Es ist das fast perfekte Verbrechen. An eine Vergewaltigung unter Einfluss der Droge GHB (Gammahydroxybuttersäure; siehe «Partydroge GHB») können sich die Opfer nachher nicht mehr erinnern. Sie haben ein Blackout und spüren nicht, was mit ihnen geschieht. Stunden später kommen sie zu sich und stellen fest, dass sie Geschlechtsverkehr hatten – aber sie wissen nicht mit wem. Auch dass sie mit einer Droge betäubt wurden, wissen sie nicht.

«Wenn eine Frau nach einer Party oder einer Einladung auf diese Weise zu sich kommt, dann fühlt sie sich nur noch unendlich verletzt und schmutzig», sagt Barbara Dahinden, Beraterin beim Zürcher Nottelefon für Frauen. Viele Opfer schweigen aus Scham. Andere melden sich erst dann beim Nottelefon, wenn die psychische Last übermächtig geworden ist. Das kann laut Dahinden Wochen, manchmal sogar Monate oder Jahre dauern.

«Wie ein Hammerschlag auf den Kopf»
Die 32-jährige Rahel (Name geändert) hatte Glück: Sie wurde nicht vergewaltigt. Dennoch will die Sekretärin ihren richtigen Namen nicht publiziert sehen – aus Angst, der unbekannte Angreifer könnte ihren Wohnort herausfinden. Letzten Winter besuchte sie das Zürcher Szenelokal Palav-rion. «Man wird hier nicht gerade angemacht, aber schon häufig angesprochen», sagt sie. Es ist ein Ort, an dem sich schnell neue Bekanntschaften ergeben. Rahel unterhielt sich nach links und rechts, leerte den ersten Drink – und fühlte sich plötzlich, als habe ihr jemand «mit einem Hammer auf den Kopf gehauen».

Dass es nicht der Alkohol sein konnte, war ihr sofort klar; zu gering war die Menge. Sie fühlte sich «sterbenselend», legte sich auf eine Bank; die Welt um sie herum drehte sich. Eine Freundin brachte sie auf die Toilette, schleppte sie an die frische Luft, dann wieder ins Lokal. Schliesslich setzte die Freundin Rahel in ein Taxi, das sie nach Hause fuhr. Dort empfing sie ein Nachbar. Rahel warf sich mitsamt Kleidern und Schuhen ins Bett und schlief ein.

«Es war wie ein Filmriss», sagt Rahel heute. Sie sitzt in einem Zürcher Café, spielt mit dem Zuckerbeutel und gibt wieder, was sie selbst nur aus Nacherzählungen ihrer Bekannten kennt. Denn sie selber kann sich kaum an die Ereignisse des Abends erinnern. Beweise dafür, dass jemand in der Hand ein Fläschchen GHB versteckt hielt und ihr daraus ein paar Milliliter ins Glas schüttete, gibt es nicht. Doch irgendwer im Lokal muss sie sehr genau beobachtet haben, und das kann sie nicht vergessen. Vor allem, weil es ihrer Freundin noch am selben Abend und am selben Ort genau gleich erging: Auch sie verlor den Boden unter den Füssen.

Ursprünglich ein Anästhesiemittel
Daniel (Name geändert) scheut die Öffentlichkeit noch mehr als Rahel. Er lehnt ein persönliches Treffen ab, er will dieses Erlebnis «nicht weiter ausschlachten».

Er ist nur via E-Mail bereit zu erzählen, was ihm widerfuhr. Daniel besuchte die Zürcher Schwulendisco Labyrinth. Nach einigen Drinks fand er sich plötzlich am Boden wieder. «Meine Freunde mussten mich hinaustragen.» Eine Stunde lang war Daniel bewusstlos. Schnell wurde ihm klar, dass jemand «einen GHB-Anschlag» auf ihn verübt hatte.

Daniel kennt sich aus mit der Droge – mitunter nimmt er sie bewusst. Doch an diesem Abend hatte er sich dagegen entschieden, denn die Kombination der Substanz mit Alkohol kann tödlich sein: Sie führt zu Lähmungen der Atemmuskulatur. Seit jenem Abend wisse er, dass «so etwas auch einem Mann passieren kann», schreibt Daniel.

GHB regelt als körpereigener Botenstoff den Schlaf-wach-Rhythmus. In den sechziger Jahren erstmals synthetisiert, wurde die Substanz als Anästhesiemittel und beim Alkoholentzug verwendet, geriet aufgrund der Nebenwirkungen und der schwierigen Dosierbarkeit aber wieder in Vergessenheit. Mitte der neunziger Jahre tauchte die Substanz erstmals in der amerikanischen und der englischen Klubszene auf, weil sie entspannt, tanzfreudig stimmt, die Wahrnehmung steigert und sexuell stimuliert. Aus dieser Zeit sind die ersten Todesfälle bekannt.

Wenig später kam die Droge auch aufs europäische Festland. Sie wurde in der Schweiz schnell beliebt, wie die Statistik des Toxikologischen Instituts zeigt: Die Zahl der gemeldeten Vergiftungen vervielfachte sich in wenigen Jahren.

