Ein Klick fürs Ego
Es ist der absolute Trend im Nachtleben: Was bringt junge Leute an Partys dazu, sich fürs Internet knipsen zu lassen?
Veröffentlicht am 8. Dezember 2008 - 14:25 Uhr
Technobeats wummern aus den Lautsprechern im Zürcher Club Q. Sorgfältig gestylte Jugendliche drängen sich auf dem Dancefloor. Um sie herum wuseln Fotografen mit riesigen Kameras und lichten die fotogensten Partygänger ab, die sich sogleich routiniert in Pose werfen. Wer nicht von den Partyfotografen auserkoren wird, hilft sich selber – und schiesst Bilder mit der eigenen Digitalkamera. In allen Ecken des Klubs flackern unablässig Blitze auf. Es ist Samstagnacht, und wieder einmal heisst es: sehen und gesehen werden im Zürcher Partyuniversum – und das eben nicht mehr nur auf dem realen Tanzparkett, sondern auch auf dem virtuellen Laufsteg im Internet. Denn mindestens genauso wichtig, wie physisch an der Party anwesend zu sein, ist es heute, sein Partyfoto tags darauf als Beweis und Trophäe auf den einschlägigen Ausgehportalen im Web veröffentlicht zu sehen.
Die wichtigsten Plattformen dafür heissen Tilllate.com, Usgang.ch, PartyGuide.ch und Lautundspitz.ch. Jedes Wochenende schicken die Ausgehportale an die 1000 Fotografen in die angesagtesten Klubs der Schweiz, um die junge Generation beim Tanzen und Feiern abzulichten. Die Bilder werden ins Web geladen, wo die User sie dann begutachten und kommentieren können.
Gegründet wurden die ersten Schweizer Ausgehportale vor rund acht Jahren. Seither haben sie einen regelrechten Boom erfahren und – allen anderslautenden Prognosen zum Trotz – erstaunliche Standfestigkeit bewiesen. Heute sind Partyportale ein fester Bestandteil der Mainstream-Klubkultur. Sie dienen der Clubbing-Community einerseits zur Selbstinszenierung, anderseits sind sie Informationsforum und Kontaktbörse. Und erreichen schier unglaubliche Reichweiten: Jeden Monat zählen die vier wichtigsten Internetportale zusammen weit über eine Million Besucher. An die 350'000 Jugendliche dürften sich insgesamt auf den Seiten registriert haben, viele von ihnen sind aktive User auf mehreren Plattformen gleichzeitig. Mit einem Altersdurchschnitt von 21 bis 22 Jahren verfügt Tilllate.com über die jüngste Klientel. Aber auch die anderen Ausgehportale richten sich primär an eine jüngere Generation, die mit MySpace, YouTube und Multimedia-Handys aufgewachsen ist und kaum Bedenken hat, persönliche Informationen online zu veröffentlichen.
«Es sind vor allem die jüngeren Leute, die sich um die Partybilder reissen und sich vor die Linsen unserer Kameras werfen», beobachtet Stefan Birri, Leiter des Fototeams bei Usgang.ch. «Das Motto ist: ‹Je auffälliger, desto besser›, was sich oft auch im Kleidungsstil oder Hairstyling der jungen Partygänger zeigt.» Die Partyportale bieten den Jugendlichen eine Plattform, um sich in Szene zu setzen. Je besser und zahlreicher die Bilder im Web, desto höher ist der Status in der Community. Narzissmus ist ein wesentlicher Faktor. «Mein Style ist mir sehr wichtig», konstatiert etwa der 21-jährige Mirko, nachdem er sich für den Partyfotografen im Club Q optimal in Szene gesetzt hat. «Auf den Fotos kann ich checken, ob ich gut aussehe oder ob ich an meinem Outfit noch etwas verbessern muss.» Die Kommentare der anderen User funktionieren dabei als Leitfaden für die Stiloptimierung. Wird das Partybild mit Komplimenten bedacht, gibt das dem Ego einen Kick.
Bei der Selbstdarstellung wird nichts dem Zufall überlassen: «Es ist offensichtlich, dass die Partygänger ihre jeweiligen Posen vor dem Zimmerspiegel einstudieren», beobachtet Birri. «Sie stellen hohe Ansprüche an die Fotos und geben acht, dass sie nur im besten Licht festgehalten werden.» Für die Partyfotografen ist es Pflicht, die Fotos von den Abgebildeten absegnen zu lassen – unvorteilhafte Bilder werden sofort gelöscht. «Schweissflecken oder Doppelkinn-Bilder haben keine Chance», so Birri.
