Schon das Programmieren der zehn Zieltasten unseres guten alten Tischtelefons bereitet uns schlaflose Nächte. Doch jetzt brauchen wir dringend ein Natel: und zwar eines, mit dem man durchs Internet surfen kann – behauptet die Werbung.

Wer’s glaubt, kommt sich plötzlich wie ein Technik-Neandertaler vor. Das Angebot ist erdrückend. Zu Dutzenden reihen sich die Mobiltelefone in den Regalen des Elektronikfachgeschäfts, und alle strotzen vor Spezialfunktionen, mit denen man eine mittelgrosse Firma von der Alphütte aus umstrukturieren könnte.

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Noch vor ein paar Jahren fragte sich der Kunde, ob er ein Handy mit «mobiler Freisprecheinrichtung fürs Auto» oder eines mit «extrem leistungsfähigem Akku» kaufen soll. Jetzt müssen wir uns zwischen Kommunikationskraftwerken entscheiden, mit denen man faxen, e-mailen, archivieren und editieren kann. Dazu gibt’s ein lexikondickes Benutzerhandbuch – und Krach mit der Freundin, weil das verflixte Ding auch nach stundenlangem Tüfteln und verzweifelten Telefonaten mit der gestressten Studentin von der gebührenpflichtigen Hotline keinen Piepser von sich gibt.

Immer bizarrere Produkte

Wir sind überfordert, und das hat einen Grund: Es gibt immer mehr, obwohl wir schon alles haben – und alles wird noch komplizierter. «Der übermässige Konsum in unserer Uberflussgesellschaft hat groteske Züge angenommen», schreibt die deutsche Soziologin Regine Schneider in ihrem Buch «Entdecken, was wirklich zählt»: «Die Wohlstandsbedürfnisse der meisten Menschen sind längst befriedigt. Da sie schon alles haben, nehmen neue Produkte immer bizarrere Formen an.»

In der Tat: Wer durch die Haushaltabteilung eines Warenhauses streift, glaubt sich in einer Entwicklungsabteilung der Raumfahrtindustrie. Da findet man Staubsauger mit automatischer Saugregulierung, Waschmaschinen mit Dutzenden von Feinwaschprogrammen und Knitterschutzoptionen, rasenmähende Roboter mit Solargeneratoren und Telefonanlagen mit zig Archiv-, Anklopf- und Konferenzfunktionen, deren korrekte Bedienung ein Elektroingenieurstudium voraussetzt.

«Der Spieltrieb der Techniker hat eine Veränderungsgeschwindigkeit der Lebensformen erzwungen, der die meisten Menschen schlicht nicht mehr gewachsen sind», diagnostiziert der Frankfurter Technikwissenschafter Günter Ropohl: «Die Ingenieure sind verliebt in ihre Innovationen und vergessen dabei oft völlig, dass ihre Produkte Handlungsmöglichkeiten für normale Menschen sein sollten.»

Die Phantasie der Produktedesigner ist unerschöpflich. Hartnäckig drücken sie elektronische Gemüsehacker auf den Markt, deren Reinigung mehr Zeit kostet als das Rüsten der Zwiebel mit dem Messer. In den Auslagen stapelt sich Technikunsinn wie elektronische Büchsenöffner oder Brosamenabsauger, die nach Grossvaters Geburtstag wieder im Estrich verschwinden. Und der Durchschnittsradiohörerin wird ein «PLL-Tuner mit 30 Senderspeichern, Uhr, 4-Mode-Timer, 10fach-CD-Wechsler, Full-Logic-Doppel-Kasettendeck und drei Audio/Video-Eingängen» untergejubelt, dessen Funktionen sie nie verstehen wird.

«Zur Not der Konsumenten, bereits alles zu haben, kommt die Not der Produzenten, kaum noch etwas verbessern zu können», kritisiert Regine Schneider. Die Folge: In immer schnellerer Folge prasseln Produkte auf den Markt, die dieselbe Funktion haben oder dieselben Bedürfnisse befriedigen. High-Tech-Geräte denken für uns und stellen unsere Intelligenz täglich auf die Probe. Und die Preiskämpfe in den liberalisierten Märkten konfrontieren uns in immer kürzeren Intervallen mit Entscheidungszwängen und Problemen, die wir bis vor kurzem nicht hatten.

