Nicht von dieser Welt
Die Reichen bewegen sich so sehr in einer Parallelgesellschaft, dass sie nicht mal merken, dass wir neidisch auf sie sind.
Veröffentlicht am 5. Januar 2010 - 09:01 Uhr
Eidgenossenschaft – Neidgenossenschaft: Das Wortspiel liegt so nahe, dass ihm weder Schriftsteller Adolf Muschg noch Ex-Bundesrat Joseph Deiss in Reden widerstehen konnten, geschweige denn zahllose Autoren von Leserbriefen. Eigentlich müsste die Schweiz auf den Landkarten grün oder gelb eingefärbt sein, je nachdem, ob wir nun gelb oder grün vor Neid werden – was umstritten ist. Wer ihm nachspüren will, diesem «kleinen, kriechenden Laster», wie Lessing sagte, fängt am besten bei den Privilegierten an. Sie heben sich durch Geburt, Reichtum oder Erfolg vom gemeinen Volk ab und müssten deshalb Neid und Missgunst auf sich ziehen.
Zu ihnen zählt gewiss Seine Kaiserliche und Königliche Hoheit Lorenz Otto Carl Amadeus Thadeus Maria Pius Andreas Marcus dAviano von Habsburg, Erzherzog von Österreich-Este, Königlicher Prinz von Ungarn und Böhmen, Titular-Herzog von Modena, Ritter vom Goldenen Vlies und seit der Heirat mit Prinzessin Astrid von Belgien auch noch Prinz. Selbst wenn er sich im Alltag als Bankier in Basel schlicht Lorenz von Habsburg nennt, müsste er Trudi Nievergelt und Ferdi Bissig allein schon durch seine Namen und Titel zur Grün-, Gelb- oder Weissglut bringen. Mitnichten. «Noch nie im Leben war ich mit Neid konfrontiert», sagt der Erzherzog.
Was schwer verständlich ist, versucht der Soziologe Olaf Lippke in seiner Doktorarbeit «Anatomie des Neides» zu erklären. Grundlage des «gelben Monsters» sei stets Rivalität. Der Neidische vergleicht, stört sich an einem kostbaren Gut des andern und sieht nicht ein, warum er es selber entbehrt. Die Voraussetzung für Rivalität sei allerdings eine gewisse Ähnlichkeit der beiden: Villa, Yacht, Porsche, attraktive Freundin oder eben Adelstitel müssten an sich für beide erreichbar sein, um Neid zu wecken. Doch als Erzherzog wird man nun mal geboren, da ist nichts zu machen. Von Rivalität zu reden wäre geradezu lächerlich.
Das Objekt des Neides müsste also jemand sein, der ganz unten angefangen und es aus eigener Kraft zu grossem Erfolg gebracht hat. Zum Beispiel Hans Imholz. In jungen Jahren arbeitete er bei Kuoni, legte acht Jahre lang jeden Franken zur Seite und gründete 1961 mit 50'000 Franken Erspartem sein eigenes Reiseunternehmen. 1989 verkaufte er sein Lebenswerk, mittlerweile einer der grössten Reiseveranstalter der Schweiz, und kam damit zu einem Millionenvermögen.
Heute geniesst er die Früchte seiner Arbeit. Den Winter verbringt er in seinem Haus im Engadin. Er unternimmt zusammen mit seiner Frau Städtereisen, meistens mit einem Kulturprogramm verbunden, und macht jedes Jahr eine längere Erlebnisreise nach Übersee. Natürlich hat er auch ein grosses Vermögen zu verwalten, was man sich ganz angenehm vorstellt. Nur eines lässt er nicht zu: Termindruck.
