Web-Rechtsextremismus: Das Portal zu braunem Gedankengut
In Deutschland und den USA stösst man im Internet auf Hunderte von Websites mit rechtsextremem Inhalt. Wie sieht es hierzulande aus: Sind Skinheads auch im Netz – und nicht nur auf dem Rütli – präsent? Protokoll einer Internet-Recherche.
Veröffentlicht am 27. September 2000 - 00:00 Uhr
29. August
Ich tippe das Stichwort «Hammerskins» ein. Es erscheinen 99 Web-Seiten, vor allem Presseartikel aus der Antirassismusszene. Original-Homepages von Schweizer Hammerskins sind keine darunter. Zum Stichwort «Skinheads» liefert die Suchmaschine sear.ch bereits 677 Seiten. Die Hauptschwierigkeit besteht darin, die Schweizer Rechtsradikalen herauszufiltern.
Nach einem Tag Recherchen sind Hinweise auf 30 Schweizer rechtsextreme Jugendgruppen und ein halbes Dutzend Hooligan-Cliquen beisammen. Die Namen sind Programm: Kameradschaftsbund Ostschweiz, Volkssturm Unterland, Böhse Patrioten Fricktal, Blut und Ehre, Rechtsradikale Mutschellenfront, Morgenstern Sempach, Neo-Faschistische Front. Ein Skin-Magazin nennt sich «Berserker».
Noch aggressiver tönen die Namen von Hooligan-Gruppen, die sich aus Fussballstadien und Eishockeyhallen rekrutieren: Anal-Terror und Jugo-Power (beide Basel), Armata Sezione Nord und Ultras 88 (beide Lugano). 88 steht für «Heil Hitler» – H als achter Buchstabe im Alphabet.
Gemäss Jürg Bühler von der Bundespolizei bewegten sich 1990 rund 200 Personen in der rechtsextremen Skinhead-Szene. Heute geht man von ungefähr 750 Personen aus. Rechtsextremismus-Experte Hans Stutz untersuchte die soziale Zusammensetzung von 56 Skinheads, die 1995 nach der Schlägerei von Hochdorf LU verhaftet wurden: «Mit einer Ausnahme sind alle ledig, viele leben noch bei ihren Eltern, meist in ländlicher oder kleinstädtischer Umgebung.» Abgesehen von drei Personen seien alle in handwerklichen Berufen tätig, teilweise noch in der Lehre. Arbeitslos waren nur wenige. Die Hälfte war keine 20 Jahre alt, kaum einer älter als 25.
30. August
Dem Netz entnehme ich, dass in Deutschland der Verfassungsschutz 1999 rund 330 rechtsextremistische Homepages zählte. Weltweit sollen es etwa 1400 einschlägige Sites aus über 30 Staaten sein. Aus der Schweiz liegen bisher keine Zahlen vor. Jürg Frischknecht, Verfasser des Buchs «Rechte Seilschaften», kennt «praktisch keine Homepages» von Schweizer Gruppen. «Bisher waren es immer Private, die solche Texte ins Netz stellten.»
«Dragon88» etwa wurde von einem Mitglied der St. Galler «Rhein-Front» betrieben, «Saccara» von einem 22-jährigen Zürcher, der sich keiner Gruppe zuordnet. Auf der Seite von «Dragon88» posiert der 20-jährige Inhaber vor einer Hakenkreuzfahne, den Arm hochgerissen zum Hitler-Gruss. Im Gästebuch von «Saccara» stehen Sprüche wie «Haut allen … die Fresse blau». Inzwischen sind die beiden Seiten geschlossen worden. Grund: Verstoss gegen das Antirassismusgesetz.
Auch im Kanton Wallis existiert eine rechtsradikale Szene. Ihr Zentrum ist Brig. «In einschlägigen Lokalen lassen sie sich mit Bier voll laufen. Dann werden mit Vorliebe Ausländer aufgemischt und vermöbelt», erzählt ein einheimischer Jugendlicher. Die Polizei will bisher keine Anzeichen verstärkter Gewalt festgestellt haben. Was aber viele beschäftigt: Der heutige Kopf der Oberwalliser Glatzen war früher bei der Jungwacht. Dort habe er mit den Kindern Adventskränze gebastelt – mit einem Hakenkreuz als Zier.
31. August
Drei Tage Recherchen zeigen deutlich: Von Schweizer Rechtsradikalen ist online wenig zu finden, über Rechtsradikale hingegen sehr viel. Linke Jugendgruppen und antifaschistische Komitees sind im Internet viel stärker präsent als die Skinheads, Hooligans und Neonazis selbst. Jedenfalls auf den von Schweizer Providern verbreiteten Seiten – und juristisch spielen Ländergrenzen eine Rolle. Die Aufklärung im Netz funktioniert gut.