Mangelnde Ubersicht ist zum zentralen Konsumentenerlebnis in den neunziger Jahren geworden. «Angesichts des Uberangebots von Produkten und Informationen haben wir heute gar keine andere Wahl mehr, als zu glauben, was uns die Anbieter versprechen», sagt der Zürcher Historiker und Soziologe Kurt Imhof. Und der St. Galler Soziologieprofessor Peter Gross prophezeit: «Die Innovationszyklen werden noch schneller, und die Zerfallszeit von Produkten wird noch kürzer.»

Bald wird man auch mit Armbanduhren telefonieren und mit dem Mikrowellenherd durchs World Wide Web surfen können. Doch viele Anwenderinnen und Anwender sind mit diesen «Multifunktionsgeräten» total überfordert, denn sie entsprechen nicht dem Alltagsdenken der Menschen. «Gerade bei solchen Geräten wäre eine gute Anleitung wichtig», sagt Sandra Postle, Technikredaktorin und Ausbildungsverantwortliche bei der Schweizerischen Gesellschaft für technische Kommunikation (Tecom): «Die Benützerinnen und Benützer sollten Informationen schnell finden und sie auch verstehen können.»

Doch oft sind selbst jene überfordert, die die Geräte den Laien eigentlich verständlich machen müssten. Und das tönt dann in der Anleitung zu einem Videorecorder etwa so: «Wenn für den Rekorder-Fernseher-Anschluss ein Euro-AV-Kabel verwendet wird und beide Geräte mit einem Eingangssignal-Wahlschalter mit Euro-AV-Einstellung ausgestattet sind, sollte nur einer der beiden Wahlschalter in der Position Euro-AV sein. Der Eingangssignal-Wahlschalter muss auf AV 1 eingestellt sein, andernfalls kann an diesem Videorecorder die Euro-AV-Einstellung nicht vorgenommen werden. Um vom Tuner des Fernsehers über das Euro-AV-Kabel aufzunehmen, ist der Videorecorder auf Betriebsart Euro-AV umzuschalten.» Alles klar?

Während der Techniklaie über der unverständlichen Gebrauchsanweisung seines neuen Videorecorders brütet, appellieren Werbespots und Zeitungsinserate an seine Souveränität als mündiger Konsument. Folgte er konsequent der Logik des entfesselten Markts, würde er alle zwei Jahre seine Vorsorgestrategie ändern, jedes Jahr zur noch günstigeren Krankenkasse und monatlich zur noch billigeren Telefongesellschaft wechseln.

Vergleiche werden verunmöglicht

Tut er natürlich nicht. Denn der von Marketingfachleuten herbeigeschriebene «emanzipierte Konsument» wurde bislang noch nicht gesichtet. Im Gegenteil. «Es mehren sich die Verdachtsmomente», sagt der Zürcher Autor und Psychoanalytiker Jürg Acklin, «dass der moderne Mensch gar nicht in der Lage ist, die Vielfalt der verfügbaren Möglichkeiten zu seinem eigenen Wohl sinnvoll zu nutzen.»

Zum Beispiel telefonieren. Seit der Liberalisierung des Telefonsektors befinden sich die Gebühren im Sturzflug. Nie konnten Herr und Frau Schweizer so günstig telefonieren wie heute – doch die meisten tun’s nicht. «Wir gehen davon aus, dass etwa 15 Prozent der Telefonkunden von der Swisscom zu den neuen Anbietern gewechselt haben», sagt Diax-Sprecher Peter Stephani. Und Sunrise-Sprecher Stephan Howeg räumt ein, dass ein Grund für die Irritation der Kunden die «unklare Kommunikation» sein könnte.

Kein Wunder. Mit ihren millionenschweren Werbekampagnen haben die Telefongesellschaften einen Preiskrieg angezettelt, der selbst hartgesottene Schnäppchenjäger überfordert: Die Tarife wechseln praktisch wöchentlich, und schwer durchschaubare Aktionen und Sonderrabatte machen Vergleiche unmöglich.

