsgewalt wenig Präsenz zeigt. Das nimmt immer absurdere Formen an.
Veröffentlicht am 2. August 2010 - 10:18 Uhr
Mit Megaphon und Sirene versuchte Verena Keller vor kurzem im St. Galler Ahorn-Quartier Altglas-Sünder zu vertreiben. Warf jemand seine leeren Flaschen ausserhalb der erlaubten Zeiten bei der Sammelstelle ein, machte Keller einen Höllenlärm und gab die regulären Einwurfzeiten per Lautsprecher durch.
Anwohner meldeten das der Polizei. Doch die konnte nicht herausfinden, wer hinter der Sirenenattacke steckte. Erst der Regionalsender Tele Ostschweiz schaffte es, die Urheberin zu ermitteln. Da hatte sie ihre Nachbarn schon seit zehn Tagen terrorisiert. Verena Keller gab dem Sender zu Protokoll, sie habe den Lärm bei der Glasrückgabestelle einfach nicht mehr ausgehalten. Den von ihr verursachten Lärm hielt sie dabei für verhältnismässig. Keller hat sich mit der Polizei nun darauf geeinigt, das Getöse aufzugeben – und kassiert dafür keine Anzeige.
Die Hilfssheriffs der Nachbarschaft reagieren aber nicht nur auf unmittelbar vor sich gehende Gesetzesverstösse. Manche lassen sich auch zu zweifelhaften Präventivmassnahmen hinreissen: Die Bewohner eines Stadtzürcher Mietshauses staunten letztes Jahr nicht schlecht, als ihnen beim Heimkommen ein ätzender Dampf in Nase und Augen stieg und sie unfreiwillig zu Tränen rührte. Ein Mitmieter hatte das Treppenhaus mit Tränengas vollgesprayt. Er wollte allfälligen Einbrüchen vorbeugen.
Besonders beliebt bei den Freizeitpolizisten ist die Kontrolle von Verkehrssündern. Jeder kennt einen Pensionär in seiner Nachbarschaft, der solche mit grossem Eifer vom Fensterplatz aus zurechtweist. So einfallsreich wie Hans Burren sind aber wenige: Der damals 87-Jährige aus Gasel BE baute vor eineinhalb Jahren eine täuschend echt aussehende Radarfalle, weil ihn die Raser in der Tempo-40-Zone vor seinem Haus nervten. Den Blitz konnte der ehemalige SVP-Gemeinderat sogar von seinem Bett aus betätigen. Einen Monat Arbeit kostete ihn die Konstruktion. Als Vandalen seine Anlage zerstören wollten, erweiterte er sie um eine Alarmanlage und Flutlicht.
Entwaffnend ehrlich sagte er dem Schweizer Fernsehen, er habe den Aufwand auf sich genommen, damit es ihm nicht so langweilig sei. Mit der Polizei bekam er keine Probleme. Die Radarattrappe stand auf Burrens eigenem Grundstück und war somit erlaubt.
Was den unaufgeforderten Hilfskräften der Staatsgewalt meist gemein ist: Sie befinden sich im Rentenalter oder gehen keiner geregelten Alltagsbeschäftigung nach. So stellt sich die Frage, ob sie ihre Energie nicht besser in einen Kurs einer Volkshochschule investieren sollten. Vielleicht gibts ja einen zum Thema «Abwechslung im Alltag», «Lust statt Frust» oder «Wie mache ich mir Freunde?».
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