Anders sieht es auf dem deutschen und dem amerikanischen Daten-Highway aus. Wer hier herumsurft, stösst rasch auf ungefilterte Blut-und-Boden-Ideologie, mythologisch-esoterisch verbrämte Geschichtslegenden und stramm-braune Führerschaftsrhetorik. Gelegentlich wird die Stimmung kräftig aufgeheizt mit der Beschreibung von Ku-Klux-Klan-Riten, rassistischen Witzen, Aufrufen zum Judenboykott. Häufig stellen Links die Verbindung zu rechtsradikalen Webrings und verwandten Gruppen her. Auf manchen Seiten wird sogar eine monatliche Hitliste der besten «Skin-Sites» geführt.
4. September
Rechtsextremismus ist auch ein Medienphänomen. Überdurchschnittlich viele Presseberichte erschienen in den Monaten Juli und August 2000, obwohl nach Auffassung von Experten die Neonaziszene in den letzten Monaten kaum gewachsen ist. Im Buch «Rechte Seilschaften» von 1998 sind praktisch alle wichtigen Exponenten und Gruppen bereits vorgestellt. Doch die zunehmenden Gewaltakte in Deutschland und die Störung von Bundesrat Villigers Rütli-Rede haben hierzulande Medien und Politiker in Alarmzustand versetzt.
So legten sich Chefredaktoren und Chefkommentatoren kräftig ins Zeug, beschwörten den starken Staat und forderten ein schärferes Durchgreifen. Selbst ehemalige Fichierte plädierten für vermehrte polizeiliche Observation des Gegners. Im neusten Staatsschutzbericht vom Mai 2000 durfte die Bundespolizei wieder ungehindert über eine «Geburtstagsparty vom 9.10.99 im Garten eines Privathauses in Niederdorf BL mit 17 Personen aus den Kantonen Baselland, Aargau, Bern und Waadt» rapportieren: «Darunter befanden sich vier bekannte Skinhead-Exponenten. Am Versammlungsort war eine Fahne mit dem Keltenkreuz und der Aufschrift "Blood & Honour" angebracht.»
Besonnenere und liberale Stimmen warnten dagegen vor einem «Alarmismus» – in ungewohnter Eintracht mit SVP-Wortführer Christoph Blocher. Ihr Hauptargument: Mit überdrehter Medienaufmerksamkeit und aufgeregter Politikerhektik verschaffe man den Glatzköpfigen die beabsichtigte Resonanz und weiteren Zulauf frustrierter Jugendlicher. Die Provokation scheint aufzugehen.
5. September
Nach fünf Tagen gelingt es mir, mit einem Rechtsradikalen Kontakt aufzunehmen. Der 22-jährige Stefan W. ist Betreiber der Homepage «Saccara». Anfang August hat die Bundespolizei die Seite geschlossen und Strafanzeige wegen Verbreitung rechtsradikaler Parolen eingereicht. Gegenüber der Öffentlichkeit erklärte Stefan W., er trage keine Verantwortung für den Inhalt externer Links und «falsch verstandene Sätze». Via E-Mail entspannt sich folgender Dialog:
Beobachter: Welches sind die Beweggründe für Ihr politisches Handeln?
Saccara: Ich hoffe, Ihnen ist klar, dass ich weder Neonazi noch in einer Gruppierung bin. Stellen Sie Ihre Fragen.
Beobachter: Welches war der Inhalt Ihrer Homepage vor der Schliessung?
Saccara: Ich wollte eine Seite erstellen, wo sich der «normale» interessierte Mensch informieren kann, was Skinheads sind, was man mit Hooligans anfangen soll und was die rechtsextreme Seite mit Wikingern und so weiter zu tun hat. Dazu habe ich tonnenweise Liedtexte, Nachrichten, Geschichtsdokumente veröffentlicht. Zudem hatte ich ein Gästebuch, das von vielen Leuten genutzt wurde, teilweise leider mit illegalen Äusserungen. Bilder wurden ebenfalls gezeigt, viele Tattoos und lustige Bilder. Es wurden nie Hakenkreuze oder Ähnliches veröffentlicht.
Beobachter: Wenn Sie weder Neonazi noch in einer Gruppierung sind, wo stehen Sie politisch? Für welche Bewegung oder Persönlichkeit hegen Sie Sympathie?
Saccara: Ich denke, in der Schweiz kann man nicht von Politik reden.
Beobachter: Haben Sie Kontakte zu Neonazis oder Rechtsextremen?
Saccara: Nein.
Beobachter: Nochmals: Warum haben Sie Ihre Homepage betrieben?
Saccara: Weil praktisch alle Leute keine Ahnung haben, wovon sie reden.
Beobachter: Wir möchten Sie persönlich treffen. Sind Sie bereit dazu?
Saccara: Nein, danke.
Beobachter: Nach unseren Informationen sind Sie Stefan W., 22, Informatiker aus M. Stimmt das?
Saccara: Jepp.
