Veröffentlicht am 19. Januar 2023 - 14:00 Uhr
Er dort. Sie da. Keine Umarmung, als sie sich sehen. Keine Hand auf der Schulter, um zu trösten. Eine dicke Glasscheibe trennt Ernestine K. und Sebastian B. von ihrem Sohn Raphael.
Wenn sie mit ihm sprechen wollen, müssen sie sich tief zum Mikrofon herunterbeugen und können ihm beim Reden nicht in die Augen sehen. Denn die Gegensprechanlage des Regionalgefängnisses Bern funktioniert nicht richtig.
«Kurz dachten wir, dass es vielleicht besser sei, wenn wir Raphael einzeln besuchen», erinnert sich die Mutter. Damit sie nicht beide total niedergeschlagen das Gefängnis verlassen. «Wir machten es ein einziges Mal. Es war aber noch schlimmer, weil wir das Erlebte nicht teilen und zusammen besprechen konnten.»
Raphael K. wird als Teenager auffällig, er ist immer wieder wie von Angst zerfressen. Ärzte stellen eine paranoide Schizophrenie
fest. Der Jugendliche wird mehrmals stationär behandelt. Wenn er Alkohol getrunken hat, kann es vorkommen, dass er auf der Strasse Leute anpöbelt, sie beleidigt und anspuckt. Als er in einer Disco einen anderen Gast mit einer Flasche an der Stirn verletzt, ist das die eine Tat zu viel. Er wird verhaftet.
Der Staatsanwalt erfährt von der Krankengeschichte. Ein Arzt sagt, es spreche nichts dagegen, Raphael K. trotz seiner Krankheit zu inhaftieren. Darum kommt er nicht in eine psychiatrische Klinik, sondern in Untersuchungshaft. Dort, im Regionalgefängnis Bern, wird er fast sieben Monate bleiben – obwohl er nie von einem Gericht verurteilt worden ist.