Da müsste doch 100'000 anderen die Galle hochkommen. Allerdings ist Imholz heute noch fast jeden Tag in seinem Büro. Hauptsächlich widmet er sich da dem Guten und Schönen: seiner 1994 gegründeten Stiftung, in die er jedes Jahr einen Teil seines Einkommens legt. «Ich kümmere mich persönlich darum.» Die Stiftung unterstützt soziale, ökologische und kulturelle Projekte vor allem in der Region Zürich, aber auch Kinderhilfswerke in Asien und Südamerika. Ausserdem ist Imholz im Gönnerkreis der Weltpfadfinderorganisation.
Diese Grosszügigkeit kann sich nicht jeder leisten. Trudi oder Ferdi würden im Opernhausprogramm ganz gern lesen, eine Aufführung sei von ihnen statt von der Hans-Imholz-Stiftung ermöglicht worden. Doch «nein, direkt habe ich nie Neid gespürt», beteuert Imholz und erzählt eine Geschichte dazu: «Vor kurzem fuhr ich in den USA mit meinem Wagen zu einem Fünfsternehotel. Wie immer näherte sich ein Doorman, um das Auto zum Parkplatz zu fahren. Der Mann war mir schon früher aufgefallen.» Diesmal fragte er ihn: «Wieso strahlen Sie eigentlich immer eine so gute Laune aus?» Die Antwort des Mannes, der während der Arbeit von einem Luxus umgeben ist, den er sich selber nie und nimmer leisten könnte, habe ihn beeindruckt: «Life is so good.» Keine Spur von Neid also.
Auch im Geschäft nicht: «Jack Bolli, der frühere Präsident des Kuoni-Verwaltungsrats, hat mir zum 25-Jahr-Jubiläum von Imholz Reisen mit einem persönlichen, herzlichen Schreiben gratuliert, das ich heute noch aufbewahre. Für mich war es ein absolutes Highlight, dass mein früherer Chef und mittlerweile schärfster Konkurrent die Grösse hatte, mir nach 25 Jahren zu sagen: ‹Das hast du gut gemacht.›»
Wo hockt denn der Neid in diesem Lande? Das Laster kann doch nicht seit über 2000 Jahren Philosophen und Schriftsteller beschäftigen, zur Haupt- oder Todsünde erklärt werden und Eingang in Sprichwörter finden, ohne dass es existiert?
Ob der Produzent Arthur Cohn aus Basel Missgunst spürt, wenn der mit den Stars über den roten Teppich schreitet? Er hat für sechs seiner Filme einen Oscar erhalten, was einmalig ist. Er spürt wie kaum einer, welche Filme Erfolg haben werden. Wer sonst hätte es gewagt, einen Film über das so statische Schachspiel zu produzieren, wovor ihn alle gewarnt hatten? Cohn hat es getan. «Dangerous Moves», der in Genf gedreht wurde, gewann für die Schweiz den Oscar für den besten ausländischen Film. Und das in Hollywood, wo sich Kunst und Glamour treffen und der Neid zu Hause sein könnte. Cohn aber sagt: «Nirgendwo auf der Welt habe ich auch nur einen Schatten von Neid gespürt, ausser manchmal in der Schweiz; jedoch nie in Basel.»
Nicht in Los Angeles, wo er gesamthaft etwa vier Monate im Jahr verbringt, nicht in Asien. Letztes Jahr war er als einer von nur drei Gästen aus dem Westen zur Verleihung der Asian Film Awards eingeladen. Die anderen zwei waren der Regisseur Oliver Stone und der Schauspieler William Hurt. 750 Millionen Zuschauer sahen die Gala live am Fernsehen. Statt Neid spürte er Respekt vor dem, was er geschaffen hatte, Anerkennung und Würdigung.
In der Schweiz aber, sagt Cohn, würde vieles, was über das Mittelmass hinausgeht, oft skeptisch und manchmal missgünstig beurteilt. «Freude zu zeigen, dass ein Basler im Ausland Ehre für seine Stadt und die Schweiz einlegt, ist nicht allen gegeben.» Einigen Schweizern falle es «sehr schwer», sich über den Erfolg anderer Mitbürger zu freuen, wenn es nicht Sportler seien.