Doch wer hat schon Zeit und Lust, sich auf der Jagd nach dem günstigsten Preis durch unübersichtliche Leistungstabellen zu kämpfen? Und wer mag sich mit dem technischen Kauderwelsch auseinandersetzen, mit dem die Telefongesellschaften die Vorteile ihrer Produkte anpreisen? Den Kundinnen und Kunden ist es egal, ob sie zum Beispiel bei Diax in den Genuss von «Dualband-Technologie», «diAx mailbox» und «SMS» kommen und dank «Enhanced Full Rate» und «internationalen Roaming-Partnern» leichter im Ausland telefonieren können. Sie wollen eigentlich nur eines: billig telefonieren.

«Der Grundzug jeder Liberalisierung ist: Sie schafft zuerst mehr Verwirrung als Transparenz», sagt Simonetta Sommaruga, Geschäftsführerin der Stiftung für Konsumentenschutz (SKS). Und wo Chaos herrscht, legt sich der gesunde Menschenverstand quer – wie etwa bei den Motorfahrzeugversicherungen. Seit der Liberalisierung des Autoversicherungsmarkts vor drei Jahren haben sich die Marktanteile der grossen Versicherer gerade einmal im Ein-Prozent-Bereich verschoben.

Der Grund: Nur wer sich mühsamst durch die immer unübersichtlichere Flut von neuen Produkten durchkämpft, profitiert von den individuell angepassten Prämien. Doch wer kann angesichts des Wirrwarrs von Angeboten noch die Ubersicht behalten?

«Die Informationsüberlastung ist anstrengend und überfordert die Kunden», schreibt David Bosshart, Leiter des Gottlieb-Duttweiler-Instituts in Rüschlikon ZH, in seinem Buch «Die Zukunft des Konsums». Kernerkenntnis: «Informativer Dauerstress führt zu Frustration, statt der Angebote wird nur noch mediales Rauschen wahrgenommen.»

Das gilt selbst in Bereichen, wo vergleichsweise transparente Verhältnisse herrschen – etwa in der Krankenversicherung. Dank dem neuen Krankenversicherungsgesetz und der Einführung des Wettbewerbs im Gesundheitswesen müssen alle Kassen in der Grundversicherung denselben Leistungskatalog anbieten – nur noch die Prämien variieren. Doch obwohl die Unterschiede in einzelnen Kantonen bis zu 1000 Franken pro Jahr ausmachen, wechseln im Schnitt nur rund acht Prozent der Versicherten zu einer billigeren Kasse.

«Die Leute wechseln nicht, weil sie durch das jährliche Puff bei der Bekanntgabe der neuen Prämien überfordert sind», sagt Margrit Kessler, Präsidentin der Schweizerischen Patientenorganisation. Und Krankenkassen-Ombudsmann Gebhard Eugster ortet die Verwirrung der Versicherten in mangelnder Information: «Noch immer können viele nicht zwischen der sozialen Grund- und der privatrechtlichen Zusatzversicherung unterscheiden.»

Unmissverständliche Produkteinformation und die Vergleichbarkeit der Angebote gehörten eigentlich zu den Grundbedingungen des freien Markts. Doch diese Voraussetzung ist heute vielfach nicht mehr gegeben. Die Folge: Konsumentenorganisationen und Ombudsstellen werden von Anfragen überflutet. «Wir sind kapazitätsmässig völlig überlastet», klagt etwa SKS-Geschäftsführerin Simonetta Sommaruga. Hochbetrieb herrscht auch beim Krankenkassen-Ombudsmann Gebhard Eugster. 1998 behandelte er die Rekordzahl von rund 7000 Streitfällen: «Es ist zu befürchten, dass es eine grosse Dunkelziffer von Resignierten gibt, die sich nicht wehren.»

Auch beim Bankenombudsmann Hanspeter Häni stapeln sich die Dossiers. Seit 1996 steigt die Zahl der Beschwerden jährlich um rund 30 Prozent. Der Grund: «Der Informationsaufwand für die Kunden wächst, denn die Dienstleistungspakete werden immer umfangreicher und damit komplexer.»

«Die Banken haben offenbar kein Interesse daran, die Konsumenten umfassend zu informieren», kritisiert Simonetta Sommaruga. Seit Jahren kämpft die Konsumentenvertreterin gegen die «völlig intransparente Preisbekanntgabepraxis» bei der Kontenführung. Sommaruga: «Seit der Abschaffung der Spesenabsprache 1992 hat jede Bank ein eigenes Gebührensystem und benutzt für ihre Produkte verschiedene Bezeichnungen, so dass Vergleiche fast unmöglich geworden sind.»