Inzwischen hat das Bundesamt für Gesundheit den Konsum verboten – mit der Konsequenz, dass der Stoff nun entweder unter dem Ladentisch gehandelt oder, weitaus gefährlicher, in Heimlabors hergestellt wird. Das Rezept dazu findet sich im Internet.

Wie viele Frauen und Männer in der Schweiz bislang mit Hilfe von GHB vergewaltigt wurden, ist ungewiss. Eine Umfrage bei 20 Beratungsstellen in der Deutschschweiz stösst einzig beim Zürcher Nottelefon für Frauen auf ein Echo. Hier haben im vergangenen Jahr rund 15 Frauen angerufen und gemeldet, sie seien vermutlich unter Drogeneinwirkung vergewaltigt worden. Die geschilderten Symptome weisen auf GHB hin.

Aufgrund ihrer Schweigepflicht gibt Beraterin Barbara Dahinden über die Opfer nur allgemeine Auskünfte. Die Frauen sind zwischen 17 und 35 Jahre alt und arbeiten in den verschiedensten Berufen. Nur rund die Hälfte der Vergewaltigungen findet an Partys statt, die anderen ereignen sich im Freundeskreis.

Ans Nottelefon wendeten sich die Frauen nie unmittelbar nach der Tat, so Dahinden, sondern «frühestens nach 14 Tagen» – zu tief sitzt der Schock. Ärztliche Untersuchungen können eine Vergewaltigung zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht mehr nachweisen, was den Erfolg einer Anzeige wesentlich schmälert. Notwendig sind dann nur noch zwei Laboruntersuchungen: ein HIV- und ein Schwangerschaftstest.

Nur schwer nachweisbare Substanz
Zur Verantwortung gezogen werden können einzig Männer, die sich selbst verraten. Zu ihnen zählt etwa der Amerikaner Andrew Luster, millionenschwerer Erbe des Kosmetikunternehmens Max Factor. Luster lud über Jahre hinweg weibliche Gäste in sein Strandhaus in Kalifornien ein, versetzte die Getränke mit GHB und verging sich anschliessend an den wehrlosen Frauen. Dabei filmte er sich selbst. Die Opfer konnten sich nur daran erinnern, dass sie müde wurden. Am nächsten Morgen fanden sie sich in Lusters Bett – angezogen. Auf die Fragen der Frauen erwiderte Luster jeweils, er habe sie ins Bett gelegt, er selber habe aber anderswo geschlafen.

Erst nachdem eine der Frauen misstrauisch geworden war und Anzeige erstattet hatte, kamen die Videobänder ans Licht. Die meisten der vergewaltigten Opfer realisierten die Tat erst, als sie sich auf dem Bildschirm sahen. Von der Vergewaltigung selbst hatten sie nichts gemerkt. Luster wurde letzten Sommer zu 124 Jahren Haft verurteilt.

In der Schweiz sind bis heute keine rechtskräftigen Verurteilungen bekannt. Peter Iten, forensischer Chemiker und Toxikologe am Institut für Rechtsmedizin der Universität Zürich, weiss nur von zwei Fällen, bei denen man mit «einiger Wahrscheinlichkeit» davon ausgehen könne, dass bei der Vergewaltigung GHB eingesetzt worden sei. Doch der schnelle Abbau der Droge verunmöglicht meistens den Nachweis: Bereits nach wenigen Stunden ist der GHB-Gehalt in Blut und Urin nicht mehr feststellbar. Somit lässt sich das «Tatwerkzeug» nicht eruieren. Und weil sich die Opfer nicht an die Tat erinnern, kommen sie als glaubwürdige Zeugen nicht in Frage.

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GHB: Das «flüssige Ecstasy» hats in sich

Die farb- und geruchlose, leicht salzig schmeckende Flüssigkeit Gammahydroxybuttersäure (GHB) – in der Szene auch «flüssiges Ecstasy» genannt – erzeugt Rauschzustände, die je nach Dosierung von angenehmer Entspannung bis zu tiefem Koma reichen. Die schwierige Dosierbarkeit macht GHB gefährlich, insbesondere in Zusammenhang mit Alkohol. Diese Kombination hat in der Schweiz bereits zu Todesfällen geführt.

  • Umfassende Informationen über GHB – inklusive Hinweise über den Umgang mit der Droge, Sex unter GHB-Einfluss und Diskussionen über mögliche Vergewaltigungen – finden sich auf der Website von «eve&rave» (www.eve-rave.ch).

  • Als Anlaufstellen für Opfer sexueller Übergriffe oder Vergewaltigungen bieten sich die verschiedenen Nottelefone und Opferberatungsstellen an. Sie sind zur Anonymität verpflichtet. Eine Zusammenstellung der Telefonnummern für Frauen findet sich auch im Internet unter www.frauenberatung.ch, Anlaufstellen für beide Geschlechter unter www.lilli.ch.

  • Die Telefonnummer 143 hilft persönlich und rund um die Uhr. Die Beraterinnen und Berater der «Dargebotenen Hand» vermitteln in der Not nicht nur Adressen, sondern unterstützen auch in psychischen Krisensituationen.