Die Partyportale im Web sind Teil einer allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung, bei der die mediale Selbstinszenierung immer mehr in den Vordergrund tritt. Seit Anfang der neunziger Jahre ist die Zahl der Realityformate im Fernsehen geradezu explodiert. Es gibt kaum noch einen Bereich des Lebens, der nicht von Kameras eingefangen wird. Mit der Verbreitung von Digitalkameras und dem Web 2.0 wurde Selbstdarstellung zum Massenphänomen: Auf YouTube, Flickr und Facebook geben Normalmenschen Einblick in ihr Privatleben. «Präsentieren und bewerten» ist das Credo einer zunehmend aufs äussere Erscheinungsbild fixierten Kultur. Es gilt: Nur was für alle sichtbar ist, ist wahr; erst in der medialen Zurschaustellung sind wir ganz wir selbst.
Laut dem deutschen Mediensoziologen Lothar Mikos erfüllt die Selbstdarstellung mehrere Funktionen: Zum einen bietet sie Orientierung über den «Wert» der eigenen Person, indem man sich der Kritik der Zuschauer aussetzt. Über die Kommentare erfährt man, wie das eigene Aussehen, die eigenen Fähigkeiten und die eigene Persönlichkeit von den anderen eingeschätzt werden. Zum anderen ist die mediale Selbstdarstellung eine Möglichkeit, Anerkennung zu bekommen und sich so gesellschaftlich aufzuwerten. «Indem man sich in den Medien veröffentlicht, erhöht man seine persönliche Wichtigkeit», unterstreicht Mikos.
Da soziale und wirtschaftliche Strukturen immer brüchiger werden, gewinnt Aufmerksamkeit als ökonomischer Faktor an Bedeutung. Ronald Hitzler, Jugendsoziologe und Leiter des Portals Jugendszenen.com, stellt fest: «Heute sind die negativen Aspekte von Aufmerksamkeit beinahe vollständig verschwunden.» Damit steigt der Druck, sich möglichst auffällig und attraktiv darzustellen, um sich Prominenz zu sichern. «Aufmerksamkeit ist eine in alles Mögliche konvertierbare Währung geworden», konstatiert Hitzler. «Wer auf sich aufmerksam zu machen versteht, erhöht risikolos seine Chancen, an Geld, Status, Privilegien, Beziehungen, Einfluss und Intimverkehrspartner zu kommen.»
Grund für die Aufwertung der Währung «Aufmerksamkeit» ist gemäss Jean Twenge, amerikanische Jugendpsychologin und Autorin des Buchs «Generation Me», die immer schneller fortschreitende Individualisierung. Seit den späten sechziger Jahren hat sich die Individualismusspirale sprunghaft beschleunigt. Twenge: «In den USA und in Westeuropa ist die Betonung des Individuums in den letzten 30 Jahren unübersehbar.» Derzeit steige sie rasant in Kulturen wie China und Indien, die traditionell auf die Gemeinschaft ausgerichtet waren. Nicht umsonst heisst die aktuelle Generation in China offiziell die «Ich»-Generation.
Mit der zunehmenden Ichbezogenheit verkehrt sich die zunächst positive Entwicklung des Individualismus ins Negative. «Der nächste Schritt ist ein epidemischer Narzissmus», so Twenge. In der heutigen Jugend erkennt sie eine Generation, die so stark auf sich selbst fixiert ist wie keine Generation vor ihr. Dies sei zum Teil auch Folge eines Erziehungsverhaltens, bei dem Kinder pausenlos gelobt werden und alles, was sie tun, für gut befunden wird.
Die Massenmedien unterstützen die Entwicklung zum Individualismus, indem sie sich immer mehr zu Plattformen für Ruhm wandeln: In Reality- und Castingshows werden abgehobene Selbstdarsteller als Idole zelebriert. Die mediale Selbstinszenierung fördert, so Twenge, einen narzisstischen Charakter, der nach Aufmerksamkeit und Bestätigung durch andere giert. Typisch dabei ist, dass man zwar individuell sein, gleichzeitig aber doch zur Gemeinschaft gehören will. Ronald Hitzler stellt fest: «Wirklich individuell sein wollen wir gar nicht – denn dadurch würden wir uns radikal absondern.» Twenge bestätigt: «Es besteht ein Zwang, einzigartig zu sein im Rahmen dessen, was alle anderen auch tun.» Das Motto heisst also: «Ich bin speziell – wie alle anderen auch.»