Im April konnte die Stiftung für Konsumentenschutz immerhin einen Teilerfolg erzielen: Per 1. November wird die Preisdeklaration für die Kontoführung und den Zahlungsverkehr obligatorisch.

Undurchsichtige Anlageprodukte

Doch jeder Teilsieg wird sofort wieder zunichte gemacht durch neue, kaum mehr durchschaubare Produkte. Ein Dorn im Auge ist den Konsumentenvertreterinnen vor allem das wild wuchernde Vermögensverwaltungs- und Anlagegeschäft – ein Boom-Markt, der durch die Deregulierung des Versicherungssektors im Jahr 1995 noch an Dynamik gewonnen hat. Dank dem Zusammenwachsen des Bank- und des Versicherungsgeschäfts (Allfinanz) werden die Normalsparerinnen und -sparer mit einem nie gekannten Feuerwerk von neuen Vorsorge- und Anlagemöglichkeiten bombardiert

. «Es herrscht eine regelrechte Goldgräberstimmung im Allfinanzsektor», sagt Peter Streit, stellvertretender Direktor des Bundesamts für Privatversicherungswesen (BPV): «Es gibt Angebote, bei denen sich Normalsterbliche gar nicht mehr bewusst sind, worauf sie sich einlassen.» In der Tat: In einer Umfrage der Gesellschaft für Sozialforschung Bern/Zürich beklagte sich 1997 rund die Hälfte der Befragten über unverständliche Versicherungs- und Vorsorgeverträge.

Die Auswüchse haben ein derartiges Ausmass angenommen, dass das BPV nun aktiv wurde. Im Rahmen der Revision des Versicherungsvertragsgesetzes sollen die Deklarationsvorschriften für Allfinanzgeschäfte verschärft werden. Peter Streit: «Die Kunden sollen detaillierte und verständliche Informationen zu Prämien und Gebühren sowie zum Leistungsumfang ihrer Vorsorge- und Versicherungsverträge erhalten.»

Ob dem Laien damit geholfen wird, ist allerdings fraglich. Denn der Anlagedschungel ist derart dicht geworden, dass selbst Profis die Ubersicht verlieren.

«Viele Finanz- und Vorsorgeprodukte, die eigentlich gar keinen Sinn machen, werden von den Marketingabteilungen kunstreich verpackt», sagt etwa Vorsorgeexperte Rolf Schmalz, Geschäftsleiter der Winterthurer Beratungsfirma FG Finanz-Service AG: «Es ist heute sehr schwierig geworden, die Kunden umfassend zu beraten.»

Bände spricht auch ein Marketinggag der Credit Suisse Private Banking. In einem kürzlich erschienenen Zeitungsinserat mokierte sich der Finanzriese mit folgendem Slogan über die Blindflüge der Allfinanzbranche: «Kann Ihnen Ihr Anlageberater erklären, was Ihr Steuerberater tun müsste, damit Ihr Vorsorgeberater noch die Ubersicht hat?»

Wo Ratlosigkeit herrscht, «etablieren sich immer neue arbeitsteilige Hierarchien von Suchenden und Führern, von zu Beratenden und Beratern», schreibt der Soziologe Peter Gross in seinem Buch «Die Multioptionsgesellschaft». Sie alle versprechen Hilfe gegen die «Desinformation durch Uberinformation» – mit noch mehr Information, die die Konsumentinnen und Konsumenten oft zusätzlich verwirrt.

Das Geschäft mit der Aufklärung blüht. Die Konsumentensendung «Kassensturz» führt seit Jahren die Einschaltquoten-Hitparade des Schweizer Fernsehens an und hat auch Nachahmer bei der privaten Konkurrenz gefunden: Kein Lokalfernsehsender, der nicht ein Servicemagazin in den Äther schickt.

Auch die Zahl der Konsummagazine wächst beständig. Etablierte Zeitschriften wie der Beobachter oder der «K-Tip» zählen laut der AG für Werbemedienforschung (Wemf) zu den meistgelesenen Printtiteln in der Schweiz, und längst gehören Servicerubriken und Produktetests auch zum Standardrepertoire der meisten Tageszeitungen.

