Hilfe, wenn der Anwalt zu teuer ist
Was tun, wenn man vor Gericht gehen muss, es sich aber nicht leisten kann? Die Stiftung SOS Beobachter hilft Betroffenen, ihr Recht durchzusetzen.
Veröffentlicht am 11. Juni 2013 - 09:25 Uhr
Über dem Hauptportal des Bezirksgerichts Zürich steht in Stein gemeisselt: «Unrecht soll umkehren!» Aber was, wenn man recht hat, sich aber kein Gehör verschaffen kann, um auch recht zu bekommen? Zum Beispiel weil das Geld für den Anwalt fehlt? Oder weil man sich nicht zu wehren weiss? Dann bleibt man draussen vor der Tür.
Damit das nicht passiert, erhalten Mittellose Hilfe vom Staat, um einen Anwalt bezahlen zu können. «Diese unentgeltliche Prozessführung funktioniert eigentlich gut», sagt der auf Sozialversicherungsfälle spezialisierte Anwalt Ueli Kieser, Autor mehrerer Beobachter-Ratgeberbücher. «Das Instrument wird von den Gerichten aber oft nur zurückhaltend eingesetzt.»
Es gibt auch Fälle, bei denen dieses System an Grenzen stösst. Kein Geld erhält man für Abklärungen im Vorfeld von Gerichtsverfahren. Zum Beispiel wenn der Anwalt aussergerichtlich eine Lösung erzielt und damit ein teures Verfahren verhindert. Problematisch sei auch, wenn der Zeitaufwand des Anwalts grösser werde als vom Gericht angenommen. «Dann bleibt der Klient auf einem Teil der Anwaltsrechnung sitzen», sagt Kieser. Ausser der Anwalt verzichtet auf sein Honorar.
Der 81-jährige Günter Schubert kann vor Gericht für einen Weg zu seinem Haus kämpfen, der 19-jährige Ivan Hörler kann sich gegen die ungerechtfertigte Forderung von 37'000 Franken wehren. Menschen wie ihnen, die ohne eigenes Verschulden in eine Notlage geraten sind, hilft die Stiftung SOS Beobachter und zahlt ihnen wenn nötig einen guten Anwalt.
Es handelt sich dabei um Ausnahmefälle, die keinen Anspruch auf die unentgeltliche Prozessführung durch den Staat haben. Ohne finanzielle Unterstützung durch SOS Beobachter könnten die Betroffenen nicht einmal abklären lassen, ob es sich lohnt, für ihr Recht nötigenfalls vor Gericht zu kämpfen.
Rund 100 Gutsprachen, die die Stiftung SOS Beobachter jedes Jahr gewährt, betreffen juristische Fälle. Mit Ihrem Beitrag für SOS Beobachter schenken Sie diesen Menschen etwas Kostbares: ein Stück Gerechtigkeit. Für Ihr Vertrauen und Ihre Solidarität danken wir Ihnen herzlich.
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Manchmal jedoch fällt jemand ganz durch die Maschen des Systems. Etwa der 81-jährige Günter Schubert aus Gais AR, der für seinen Kampf um eine Zufahrt zu seinem Haus keinerlei Hilfe vom Staat erhält. Sein Problem: Die Erschliessung führt durch das Nachbargrundstück, Schubert aber hat kein Wegrecht. Jahrelang war das kein Problem. Doch 2009 verkaufte die Besitzerin, der neue Nachbar baute ein Einfamilienhaus, und schwups war eines Samstags Schuberts Zufahrtsstrasse weg. Seither gelangt der gehbehinderte Mann nur noch über eine steile Böschung zu seinem Haus.
Bei gutem Wetter geht das irgendwie. Bei Regen werde der Pfad durch das hohe Gras aber arg glatt. «Und wenn Schnee liegt, bin ich in meinem Haus gefangen», erzählt Günter Schubert. Einige Male ist er hingefallen. Bei einem Sturz vor zwei Jahren verletzte er sich und musste ins Spital. Und der Nachbar? «Der grinst jedes Mal hämisch, wenn er sieht, wie ich zu meinem Haus kraxeln muss.» Vor allem aber bekämpft er mit allen juristischen Mitteln die Wiederherstellung der alten Zufahrt.
