Beobachter: Wie erklären Sie sich, dass bereits Teenager unter Stress und depressiven Störungen leiden?

Marianne Scheuter: Die Suche nach der eigenen Identität in der Pubertät ist eine Krisenzeit, in der man eigentlich keine weitreichenden Entscheidungen fällen sollte. Doch die heutige Gesellschaft lässt unsern Kindern keine Zeit. Eltern, Lehrer und Lehrmeister stellen hohe Anforderungen an die Jugendlichen. Dazu kommt die zunehmende Gewaltbereitschaft in der eigenen Altersgruppe und die Angst, keine Lehrstelle zu finden.

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Beobachter: Wie viele Negativerlebnisse – zum Beispiel Absagen auf eine Lehrstellenbewerbung – erträgt ein junger Mensch?

Scheuter: Selbst wir Erwachsenen ertragen mehr als fünf bis zehn Absagen nur schlecht. Genauso geht es den Jugendlichen. Selbstzweifel kommen auf, und die Motivation, sich weiter zu bewerben, sinkt rapid. Zu viele Absagen können traumatisieren und das Selbstwertgefühl erschüttern.


Beobachter: Hatten denn die Jungen früher tatsächlich weniger Probleme?

Scheuter: Ja und nein. Heute haben junge Menschen zwar mehr Freiheiten, folglich aber auch mehr Verantwortung. Damit sind die meisten überfordert. Eigentlich ist es paradox: Einerseits behütet man die Kinder länger und nimmt ihnen viel mehr Probleme ab als früher. Anderseits entlässt man sie dann fast schlagartig in eine offene, unüberblickbare Welt und fordert von ihnen eine Selbstständigkeit, die sie nie ausreichend eingeübt haben.


Beobachter: Man könnte meinen, Jugendliche seien anpassungsfähig und müssten daher mit den wirtschaftlichen Gegebenheiten besonders gut umgehen können.

Scheuter: Das Gegenteil ist der Fall. Jugendliche sind während der Pubertät in keinster Weise flexibel, sondern sprunghaft oder stur. Gleichzeitig sind sie heute oft beängstigend realistisch und vernünftig. Viele haben das Träumen verlernt und sehen der Zukunft lustlos entgegen.


Beobachter: Was muss sich ändern, damit die Situation besser wird?

Scheuter: Eltern und Lehrer sollten sich bewusst werden, wie belastend die seelischen und körperlichen Veränderungen in der Pubertät sind. Und die Schule muss deshalb unbedingt Strategien zur Stressbewältigung vermitteln. Wir müssen den Jugendlichen mehr Mut machen, Ihnen Wege und Chancen aufzeigen und auch während der Berufsausbildung psychologische Betreuung anbieten.

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