In seinen «Geschichten vom Herrn Keuner» lässt Bertolt Brecht seinen Helden fragen, ob es einen Gott gibt. Der antwortet: «Ich rate dir, nachzudenken, ob dein Verhalten je nach der Antwort auf diese Frage sich ändern würde.» Wenn nicht, sei die Frage irrelevant. «Würde es sich ändern, dann kann ich dir wenigstens noch so behilflich sein, dass ich dir sage, du hast dich schon entschieden: Du brauchst einen Gott.» Die Frage, ob Gott existiert, lässt Keuner unbeantwortet.

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Meine Kolleginnen Susanne Loacker und Nicole Krättli haben sich in unserer Titelgeschichte «Volk ohne Gott» ebenfalls auf die Suche nach Gott begeben. Sie haben sich jedoch eine andere Frage gestellt, die nicht minder brisant ist: Brauchen wir überhaupt noch einen Gott?

Der Religionssoziologe Jörg Stolz überrascht nicht so sehr mit der Antwort, dass wir Gott weitgehend aus dem Alltag verdrängt haben. Sondern mit seiner Begründung: Nicht etwa 200 Jahre Aufklärung und ihre Religionskritik seien dafür verantwortlich, sondern die moderne Wissenschaft, insbesondere die Medizin. Sie hat im letzten Jahrhundert immense Fortschritte gemacht – mit dramatischen Folgen für unser Weltbild. Wir müssen nicht mehr Gott um Gesundheit bitten, wir haben dafür unsere Götter in Weiss.

Martin Vetterli

Quelle: Holger Salach
Ärzte und Psychiater statt Kirche

Wir brauchen nicht mehr die Kirche, sondern gute Ärzte. Wenn wir Probleme haben, gehen wir nicht zum Pfarrer, sondern zum Psychiater. Wenn wir einsam sind, wenden wir uns nicht mehr an Gott, sondern loggen uns auf einer Partnervermittlungsplattform ein. Gott, sagt Jörg Stolz, tauge nur noch für Extremsituationen, für Geburt und Tod; in den Momenten, in denen unser durchrationalisiertes Leben brüchig wird.

«Wir spüren intuitiv, dass wir mehr sind als bloss Chemie.»

Martin Vetterli, stv. Chefredaktor

Das Mysterium beim Tod des Vaters

Wir alle spüren aber intuitiv, dass wir mehr sind als bloss Chemie und zwischen Himmel und Erde mehr existiert als Atmosphäre. Die meisten können davon erzählen, auch ich.

Jene Nacht, als mein an Krebs erkrankter Vater vor über 30 Jahren verstarb, werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Nicht nur wegen seines Todes. Als er das Leben endlich loslassen konnte, senkte sich über das Zimmer eine Ruhe, wie ich sie nie mehr erleben sollte. Es war grenzenloser Frieden, ein Gefühl wie nicht von hier. Alles war gut, alles so selbstverständlich, dass meine Mutter, die herbeigeeilte Krankenschwester und ich hinterher den Leichnam des Vaters sorgfältig wuschen, als wäre das die natürlichste Sache der Welt.

Das Erlebnis dieser grenzenlosen Ruhe ist mir ein Mysterium geblieben. Es ist mein Geheimnis, von dem ich zwar berichten kann, das ich aber nur mit meiner inzwischen verstorbenen Mutter teile. Ob Gott etwas damit zu tun hatte, weiss ich nicht. Es scheint mir auch irrelevant. Denn für mein Leben würde sich nichts ändern. Insofern habe ich mich, falls Brecht recht hatte, entschieden.

Der neue Beobachter ist da

Lesen Sie die vollständige Titelgeschichte «Leben ohne Gott?» in der aktuellen Ausgabe des Beobachters.

Weitere Themen des Hefts:  Wie ein Schweizer Arzt einen verletzten Syrer aus der Hölle rettete / Die Bürokratie der KESB treibt manche Eltern von Behinderten zur Weissglut  / Emanzipation und Mitsprache: Die 98-jährige Marthe Gosteli kämpfte an vorderster Front

Der Beobachter 10/2016 erscheint am Freitag, 13. Mai. Sie erhalten die Ausgabe am Kiosk, als E-Paper oder im Abo.

Quelle: Allan Swart

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Quelle: Allan Swart