Schwitzen, auch wenns kalt ist
Feuchte Hände, nasse Stirn, ständig Schweissränder auf dem T-Shirt: Für Menschen, die übermässig schwitzen, wird der Alltag zur Qual. Und: Es gibt nur wenige Therapien, die dauerhaft Linderung bringen.
Veröffentlicht am 9. August 2007 - 16:16 Uhr
Werner Lanz beschreibt seine Hyperhidrose so: «Andere Leute schwitzen, ich laufe aus.» Wie kürzlich, als der 64-Jährige am Basler Rheinufer auf einer Treppenstufe sass. Er hatte sich kein bisschen angestrengt - trotzdem lief ihm der Schweiss in Bächen hinunter.
Das übermässige Schwitzen hat bei Lanz in jungen Jahren angefangen. Vieles hat er inzwischen ausprobiert, auch Akupunktur. Nichts half. Vor ein paar Jahren entschied sich Lanz zu einem radikalen Schritt: Er liess sich im Spital den Nerv durchtrennen, der das Schwitzen steuert. «Am Kopf schwitze ich seither nicht mehr so stark, und ich bin froh, dass mir der Schweiss nicht mehr in den Kragen läuft», sagt er. Dafür seien jetzt der Rücken, der Bauch und die Beine oft klatschnass (siehe Box «Behandlungsmethoden: So werden Körperpartien ‹trockengelegt›»).
Reaktion auf emotionale Reize
Wer übermässig schwitzt, sollte in jedem Fall zuerst die Ursache abklären lassen, rät Severin Läuchli, Leiter der Hyperhidrose-Sprechstunde am Zürcher Unispital. Denn: «Hinter den Schweissausbrüchen können andere Krankheiten stecken, Stoffwechselstörungen zum Beispiel.» Am häufigsten sei jedoch das «emotionale Schwitzen». Wie Werner Lanz leiden zwei bis vier Prozent der Schweizer Bevölkerung darunter. Betroffene schwitzen übermässig unter den Achseln, an Händen und Füssen oder am Kopf. Sie tun es auch ohne körperliche Anstrengung oder bei Eiseskälte.
Das Paradoxe: Die Betroffenen sind eigentlich gesund, doch reichen emotionale Reize wie Nervosität oder Stress, um die sturzbachartigen Schweissattacken auszulösen. Der Schweiss ist nicht nur unangenehm, er ist auch für alle gut sichtbar - sowohl auf der Haut als auch in Form von grossen Flecken oder Salzringen auf dem T-Shirt. Auch Lanz kennt solche peinlichen Situationen: «Ich habe Vorträge schon frühzeitig verlassen, weil ich mich geschämt habe, im durchnässten Hemd dazusitzen.» Auch auf Reisen und aufs Tanzen verzichtet er.
In manchen Fällen kann das übermässige Schwitzen sogar zu existentiellen Problemen führen. So können bestimmte Berufe von Leuten, die stark an den Händen schwitzen, kaum mehr ausgeübt werden, weil sich Papier aufweicht oder Metall zu rosten beginnt.
Werner Lanz hat für sich eine Strategie gewählt, zu der auch die Ärzte raten: sich von seiner Hyperhidrose nicht total beherrschen lassen und weiterhin das tun, was einem am meisten Freude bereitet. Sport würde sich der 64-Jährige beispielsweise nie versagen. Er macht Velotouren und rudert. «Und beim Schwimmen kann ich mich wunderbar abkühlen.»
Behandlungsmethoden: So werden Körperpartien «trockengelegt»
- Aluminiumsalze: Sie verschliessen in hoher Konzentration die Schweissporen. Die Mittel helfen bei leichterer Hyperhidrose, können aber die Haut irritieren. Krankenkassen bezahlen Zuschüsse allenfalls aus Zusatzversicherungen.
- Gleichstrombäder: Bei der Iontophorese badet man Hände und Füsse in Leitungswasser, durch das schwacher Strom fliesst. Das ist absolut ungefährlich. Einzige Nebenwirkung: Es kribbelt ein bisschen. Die Dauertherapie lässt sich mit einem in der Apotheke erhältlichen Spezialgerät gut zu Hause durchführen, verlangt aber Disziplin: Man muss das Gleichstrombad mehrmals in der Woche wiederholen. Krankenkassen bezahlen einen Beitrag an das Iontophorese-Gerät.
- Botox-Spritzen: Dermatologen wenden Botulinum-Toxin hauptsächlich bei starkem Achselschweiss an. Das kurz Botox genannte Nervengift blockiert die Schweissproduktion. Nebenwirkungen seien bis heute nicht bekannt, sagt der Basler Dermatologe Oliver Kreyden. Nachteile: An Händen, Füssen oder der Stirn sind die Spritzen sehr schmerzhaft. Ausserdem hält die Wirkung nur vier bis zwölf Monate. Die Behandlung muss wiederholt werden. Die Kosten betragen zwischen 500 und 1'000 Franken. Kassen zahlen Zuschüsse allenfalls aus Zusatzversicherungen.
- Sympathektomie: Bei der Operation wird der Sympathikusnerv durchtrennt. Er steuert die Schweissproduktion. Hände, Füsse und Achseln werden so «trockengelegt». Die Operation wirkt auch bei starkem Schwitzen am Kopf. Nachteile: Der Eingriff ist nicht rückgängig zu machen. Und: In einzelnen Fällen schwitzen Patienten an anderen Stellen umso mehr - man nennt das kompensatorisches Schwitzen. Ärzte raten zu diesem Schritt nur, wenn alles andere nicht hilft. Der Eingriff wird von den Krankenkassen bezahlt.
- Saugkürettage: Die Methode wird gegen Achselschweiss angewendet. Durch einen kleinen Schnitt werden Schweissdrüsen abgesaugt und abgeschabt. Mögliche Nebenwirkungen: Blutergüsse und Wundinfekte. Die bis zu 4'000 Franken teure Operation wird von den Krankenkassen nicht bezahlt.
Tipps gegen Schwitzen
Einer Hyperhidrose können die betroffenen Menschen nicht vorbeugen. Folgende Massnahmen können jedoch helfen, übermässiges Schwitzen zu verhindern.
- Stress ist ein schweisstreibender Faktor. Es lohnt sich deshalb, seine Lebenssituation zu überdenken, Zeitpläne zu erstellen und sich eine Entspannungstechnik anzueignen.
- Vermeiden Sie Kaffee, Alkohol, Zigaretten und vor allem scharfe Gewürze.
- Achten Sie auf lockere und luftige Kleidung, beispielsweise aus Baumwolle. Textilien aus Kunstfasern lassen den Körper stärker schwitzen, haben aber den Vorteil, dass Schwitzwasser nicht nach aussen dringt.
- Salbei (als Dragees, Tee oder in Tropfenform) gilt als schweisshemmendes Hausmittel.