Anbieter kassieren für Beratung

Auch im Internet schiessen Beratungs-, Service-Websites und Schnäppchenjäger-Homepages wie Pilze aus dem Boden. Online-Dienste mit Namen wie «Preiswärter» (www.preiswaerter.de) oder «CompareNet» (www.compare.com) gehen für den Konsumenten auf die Jagd nach dem günstigsten Angebot. Und Internetfirmen wie Comparis in Reinach BL (www.comparis.ch) durchleuchten das Tarifdickicht von Krankenkassen, Banken und Telefongesellschaften.

Vielfach sind sie vertraglich an die Anbieter gebunden und erhalten für die vermittelten Produkte Honorare und Provisionen. Für die Konsumentenvertreterin Simonetta Sommaruga eine bedenkliche Entwicklung, «denn dadurch entfällt der kritische Filter, und die Kundensouveränität wird noch mehr untergraben».

Auch die Hersteller haben die Vorteile des Internets erkannt. Immer mehr Firmen bewerben und verkaufen ihre Produkte direkt über das World Wide Web. Doch die Virtualisierung der Anbieter-Kunden-Beziehung hat Tükken. Das klassische Beratungsgespräch wird wegrationalisiert, und der Konsumentin werden zunehmend Aufgaben übertragen, die bislang zum klassischen Kundendienst gehörten.

Ein Beispiel ist das Telebanking. Der Online-Zugriff aufs eigene Konto ermögliche den «Zahlungsverkehr ohne Schalterschluss» und spare Zeit und Geld, versprechen die Werbeprospekte. Gewinner des «kundenfreundlichen Services» sind jedoch vor allem die Anbieter selbst. Denn den Online-Kunden wird viel teure Routinearbeit aufgehalst, die bislang die Institute erledigen mussten: vom Eintippen der 27stelligen Referenznummer bei Zahlungsaufträgen bis hin zum mühsamen Heraussuchen der Clearingnummern ausländischer Banken.

Die Begeisterung fürs Online-Banking hält sich denn auch in Grenzen. Trotz jahrelangen Werbekampagnen wickeln zum Beispiel bei der Web-Pionierin Credit Suisse gerade mal zehn Prozent der Kunden ihre Zahlungen via Internet ab. Dies, obwohl sich laut einer Wemf-Erhebung bereits über eine Million Schweizerinnen und Schweizer regelmässig im World Wide Web tummeln.

Wen wundert’s. Noch immer ist es bequemer, die Einzahlungsscheine in ein Kuvert zu stecken und der Bank zu schicken, als eine Zahlungsdatei zu erstellen, sich ins Netz einzuloggen, die Website der Bank aufzurufen und sich mit diversen Geheimcodes abzumühen.

Wenn der Kunde überhaupt soweit kommt. Denn viele Internetneulinge scheitern schon bei der Aufrüstung ihres Computers. In der Werbung ist alles ganz einfach. Da aalen sich junge, erfolgreiche Menschen am Swimmingpool und fragen via Notebook die Börsenkurse ab. Doch die vom Computer-Superdiscount mitgelieferte Internetsoftware installiert sich natürlich nicht von selbst. Und das Modem muss oft mühsamst konfiguriert werden, bevor es auch nur einen Wank tut.

Bereits erheben sich warnende Stimmen gegen Technostress, Datensmog und «Information Overload». «Unsere Gehirne sind nicht auf Multitasking programmiert wie unsere Computer», sagt etwa der amerikanische Psychologe Larry D. Rosen: «Wir stellen unsere menschlichen Kapazitäten auf eine harte Probe.»

«Es gibt Verdauungsprobleme», glaubt auch der Technikforscher Günter Ropohl: «Es ist nicht auszuschliessen, dass die forcierte Technisierung des Alltags bei vielen Menschen zu psychischen Belastungen führt.» Statistisch aussagekräftige Zahlen über die Auswirkungen von Technostress sind zwar nicht greifbar. «Sicher aber ist, dass vor allem psychisch angeschlagene Menschen durch die zunehmende Beschleunigung gefährdet sind», sagt der Psychoanalytiker Jürg Acklin: «Und mit der wachsenden Unsicherheit nimmt auch die Zahl der Krankheiten zu.»