Neider zu nennen scheint fast unmöglich. Es sind immer «einige», «andere», «viele». Im Unterschied zur Eifersucht, die wir sichtbar und leider so schmerzlich erleben, ist der Neid ein verborgenes Laster, sagt Experte Olaf Lippke. Der Jugendliche reisst dem andern nicht die Diesel-Mütze vom Kopf, die er gern hätte – selten jedenfalls. Der Professor stellt den Kollegen nicht öffentlich bloss, weil dieser kaum Forschungsaufträge und damit Geld hereinholt, aber gleich viel verdient. Wird der Büronachbar befördert, sage ich ihm nicht, er sei nur ein Kriecher und unfähig für diesen Job. Im Gegenteil: Ich gehe an den Apéro und stosse mit dem künftigen Vorgesetzten auf eine gedeihliche Zukunft an.
Wer wissen will, ob er beneidet wird, muss auf Gerüchte hören, den Gesichtsausdruck des Kollegen interpretieren, an sich harmlose Bemerkungen hinterfragen. Das wiederum führt zu Verdächtigungen, die das Arbeitsklima vergiften. Letztlich hilft wohl nur eines: Man schert sich den Teufel drum. Und denkt: Lieber Neid erwecken als Mitleid, schliesslich ist er die höchste Form der Anerkennung.
1. Kanton Genf
Trotz hohen Steuern haben sich im Kanton Genf mehr als 40 Superreiche niedergelassen. Internationalität, exklusive Privatschulen und -banken, die Nähe zu Frankreich und der Flughafen reizen Juweliere und alten Geldadel ebenso wie russische Oligarchen oder Stars wie Nana Mouskouri.
2. Kanton Waadt
Traditionell trifft sich hier der Geldadel bei Weisswein und Seeanstoss.
3. Kanton Jura
Armer Kanton Jura. Keinen einzigen der 300 Reichsten in der Schweiz hats hierher gezogen. Hohe Steuern, ab vom Schuss, da kann die Landschaft noch so schön sein.
4. Kanton Basel
Sonderfall Basel. Die Reichen sind diskreter, der Reichtum scheint edler als anderswo. Dafür stehen Ernst Beyeler, Galerist und Mäzen, oder die Roche-Erben Hoffmann und Oeri. Ohne sie würden Kunst und Kultur in Basel auf schweizerisches Mittelmass schrumpfen.
5. Kanton Bern
Bern heisst Gstaad, jedenfalls wenns um Reiche geht. Dahin flüchtet sich nicht nur Roman Polanski, auch Bernie Ecclestone, Friedrich Christian Flick oder Gunter Sachs zogs hierher.
6. Kanton Schaffhausen
In Schaffhausen nur ein Superreicher? Das muss Giorgio Behr sein: Unternehmer, Investor, Ex-Professor und Verleger des «Schaffhauser Bocks».
7. Kanton Zürich
Nur im Kanton Zürich wohnen mehr Superreiche als in Genf. Was Genf für die Romandie, ist Zürich für die Deutschschweiz: dieselben Vorteile, nur etwas weniger Charme – und Vermögenssteuern im Mittelfeld.
8. Kanton Schwyz
Dass sich im Kanton Schwyz am oberen Zürichsee die Villen der Reichen häufen, liegt nicht nur an der Aussicht: Was andernorts Einkommenssteuer heisst, ist in Freienbach eine milde Gabe. Und die Abgaben für grosse Vermögen sind lächerlich tief.
9. Kanton Uri
Hohe Steuern, wenig Sonne, viel Verkehr. Uri hat keine Reichen. Wird dereinst das Resort von Samih Sawiris in Andermatt den einen oder andern anlocken? Die Urner glaubens.
10. Kanton Graubünden
Wie das Berner Oberland zieht auch das Engadin in Graubünden die Reichen magisch an. Wie in Gstaad lässt sich das leicht erklären: Nebelfrei, nobel, und man bleibt unter sich.