Günter Schuberts Lage ist ausweglos. Das Haus verkaufen und wegziehen kann er nicht. Ohne Zufahrt ist es nichts wert. Die Hypothek aufstocken geht auch nicht. Bei einem 81-Jährigen, der nur von der AHV lebt, macht da keine Bank mit. Und als Hausbesitzer hat Schubert keinen Anspruch auf unentgeltliche Prozessführung. Aber seine Anwaltskosten steigen immer weiter, weil der Fall von Instanz zu Instanz geht. «Es gibt einfach kein Ende. Ich habe schon alles gekündigt. Ich spare, wo ich kann. Worauf soll ich noch verzichten?» Verzweifelt wendet er sich an den Beobachter, der den Fall publik macht (Nr. 25/2011: Es führt kein Weg nach Hause). SOS Beobachter übernimmt die Anwaltskosten, damit er seinen Kampf fortsetzen kann. Sein Anwalt Peter Sutter aus Heiden AR, ein erfahrener Jurist, spricht von einem furchtbaren Fall. «Es ist unglaublich, dass es Günter Schubert sogar verwehrt wird, einen sicheren Fussweg zu seinem Haus zu bauen.»
Nach der Gemeinde und dem Regierungsrat beurteilte auch das Ausserrhoder Obergericht den Fall und gab Schubert recht. Doch das hilft ihm nichts. Aus formalen Gründen wies das Obergericht den Fall zur Neubeurteilung an die Gemeinde zurück. Die habe den Fall zwar richtig beurteilt, sich aber fälschlicherweise auf das Bau- und nicht auf das Strassengesetz abgestützt. Ein Urteil mit fatalen Folgen: Das Verfahren beginnt von vorn. Und Schuberts Nachbar kann erneut jeden Entscheid weiterziehen – bis vor Bundesgericht. Der 81-jährige Schubert kann die Hoffnung begraben, in nützlicher Frist eine Zufahrt zum Haus zu erhalten. Und es drohen ihm Kosten von mehreren zehntausend Franken. Ohne neuerliche Hilfe von SOS Beobachter müsste er kapitulieren.
Wehrlos wäre auch der 19-jährige Ivan Hörler. Mit 15 kam er in eine sozialpädagogische Pflegefamilie – auf Initiative der Gemeinde Erlen TG, die ihm eine Beiständin zur Seite gestellt hatte. Die Eltern waren schwer drogenabhängig, niemand kümmerte sich um den Jungen, in der Schule gab es Zoff. «Meine Pflegeeltern waren meine Rettung. Seit ich bei ihnen bin, geht es nur noch aufwärts.» Letztes Jahr schloss Ivan Hörler seine Lehre als Maler ab, jetzt ist er in der Rekrutenschule.
Doch eines Tages flatterte ein Brief des Thurgauer Amts für AHV und IV ins Haus. Die Behörde teilte Hörler mit freundlichen Grüssen mit, er solle doch bitte innerhalb von 30 Tagen die zu Unrecht an ihn gezahlten Ergänzungsleistungen in der Höhe von 37'625 Franken zurückerstatten. «Es war der Hammer. Ich war platt. Ich hatte keine Ahnung, was das soll.»
Nur mit Mühe konnte seine Pflegemutter rekonstruieren, wie es zu diesem Schreiben gekommen war: Als Ivan Hörler 18 wird, endet von Gesetzes wegen die Beistandschaft. Er sei volljährig und könne nun für sich selber schauen. Die Ergänzungsleistungen, mit denen seine Pflegefamilie bezahlt wird, müsse er selber verwalten. Im Gespräch beruhigt die Beiständin, Hörler werde aber gleich viel Geld erhalten. Gut ein Jahr später stellt sich jedoch heraus, dass die Ergänzungsleistungen gekürzt worden sind. Das Amt rechnete keine Betreuungsleistungen mehr an.
Unterstützt von der Pflegemutter, stellt Hörler bei der Gemeinde Erlen den Antrag, dass der Fehlbetrag von der Sozialhilfe übernommen wird. Die Gemeinde lehnt ab. Hörler habe kein Zimmer mehr bei seinen leiblichen Eltern in Erlen und damit kein Recht, hier angemeldet zu bleiben.
Unabhängig davon schaltet sich das Thurgauer Amt für AHV und IV ein. Es aberkennt Hörler rückwirkend die Notwendigkeit und das Recht, von einer sozialpädagogischen Familie betreut zu werden. Es bestehe ja keine Beistandschaft mehr. Das Amt zahlt nur einen Beitrag für Kost und Logis, solange er in Ausbildung ist. Die seit seinem 18. Geburtstag an ihn gezahlten 37'625 Franken müsse er zurückgeben. Die Pflegefamilie habe zwei Möglichkeiten: ihren Schützling beherbergen, ohne ihn zu betreuen – oder ihn auf die Strasse stellen.