Während die Schweizer Partyportale vergleichsweise bieder daherkommen, verführt die Konkurrenz um Aufmerksamkeit anderswo zu exzessivem Verhalten. Dies ist insbesondere in den USA der Fall, wo der Starkult stärker ausgeprägt ist und Selbstinszenierung einen höheren Stellenwert hat. Enorm erfolgreich ist die DVD-Serie «Girls Gone Wild»: Betrunkene Jugendliche lassen sich an Partys bei sexuellen Ausschweifungen filmen und setzen sich so als Real-Life-Pornostars in Szene. Joseph Francis, der Erfinder und Produzent der Serie, fährt mit seiner Crew von College-Stadt zu College-Stadt, immer auf der Suche nach der ausgelassensten Studentenfete. Dort werden Mädchen animiert, sich für die Kamera auszuziehen oder mit Freunden Sex zu haben. Zur Belohnung gibts ein T-Shirt. «Girls Gone Wild» hat sich in den USA zu einem Kult entwickelt. Die Filmer werden an den Partys regelrecht von jungen Frauen bedrängt, die vor der Kamera in Aktion treten wollen. Dabei funktioniert «Girls Gone Wild» wie eine pornographische Version von «Deutschland sucht den Superstar»: Der Sex ist die zu bewertende Darbietung, die Partygäste sind die Jury. Statt eines Plattenvertrags ist für die Teilnehmerinnen das T-Shirt Lohn genug – als Trophäe und auch als Beweis für die eigene Hemmungslosigkeit.
Dass Exhibitionismus als Aufmerksamkeitsmagnet funktioniert, ist den hiesigen Partyportalen nicht entgangen: «Wir wissen, dass freizügige Bilder generell ziehen würden», bemerkt Roman Ackermann, Head of Operations von Tilllate.com. «Schlüpft ein entsprechendes Foto durch unsere internen Kontrollen, merken wir das oft daran, dass das Foto eine aussergewöhnlich hohe Aufmerksamkeit erlangt. Die Zugriffe schnellen in solchen Situationen rasant in die Höhe – wegen des Voyeureffekts.» Ackermann betont, dass Tilllate.com in Sachen Freizügigkeit eine Null-Toleranz-Politik fahre – entsprechende Bilder würden sofort gelöscht. Auch die übrigen Schweizer Portalbetreiber machen deutlich, dass freizügige Bilder keine Chance haben. Es ist in der Schweiz auch nur eine Minderheit der Partygänger, die sich vor der Kamera offenherzig präsentiert. Dabei handelt es sich vor allem um knappe Bikinis – ein so massiver Exhibitionismus wie bei «Girls Gone Wild» ist hierzulande unbekannt.
Deshalb von der «prüden Schweiz» zu sprechen wäre aber verfehlt. Laut Mikos zeugen Formate wie «Girls Gone Wild» nicht von sexueller Offenheit einer Gesellschaft – im Gegenteil, ihr Erfolg ist vielmehr Ausdruck einer grösseren Prüderie. Oft sind gerade die Leute, die sich nackt vor der Kamera präsentieren, im Alltag eher prüde. «Es ist heute kein Problem, sich im Fernsehen auszuziehen und gleichzeitig zu behaupten, dass man den ersten Sex erst in der Hochzeitsnacht haben will», stellt Mikos fest. «Die Akteure wissen, dass sie mit Sexualität und Nacktheit Aufmerksamkeit erregen, und setzen die Themen gezielt zu diesem Zweck ein.» Mit einer liberalen Geisteshaltung habe das nichts zu tun; die Nacktheit bleibt reine Oberfläche, die zur Selbstpromotion der Akteure dient.
Ronny Spitzli, Gründer und Geschäftsführer des Partyportals Lautundspitz.ch, bringt es auf den Punkt: «Bei uns können sich junge Menschen mit tollen Fotos präsentieren und so ihren Status in der Community erhöhen – dafür müssen sie aber nicht unbedingt nackt sein.»
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