Multimillionär bittet Zwangsarbeiterin um Entschuldigung
Bührle-Enkel Gratian Anda besuchte eine Betroffene von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen. Sie musste für seinen Grossvater Zwangsarbeit leisten.
Veröffentlicht am 8. Januar 2024 - 14:49 Uhr
Das Treffen fand kurz vor Weihnachten statt. Der Bührle-Erbe Gratian Anda kam zu Irma Frei nach Hause, um sie um Entschuldigung zu bitten.
Anlass für das Treffen bot ein dunkles Kapitel Schweizer Geschichte, das der Beobachter vor zweieinhalb Jahren aufgedeckt hat. In der Nachkriegszeit mussten Hunderte junger Frauen auf Geheiss der Behörden in einer Textilfabrik des Industriellen Emil Bührle arbeiten.
Milliarden und Zwangsarbeit
Emil Bührle hat ein Vermögen hinterlassen, das heute gemäss der Zeitschrift «Bilanz» 1 bis 1,5 Milliarden Franken beträgt. Damit gehören die Bührle-Erben zu den 300 Reichsten in der Schweiz. Emil Bührles milliardenschwere Bildersammlung hängt zudem im Kunsthaus Zürich; deshalb sind seine Geschäftspraktiken erneut zum öffentlichen Thema geworden.
Die Frauen in seinem Fabrikheim im Toggenburg nannte man «Versorgte». Zu wohnen hatten sie in einem firmeneigenen Heim. Arbeiten mussten sie im Schichtbetrieb. Wenn sie flüchteten, suchte sie die Polizei. Gemäss den damals gültigen juristischen Bestimmungen war es Zwangsarbeit. Das gab 1969 sogar der Schweizer Bundespräsident zu.
Fast drei Jahre Zwangsarbeit – am Ende 50 Franken
Eine dieser «Versorgten» war Irma Frei. Sie kam ins Heim, bloss weil ihre Eltern sich scheiden liessen. 1958, nach ihrer obligatorischen Schulzeit, liess die Amtsvormundschaft Schaffhausen sie fast drei Jahre lang im Bührle-Heim wegsperren, wo sie Zwangsarbeit leisten musste. Dafür hat sie am Ende bloss 50 Franken bar auf die Hand erhalten.
Die Bührle-Erben um Gratian Anda schwiegen bisher zur Verantwortung ihrer Vorfahren bei der Ausnutzung der jungen Frauen im Bührle-Fabrikheim im Toggenburg. Gegenüber dem Beobachter oder dem Schweizer Fernsehen wollte niemand von der Familie etwas dazu sagen. Kurz vor Weihnachten entschuldigte sich Bührle-Enkel Gratian Anda nun doch noch bei der ehemaligen Zwangsarbeiterin Irma Frei. Zum Treffen kam es, weil «Die Zeit» den Bührle-Erben darum gebeten hatte. Dieser stimmte einem Treffen unter der Bedingung zu, dass niemand beim Gespräch dabei sein darf.
«Gratian Andas Entschuldigung war aufrichtig. Und ich fühlte, dass es ihm ernst war mit seiner Anteilnahme», sagt Irma Frei. «Er zeigte, dass er Herz hat und es ihm wichtig ist, sich bei mir zu entschuldigen.» Er habe gesagt, er könne es zwar nicht wiedergutmachen, dass es zu Zeiten seines Grossvaters zu solchen Arbeitsverhältnissen gekommen sei, doch er möchte sich dafür entschuldigen.
Das Thema Entschädigung wird nicht angesprochen
Doch eine Entschädigung bezahlen will der Multimillionär Gratian Anda offenbar nicht. «Er hat nicht über Geld gesprochen, obwohl das Thema in der Luft lag», sagt Irma Frei. Und darum betteln werde sie nicht. Er habe argumentiert, dass es nicht in der Verantwortung der Firma seines Grossvaters gelegen habe, dass Irma Frei so wenig Geld erhalten habe, sondern in der Verantwortung des Staates. Dieser habe mit seiner Politik dafür gesorgt, dass der Lohn weitgehend aufgebraucht worden sei für die Kosten der Wegsperrung.
Das mag zutreffen. Doch aus Archivdokumenten geht hervor, dass die Bührle-Firma eine Mitverantwortung trägt. Sie hat den «Versorgten» so tiefe Löhne gezahlt, dass niemand freiwillig ins Fabrikheim eingetreten ist. Zudem zog die Bührle-Firma von diesem tiefen Lohn bemerkenswert hohe Kosten für Kost und Logis ab.
«Ich musste Zwangsarbeit für eine der reichsten Familien der Schweiz verrichten.»
Irma Frei, ehemalige Bührle-Zwangsarbeiterin
Es gab Abzüge für Personalkosten, Verpflegung, Unterbringung, Elektrizität, Heizung, für neue Küchengeräte. Nicht einmal zum jährlichen Ausflug lud die Firma die jungen Frauen ein. Die Bührle-Direktoren legten sogar fest, wie günstig ein Mittagessen im Heim sein musste. Weil die Bührle-Firma immer mehr Kosten auf die Insassinnen abwälzte, drohte die angestellte Heimleiterin 1951 gar, ihre Tätigkeit aufzugeben.
Wie passt das zusammen mit der Aussage, der Staat sei allein an allem schuld? Das wollte der Beobachter von Gratian Anda wissen. Sein Sprecher antwortet: «Das Gespräch war rein persönlicher Natur, und Gratian Anda wird dies nicht kommentieren.» Er habe Irma Frei «aus freien Stücken getroffen und an ihrem Schicksal Anteil genommen».
Irma Frei sagt: «Der Besuch von Gratian Anda hat mich sehr gefreut, und ich achte ihn als offenherzigen Mann. Doch ich bleibe dabei: Ich musste Zwangsarbeit für eine der reichsten Familien der Schweiz verrichten. Das hat einen bitteren Nachgeschmack.»
4 Kommentare
Frauen und schwächer gestellte Personen sind zum Benutzen da. Das war Jahrhunderte Normalität. Die Profiteure würden es noch heute tun, wenn sie könnten. Ich glaube diesen Pressern keine Entschuldigung. Das sind nur hohle Phrasen für den schönen Schein, um nicht in einem zeitgenössischen Shitstorm zu landen.
Sie tun es auch heute noch, es ist nur noch nicht alles publik gemacht worden!! Die ärmeren Mitbürger haben für die Reichen nichts „verloren“ in der reichen Schweiz, sie werden auch heute noch nach Strich und Faden ausgenommen wie Schlachtschweine, siehe Politik!! (ich entschuldige mich bei den Schweinen, denn diese haben einen höheren IQ als die meisten Menschen und fühlen sich ihren Artgenossen verpflichtet!) Die Schweiz ist schon längst keine Demokratie mehr im Sinne der Verfassung!! Ein Bananenstaat!!
Das ist schon eine Frechheit, dass die Bührle AG den Zwangsarbeiterinnen keine Entschädigung gegeben haben.Das heisst gerechte Aufarbeitung! Es ist immer so, den Reichen wird gegeben und den Armen genommen.
Genauso ist es! Und so hat es meine Mutter vor über 50 Jahren schon immer gesagt!! 👍🏼👍🏼