Ivan Hörler und seine Pflegemutter merken, dass sie gegen Wände anrennen. Sie wenden sich ans Beratungszentrum des Beobachters, das ihnen den Winterthurer Anwalt Stefan Blum vermittelt. SOS Beobachter gewährt eine Kostengutsprache. Dann geht es endlich vorwärts. Blum reicht in Hörlers Namen ein Wiedererwägungsgesuch ein, das Amt für AHV und IV lehnt ab. Doch das Verwaltungsgericht gibt ihm nach einer neuerlichen Beschwerde recht.
Das Amt muss nun einen neuen Entscheid fällen. Dafür verlangt es von Hörler ein ärztliches Attest, das die Notwendigkeit eines Heimaufenthalts belegen soll. Das sei unnötig, schreibt sein Anwalt in einer Stellungnahme. Ivan Hörler sei medizinisch gesund, aber während seiner Lehre auf sozialpädagogische Unterstützung angewiesen. Ein erneuter Entscheid steht aus.
Beobachter: Stefan Blum, kann sich ein 19-Jähriger ohne juristische Hilfe überhaupt gegen einen solchen Behördenentscheid wehren?
Stefan Blum: Davon kann man sicher nicht ausgehen. Die sich stellenden Fragen zu beantworten ist auch für Fachleute nicht einfach und überdies zeitraubend. Ohne einen Anwalt, der sich hineinkniet, kommt man nicht ans Ziel. Erst recht kein 19-Jähriger, der keinerlei Erfahrung im Umgang mit Behörden und Gerichten hat. Wäre seine Pflegemutter nicht aktiv geworden, müsste Herr Hörler – ohne geringstes Eigenverschulden – mit 37'000 Franken Schulden ins Erwachsenenleben starten.
Beobachter: Was ist schiefgelaufen?
Blum: Es war falsch, allein aus der Beendigung der Beistandschaft abzuleiten, dass Herr Hörler keine Betreuung mehr braucht – und dann kurzerhand die Ergänzungsleistungen zu streichen. Erschwerend kommt hinzu, dass bei solchen Entscheiden immer verschiedene Ämter beteiligt sind, die oft reine Aktenentscheide fällen.
Beobachter: Könnte Ivan Hörler auch ohne SOS Beobachter zu seinem Recht kommen?
Blum: Nein. Im Verkehr zwischen Bürgern und Ämtern gibt es keine unentgeltliche Rechtshilfe. Und im Rekursverfahren sind die Entschädigungen so klein, dass Juristen in der Regel nicht bereit sind, solche Aufträge zu übernehmen. Das ist ein grosses Problem, wenn man wie Ivan Hörler unverschuldet in die Lage kommt, sich gegen ungerechtfertigte Forderungen wehren zu müssen, und dafür einen Juristen braucht.
Beobachter: Wie gross war dieses Problem für Ivan Hörler?
Blum: Herr Hörler erhielt vom Verwaltungsgericht 1000 Franken Entschädigung. Sie decken aber nur einen Bruchteil seiner Anwaltskosten. Ohne die Unterstützung durch SOS Beobachter könnte sich Herr Hörler keinen Anwalt leisten.
Fälle wie der des 19-jährigen Ivan Hörler und der des 81-jährigen Günter Schubert seien zum Glück die Ausnahme, sagen die Anwälte der Opfer. Für SOS Beobachter sind sie aber fast alltäglich geworden, erklärt Barbara Tschudin, Geschäftsführerin der Stiftung: «Im vergangenen Jahr mussten wir in über 100 Fällen Betroffenen mit Kostengutsprachen helfen, damit sie die Hilfe eines Anwalts in Anspruch nehmen können.» Meistens genügten weniger als 2500 Franken. In sehr komplexen Fällen könne es aber auch um deutlich grössere Beträge gehen.
Selbstverständlich gibt es auch bei SOS Beobachter keinen Freipass für finanzielle Hilfe. Wenn die Vorprüfung zeigt, dass der Fall nur sehr schlechte Chancen hat, lehnt die Stiftung Unterstützungszahlungen ab.
Kein Geld fliesst auch, wenn jemand ohne Not einen Musterprozess durchziehen will. «Wir helfen nur Menschen, die sich in einer Notlage befinden», so Barbara Tschudin. Anders als die öffentliche Hand unterstütze die Stiftung Betroffene aber schon, bevor ihr Fall vor Gericht verhandelt wird. «Das machen wir besonders dann gern, wenn der eingeschaltete Anwalt durch seine Vermittlung ein teures Gerichtsverfahren verhindern kann.» Entscheidend für Barbara Tschudin ist aber: «Alle sollen eine faire Chance haben, ihr Recht einzufordern – unabhängig von ihrem Kontostand.»
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