Hier werden Sie live abgezockt
Die Rätseltanten auf Sat 1 und Viva verkaufen die Mitspielenden für dumm. Die Gewinnchancen sind gering – und jeder Anruf füllt die Kasse des Senders. Jetzt schreitet die Justiz ein.
Veröffentlicht am 31. Januar 2005 - 15:09 Uhr
Spätabends, wenn die Spielfilme enden und auf anderen Sendern die «Ruf mich an!»-Erotikwerbung beginnt, haben sie ihren grossen Auftritt: die Moderatorinnen der Rätselsendungen «Play and Win» auf Sat 1 Schweiz und «Easy Cash» auf Viva Schweiz. Mit anhaltendem Schwafelfluss versuchen sie, möglichst viele der Zuschauenden dazu zu bringen, zum Hörer zu greifen.
Die Rätsel scheinen einfach, der Reiz anzurufen ist gross. 31-mal taten es die Kinder von Edouard Battegay aus Basel. Die «Telefongespräche» dauerten zwischen einer Sekunde und vier Sekunden und wurden allesamt in Rechnung gestellt – mit Fr. 1.40 pro Anruf. «Den Kindern war nicht bewusst, dass ihre Anrufe registriert wurden – schliesslich meldete sich am anderen Ende nur ein Anrufbeantworter», sagt Battegay.
Eine ähnliche Erfahrung machte Willi Nänni aus Rorschacherberg SG. Immer wieder hat er bei «Easy Cash» angerufen: «Man kommt in ein richtiges Fieber hinein.» Die böse Überraschung kam wenig später. Über 700 Franken hat er vertelefoniert. Willi Nänni fiel aus allen Wolken: «Ich bin ja nur zweimal in die Sendung geschaltet worden. Die anderen Male meldete nur eine Stimme ab Band: ‹Pech gehabt.›»
Doch auch wer durchkommt, ist noch weit weg von einem Gewinn. Kaum jemand weiss die Antwort, da die Lösungen der Knobelspiele meist nichts mit gesundem Menschenverstand zu tun haben.
«Zählen Sie alle Franken», lautete jüngst ein Ratespiel. Eingeblendet wurden Banknoten, eine 1000er-Note, zwei 200er-Noten, eine 100er-Note, zwei 50er-Noten und eine 20er-Note. Auf die Lösung kam niemand. Wie denn auch; sie lautete: 5398 Franken. In Internetforen wird spekuliert, man müsse zum blossen Geldwert auch jede auf den Scheinen aufgedruckte Wertangabe addieren sowie jedes einzelne notierte Wort «Franken» dazurechnen.
«Die Rätsel sind ausserordentlich fragwürdig. Wir erhalten viele Anfragen von betroffenen Konsumenten», sagt Matthias Nast von der Stiftung für Konsumentenschutz. Angefragt hat auch der Beobachter. Doch bei der Firma Voice Publishing, geführt vom ehemaligen «10 vor 10»-Moderator Jürg Wildberger, die die Sendungen produziert, will niemand zu den Lösungswegen Stellung nehmen.
Geschickt versucht die Firma, eine gesetzliche Ausnahmebestimmung auszunutzen: Wenn bei gleichen Gewinnchancen auch eine kostenlose Teilnahme möglich ist, fällt ein Spiel nicht unter die Lotteriebestimmungen. Deshalb können sich naive Rätselfreunde ausdrücklich auch per Postkarte beteiligen. Die Chancen auf einen Gewinn seien genau die gleichen, betonen unisono Asta Baumöller von Viva Schweiz, Sat-1-Schweiz-Geschäftsführer Christian Gartmann und Andreas Auerbach, VR-Präsident von Voice Publishing. Eine dreiste Behauptung: Wer eine Postkarte einsendet, wird frühestens am nächsten Tag zurückgerufen. Das gesehene Rätsel ist dann, trotz allen Herauszögerungstaktiken der Dampfplauderer auf der Mattscheibe, längst vorbei.
Wie lange klingeln die Kassen noch?
