9 Fragen und Antworten
Sexuell belästigt – so wehren Sie sich
Wer sexuelle Gewalt erlebt hat, fühlt sich oft hilflos. Wo Betroffene Unterstützung finden und was rechtlich gilt.
Nicole Müller
Veröffentlicht am 8. Oktober 2024 - 08:37 Uhr
Veröffentlicht am 8. Oktober 2024 - 08:37 Uhr
Überblick: Um diese Fragen geht es
Wie verhalte ich mich, wenn ich angegriffen werde?
- Versuchen Sie, der Situation zu entkommen. Rufen Sie möglichst rasch die Polizei über die Notrufnummer 117. Je nachdem zählt jede Minute.
- Wenn Sie körperlich angegriffen werden, ist Gegenwehr der beste Schutz: Schreien Sie laut, schlagen, treten, beissen Sie den Angreifer, bis Sie loskommen.
- Sprechen Sie Leute in der Nähe direkt an und bitten Sie um Hilfe.
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Was muss ich direkt nach der Tat beachten?
- Sichern Sie Beweise – insbesondere nach körperlichen Übergriffen.
- Auch wenn es sehr belastend ist, sollten Sie sich so rasch wie möglich ärztlich untersuchen lassen. Die Ärztin, der Arzt macht nicht automatisch eine Meldung an die Polizei, das Opfer kann selbst entscheiden.
- Wenn es zu einem Strafverfahren kommt, ist die Beweissicherung zentral. Je mehr Zeit verstreicht, umso weniger Spuren sind noch vorhanden.
Wo soll ich die Tat melden?
- Zuständig ist grundsätzlich die Polizei. Sie können sich an jeden Posten Ihrer Wahl wenden.
- Im Kanton Zürich hat die Polizei spezialisierte Anlaufstellen, in Bern kann man wünschen, direkt mit einer Polizistin zu sprechen.
- Die kantonalen Opferhilfestellen beraten Sie rechtlich, psychologisch und auch bezüglich eines Strafverfahrens und können Sie an weitere spezialisierte Beratungsstellen im Kanton verweisen.
- Die «frauenberatung: sexuelle gewalt» unterstützt und berät ebenfalls Frauen und ihnen nahestehende Personen.
- In verschiedenen Kantonen und Städten laufen Projekte gegen Gewalt, so können zum Beispiel im Rahmen des Projekts «Zürich schaut hin» sexuelle, sexistische und homo- oder transfeindliche Belästigungen auf dem Stadtgebiet anonym gemeldet werden.
Was passiert nach dem Vorfall?
- Wenn eine Straftat nicht ausgeschlossen werden kann, sammelt die Polizei Beweise, indem sie etwa Auskunftspersonen und Zeugen befragt oder DNA-Spuren untersucht. Ihre Ergebnisse leitet sie der Staatsanwaltschaft weiter.
- Eine tatverdächtige Person kann während der Ermittlungen in Untersuchungshaft genommen werden, wenn ein dringender Tatverdacht und ein Haftgrund bestehen, also die Gefahr, dass sie flüchtet, Beweise verschwinden lässt oder schwere Verbrechen oder Vergehen verübt.
- Untersuchungshaft ist für die Inhaftierten sehr einschneidend. Darum muss das Zwangsmassnahmengericht regelmässig überprüfen, ob die Haftgründe noch bestehen und die Person weiterhin eingesperrt bleiben soll.
Erfährt der Täter den Namen des Opfers, darf er bei der Befragung dabei sein?
- Grundsätzlich ja. Denn es gilt die Unschuldsvermutung. Nur wenn ein Beschuldigter weiss, mit wem er es zu tun hat, kann er falsche Anschuldigungen abwehren – so die Idee dahinter.
- Je nach Situation und Fall kann aber auch veranlasst werden, dass die beschuldigte Person sich nicht im gleichen Raum aufhält wie das Opfer.
Die Tat ist schon länger her – soll ich mich trotzdem bei der Polizei melden?
- Es spricht nichts dagegen. Vielleicht sucht die Polizei den Täter schon länger und Sie können das Puzzleteil liefern, das noch gefehlt hat.
- Beachten Sie aber: Bei Antragsdelikten läuft eine Frist von drei Monaten, um Strafantrag zu stellen (siehe unten «Antrags- oder Offizialdelikt, was heisst das?»).
Wie wird Exhibitionismus und sexuelle Belästigung geahndet?
- Exhibitionisten zeigen Opfern überraschend ihre Geschlechtsorgane.
- Der Straftatbestand der sexuellen Belästigung verbietet physische, optische und verbale Zumutungen sexueller Art. Dabei kann es zu körperlichem Kontakt kommen, wie zu einem Griff an das Gesäss.
- Aber auch eine rein verbale Belästigung kann strafbar sein, etwa das Verwenden stark vulgärer Ausdrücke. Ein deftiger Anmachspruch kann also durchaus strafbar sein. Es kommt auf die Situation und das soziale Umfeld an. So gelten am Arbeitsplatz strengere Regeln als auf der Tanzfläche.
- Exhibitionismus wird mit Geldstrafe, sexuelle Belästigung mit Busse bestraft. Beides sind Antragsdelikte.
Wann liegt eine sexuelle Nötigung oder eine Vergewaltigung vor?
- Bei der sexuellen Nötigung zwingt der Täter das Opfer gegen dessen Willen zu sexuellen Handlungen. Dabei wird häufig körperliche Gewalt oder psychischer Druck angewendet.
- Mit der «Nein heisst Nein»-Lösung liegt eine Vergewaltigung auch dann vor, wenn eine Person eine sexuelle Handlung durch Worte oder Gesten ablehnt und die Tatperson sich vorsätzlich über den geäusserten Willen hinwegsetzt. Auch das Erstarren, sogenanntes Freezing, wird darunter gefasst.
- Der Tatbestand der Vergewaltigung ist nicht nur durch körperliches Eindringen erfüllt, sondern auch durch beischlafsähnliche Handlungen. Auch Männer können gemäss Sexualstrafrecht Opfer einer Vergewaltigung sein.
- Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung werden mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren bestraft und sind Offizialdelikte.
Antrags- oder Offizialdelikt, was heisst das?
- Offizialdelikte wie Vergewaltigung oder Nötigung muss die Polizei von Amtes wegen verfolgen. Das heisst: Es ist egal, ob das Opfer will, dass der Täter verfolgt und bestraft wird – die Polizei muss ermitteln.
- Die Strafverfolgung kann zwar verjähren, aber die Fristen sind lang: Bei Vergewaltigung zum Beispiel muss die Strafverfolgung innert 15 Jahren nach der Tat aufgenommen worden sein. Gewisse Straftaten, die weniger schwer wiegen, werden hingegen erst verfolgt, wenn das Opfer einen Strafantrag gestellt hat. Dazu gehören sexuelle Belästigung und Exhibitionismus.
- Antragsdelikte müssen innert drei Monaten angezeigt werden. Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem der antragsberechtigten Person der Täter bekannt wird. Doch auch bei unbekannten Tätern ist es besser, früher zur Polizei zu gehen, weil dann die Chance grösser ist, dass er gefasst wird.
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Nicole Müllerist seit 2012 beim Beobachter und leitet das Ressort Ratgeber. Die Juristin und Journalistin berät im Beratungszentrum und schreibt über Themen im Bereich Konsum, Wohnen und Strafrecht.Mehr erfahren