Beobachter: Warum zählt Sie die Bundespolizei zu den «führenden Neonazis der Schweiz»?
Saccara: Weil die Bundespolizei nun mal keine Ahnung von der rechtsextremen Szene hat.
Beobachter: Wegen Ihrer Aktivitäten wurden Sie von Ihrem Arbeitgeber entlassen. Welches war die Begründung?
Saccara: Dazu gebe ich keinen Kommentar.
Beobachter: Nach Schliessung Ihrer Homepage haben Sie erklärt, dass Sie mit einem neuen Server ins Netz gehen. Wo steht der, und wann wird das der Fall sein?
Saccara: Neuer Server? Hallo, ich habe immer den gleichen Server.
6. September
Die virtuelle Welt ist ein Spiegel der realen Welt. Beim Surfen durchs World Wide Web stosse ich auf Tausende von Bildern schwarz gekleideter junger Kahlköpfe in Bomberjacken, Springerstiefeln und mit dem Runenkreuz auf Gürtelschnallen. Ihre Fanzeitschriften heissen «Skinzines» (abgeleitet von «Magazine») oder «Zines». Sie beschäftigen sich mit einschlägigen Bekleidungsaccessoires und vor allem mit Musik. Politik kommt erst an dritter Stelle.
«Die Musik ist Medium Nummer eins der Glatzen», sagt Experte Jürg Frischknecht. Skins lassen sich durch aggressiven Rechts-Rock und Nazi-Kampflieder aufputschen. Zu den rechtsradikalen Bands in Deutschland zählen etwa die «Zillertaler Türkenjäger», «Kraft durch Froide» oder «Sturmtrupp». Die Songtitel heissen «Zehn kleine Negerlein», «Heil dem Führer», «Kanakenkiller» und so fort.
Der Markt rechtsradikaler Tonträger, T-Shirts, Broschüren und Waffen ist inzwischen grenzüberschreitend. Im Juli sperrte die Bundespolizei das «White Power Portal», über das 13 deutsche Homepages aufgeschaltet waren. Der Portalrechner stand bei der Cablecom-Tochter Swissonline.
Immer noch offen aber ist «Kraftland». «Willkommen in meinem Reich», werden die Besucher vor einer flatternden Schweizer Fahne von «FinnSkin88» begrüsst. Der Homepage-Betreiber bezeichnet sich als 22-jähriger Medizinstudent «irgendwo in der Schweiz». In der Freizeit spiele er Fussball und treffe sich mit Freunden in der Stammkneipe: «Dort lästern wir über so ziemlich alles und jeden.» Seine Lieblingsbands seien «Landser, Kraftschlag und Stahlgewitter».
Eindeutig rassistisch wird es im Gästebuch und auf der SpaSS-Seite mit Juden- und «Nigger»-Witzen, auch wenn als Deckmäntelchen der Hinweis «nur zu Bildungszwecken» vermerkt ist. Wer Nazisongs herunterladen will, muss als Benutzernamen «doelf» und als Passwort «heil» eingeben. Auf die Anfrage des Beobachters reagiert «FinnSkin88» mit Schweigen.
7. September
Trotz dem Versteckspiel der braunen Website-Betreiber mit ihren wechselnden Adressen finde ich eine weitere Spur von «Saccara» auf einem amerikanischen Server. Die «Patrioten Seite» sei im Aufbau begriffen, schreibt der junge Eidgenosse und verteidigt die Skins: «Ein normaler Schweizer Bürger braucht vor keinem Angst zu haben.» Skins wollten nur «Ordnung ins Land bringen». Und für den Ausländerhass gebe es schliesslich Gründe: «Nicht die Schwarzen wurden als Erstes versklavt, sondern die Weissen!»
Einer der «Saccara»-Links führt zur Homepage von Christoph Blocher, ein anderer zum MP3-Musikserver. Zwei weitere verbinden direkt mit einer Galerie von US-Pornoseiten, die ihrerseits Dutzende von Sex-Links enthalten. Die Verbindung von Skins und Sex war bisher erst im Ausland zu beobachten. In den USA und in Deutschland stellen einzelne Glatzköpfe auf ihrer Homepage Hunderte von knackigen Skinboy- und Skingirl-Bildern ins Netz – keine Nacktfotos, aber Bilder, die augenfällig die männlichen und weiblichen Formen der knapp bekleideten Jugendlichen betonen. Auf anderen Homepages können sich Schuhfetischisten an fein gewichsten und hoch geschnürten Stiefeln ergötzen.
11. September
«Geile Page… echt Klasse!», hat inzwischen «Zaubermaus», ein begeistertes Skingirl, ins Gästebuch von «Kraftland» geschrieben. «Mach wiiter so», muntert ein «Kamerad us de Oschtschwiiz» auf.
Doch auch ein Gegner war zu Besuch. Sein Fazit: «Also wenn ich da bei euch reinschaue, wird mir ziemlich schlecht von so viel Hass.»