Das lässt sich nicht allgemein gültig beantworten, weil es auf die Situation und auf die Personen ankommt. Es gibt aber Kriterien, um Übergriffsfälle zu beurteilen.

Am wichtigsten sind die Empfindungen der Empfängerin der Berührungen, und die lassen sich ganz einfach erfragen. Zum Beispiel: «Ist es Ihnen unangenehm, wie ich Sie anfasse?» Oder: «Darf ich Ihren Rücken massieren?» Es geht nämlich um den Respekt gegenüber der körperlichen Integrität des anderen. Seine Grenzen sind zu achten. Sollten Sie künftig in eine ähnliche Situation geraten, so suchen Sie die Kommunikation und stecken Sie Grenzen ab, bevor es zu spät ist.

Trainer müssen noch aufmerksamer sein. Wenn diese Berührungen einsetzen, müssen sie sich bewusst sein, dass es sich um eine Dienstleistung handelt. Spüren sie, dass sie bei Berührungen eigene Bedürfnisse befriedigen, sollten sie mit einem Supervisor darüber sprechen. Bereits dieser Schritt hilft, weil er zur Professionalität zurück- und aus allfälligen libidinösen Verstrickungen herausführt. Ohne rechtzeitigen Stopp kann es nämlich zu sexuellen Handlungen zwischen Dienstleister und Klientin kommen. Dies macht die Arbeit unmöglich und schädigt die Kundin.

Partnerinhalte
 
 
 
 

Therapie nicht mit Liebe verwechseln
Grosse Bedeutung hat dies etwa in der Psychotherapie. Da sich die Klientinnen oft zum ersten Mal im Leben wirklich verstanden fühlen, weil der Therapeut während einer Stunde nur für sie da ist, verwechseln sie das oft mit partnerschaftlicher Liebe. In der Psychoanalyse gehört es fast zum Normalverlauf, dass sich die Patientin in den Therapeuten verliebt.

Bereits Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, hat dies vor 100 Jahren erlebt, aber auch sofort erkannt, dass die Gefühle nicht dem Therapeuten als Person, sondern nur seiner Rolle gelten. Er nannte das Phänomen «positive Übertragung» und rettete sich damit vor einer Verstrickung. Wenn sich ein Psychotherapeut während der Behandlung mit einer Klientin sexuell einlässt, ist dies zwar weniger ein Machtmissbrauch, der aus der Stärke kommt, als vielmehr ein Zeichen der Schwäche des Therapeuten. Dass er sich in eine Liebesgeschichte verrennt, ist aber ein Kunstfehler. Der sexuelle Missbrauch einer Klientin wird von den Standesorganisationen der Psychotherapeuten streng verurteilt.

Gerade Menschen, die schon als Kinder missbraucht wurden, haben oft auch als Erwachsene sehr wenig Kraft, sich gegen Übergriffe zu wehren. Präventiv gehört es daher zur Sexualerziehung unserer Kinder, dass man sie ermutigt, sich gegen jede Verletzung ihrer körperlichen Integrität, gegen jedes Überschreiten ihrer Körpergrenzen zu wehren. Auch überwältigende rücksichtslose Zärtlichkeit kann ihnen zu viel werden.