Doch weshalb lassen sich dennoch immer mehr Menschen durch die moderne Technik terrorisieren? Warum quälen sie sich mit Computerprogrammen ab, die sie nie verstehen werden? Und warum kaufen sie Geräte mit einer Legion von Spezialfunktionen, deren Mehrzahl sie nie benötigen werden?

«High-Tech ist schichtübergreifend zum Statussymbol geworden», sagt der Soziologe Kurt Imhof. Selbst Leute, deren soziales Selbstverständnis es früher nicht zugelassen habe, öffentlich an Handys und elektronischen Agenden zu hantieren, hätten heute keine Berührungsängste mehr: «Die Industrie produziert so erfolgreich an unseren wirklichen Bedürfnissen vorbei, weil es ihr gelingt, den Menschen Potenz auf Vorschuss zu verkaufen.» Und weil der Mythos von der Beherrschbarkeit der Natur durch Technik trotz gegenteiliger Erfahrungen im Alltag ungebrochen ist. «Technik ist ein Mittel, um die individuellen Grenzen zu sprengen», sagt Jürg Acklin: «Die wachsende Komplexität des modernen Lebens nährt in den Menschen den Wunsch nach Instanzen, die die Welt erklären und sie bewältigen helfen. Und Technik ist eine davon.»

Doch der Traum einer sich durch Technik ständig verbessernden Welt bleibt eine Illusion. Der amerikanische Wissenschaftshistoriker Edward Tenner hat den «Racheeffekten» des technologischen Fortschritts auf den Zahn gefühlt. Sein ernüchterndes Fazit: «Technik verlangt nicht weniger, sondern mehr menschliche Arbeit, wenn sie funktionieren soll.» Und sie ersetzt akute durch subtilere, aber heimtückischere Probleme – die die High-Tech-Industrie dann wieder durch den Einsatz von noch mehr Technik eliminieren will.

Während der durchschnittlich begabte Zeitgenosse sich noch damit abmüht, seinen digitalen Radiowecker von der Sommer- auf die Winterzeit umzustellen, drohen bereits neue Innovationen, die seinen Haushalt weiter verkomplizieren werden.

Nötig ist eine neue Bescheidenheit

Ob Waschmaschine, Toaster oder Kaffeemaschine: Alles, was einen Stromstecker hat, soll künftig mit dem Internet verbunden werden. Bald könne der Videorecorder via Natel angesteuert werden, verheissen uns die High-Tech-Tüftler. «Ein absurder Gedanke», sagt Günter Ropohl: «Die Hälfte aller Videorecorderbesitzer können ihr Gerät schon zu Hause nicht programmieren. Und jetzt sollen sie es aus der Ferne bedienen – mit Tasten, die eigentlich zum Telefonieren erfunden wurden.»

Gibt es Auswege aus Technikstress und Konsumüberforderung? «Um gesund zu bleiben, ist es nötig, dass man sich Filter einbaut und es wagt, nicht immer alle Möglichkeiten zu nutzen», sagt Jürg Acklin. Auch die Soziologin Regine Schneider plädiert für eine neue Bescheidenheit als Wert- und Lebensphilosophie: «Bescheidenheit heisst, nein sagen zu können und bewusst über sich, sein Leben und seinen Konsum zu entscheiden.»

Etwas weniger wäre vielleicht wirklich sehr viel mehr. Denn unser Haushalt überquillt vor lauter Dingen. Rund 10000 Hausartikel besitzt eine durchschnittliche Familie in den westlichen Industrieländern. Geht der Konsumboom im selben Tempo weiter wie in den letzten Jahren, werden unsere Kinder als Erwachsene rund 20000 Gegenstände angesammelt haben. Zum Vergleich: Navajo-Indianer kommen mit 250 Gegenständen aus.

«Die Zahl derjenigen, die ihr Leben entrümpeln und das Rennen um die neusten Statussymbole aufgeben, wird sich mehren», ist der deutsche Trendforscher Matthias Horx überzeugt: «Zeit haben heisst der Luxus der Zukunft. Und das heisst auch: aussteigen aus dem Marktgewimmel.»

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