Die Viva-Schweiz-Geschäftsführerin Asta Baumöller siehts pragmatisch. Auf die Frage, welchen Gegenwert TV-Zuschauer Nänni für seine mehr als 700 Franken Telefonkosten erhalten habe, meint sie kurz angebunden: «Die Spielbedingungen sind klar und deutlich auf dem Bildschirm eingeblendet. Wir halten uns streng an die Vorgaben des Gesetzgebers.»
Wie lange die so bleiben, wird sich zeigen: In Zürich hat die Bewilligungsinstanz für Lotterien, die Direktion für Soziales und Sicherheit, Strafanzeige eingereicht. «Wir gehen davon aus, dass die Sendungen gegen das Lotteriegesetz verstossen», sagt die Informationsbeauftragte Irène Schwitter-Bandli. Zweifel an der Rechtmässigkeit der Shows äussert auch Reto Brand, im Bundesamt für Justiz zuständig für Lotterien und Wetten. Für Verstösse gegen das Lotteriegesetz gibt es Haft bis zu drei Monaten oder eine Busse bis 10'000 Franken. Auch am Gewinn dürften sich die Beteiligten nicht mehr lange erfreuen: «Vermögenswerte, die aufgrund einer Straftat eingenommen werden, unterstehen grundsätzlich der Einziehung durch den Staat», sagt der stellvertretende Zürcher Statthalter Hansjost Zemp. Auch der Bundesrat wird sich mit den Shows beschäftigen müssen: Seit Dezember ist eine entsprechende Interpellation hängig.
Bis der Gesetzgeber so weit ist, lassen die Sender mit den Telefonspielen ihre Kassen klingeln. Das «interaktive Fernsehen» ist eine willkommene, lukrative Einnahmequelle für die TV-Sender, und der so genannte T-Commerce, bei dem das Telefon als Zahlungskanal eingesetzt wird, gilt als Markt mit starkem Wachstum. Über Zahlen oder die Anzahl Anrufe schweigen sich die Quassel-Strippenzieher aus: «Zu diesem Punkt wurde unter den Parteien Stillschweigen vereinbart», schreibt Voice Publishing auf Anfrage.
Viel lieber macht die Firma ihren neuesten Coup publik: In einem Zeitungsinserat lädt sie die Leserinnen und Leser ein, per SMS an der Auktion eines Plasmafernsehers mitzutun. Das tiefste, einmalige Angebot erhält den Zuschlag. Das Spiel dauert zwei Wochen. Wer mitbietet, wird mehrere Male per SMS dazu aufgefordert weiterzuspielen. Für wenige Rappen sei das Gerät zu haben – wers glaubt, zahlt einen Taler. Beziehungsweise zwei Franken pro Kurzmitteilung.
Big Bschiss: Auf TV3 locken Gewinnspiele mit ehemaligen «Big Brother»-Insassen – doch das Quiz braucht Nerven und Geld.
Die Spiele heissen «Teleplay» und «Zengi»: Während täglich zweier Stunden animieren Ex-«Big Brother»-Teilnehmer Nadim und Conny das Fernsehpublikum auf eindringliche Weise, die eingeblendete Telefonnummer anzurufen und eine einfache Frage zu beantworten. Wer beim Gewinnspiel von TV3 mitmacht, hat statt eines hohen Gewinns jedoch schnell eine hohe Telefonrechnung. Denn so einfach, wie es die Moderatoren darstellen, sind die 10'000 Franken nicht zu gewinnen. Ruft man die Telefonnummer an, tickt nebst einem Glücksrad vor allem der Gebührenzähler. Einen Franken pauschal und zusätzlich 50 Rappen pro Minute kostet jeder Anruf.
Viel näher zu den 10'000 Franken bringt dieser Einsatz die Zuschauer aber nicht. Das Glücksrad ab Band entscheidet nur, ob man eine Runde weiterkommt. In den meisten Fällen wird man aufgefordert, sein Glück nochmals zu versuchen, und dann aus der Leitung gekippt: Ausser Spesen nichts gewesen. Hat man Glück, darf man die Telefonnummer hinterlassen und an einer weiteren Verlosung teilnehmen. Wie viele Zuschauerinnen und Zuschauer täglich mitmachen, wollen die TV3-Verantwortlichen nicht verraten. Ein undurchsichtiges Auswahlverfahren, das via gebührenpflichtige Hotline die Kasse des Privatsenders füllt.