Asyl in der Studenten-WG
Freie Zimmer in Wohnungen an Flüchtlinge vergeben: Darauf basiert das im Frühling lancierte Projekt «Wegeleben». Der Start verlief erfolgreich, erste Untermietverträge sind bereits unterschrieben.
Veröffentlicht am 15. September 2015 - 14:09 Uhr
Die Küche ist klein, die Ausstattung in die Jahre gekommen, doch der Raum wirkt gemütlich, der Holztisch einladend. «Hier sitzen wir immer», sagt Gian Andri Färber und stellt das plärrende Radio ab. «Das ist das Herzstück unserer WG.»
Drumherum: gut 60 Quadratmeter Wohnung im Berner Länggasse-Quartier. Drei Zimmer, eins mit Spannteppich, eins mit Fischgrät- und eins mit Klötzliparkett, die Möbel zusammengewürfelt. Eine Wohnung, wie sie Tausende junger Studenten bewohnen – in einer Wohngemeinschaft, mit gemeinsamem Kühlschrank und oftmals unterschiedlichen Vorstellungen von Sauberkeit. Färber sagt: «Diese WG-Kultur sollten wir auch Personen zugänglich machen, die aus ihrer Heimat flüchten mussten.»
Genau daran arbeitet der 27-jährige Jurist seit einigen Monaten in der Freizeit, zusammen mit der 26-jährigen Politologin Méline Ulrich. Beide leben in WGs im Quartier, im Frühling haben sie das Projekt «Wegeleben» aufgegleist. Das Ziel: Flüchtlinge sollen in Wohnungen unterkommen, die gerade ein freies Zimmer haben.
«Wegeleben» bringt dazu unter anderem in Zusammenarbeit mit der Caritas interessierte WGs mit interessierten Vertriebenen zusammen – anerkannten Flüchtlingen, vorläufig Aufgenommenen und Asylbewerbern, die aufgrund ihrer Herkunft mit einer vorläufigen Aufnahme rechnen können. Die Website des Projekts ist seit Juni aufgeschaltet, weit über ein Dutzend WGs und potenzielle Mitbewohner hat man seither zu Vorgesprächen getroffen. In vier Fällen stimmte die Chemie schon: Drei Untermietverträge für Geflüchtete sind im Trockenen, ein weiterer steht kurz vor der Unterschrift. Zimmerbezug ist diesen Herbst.
Die Idee zum Projekt hatte Méline Ulrich während eines Caritas-Praktikums. Ihr fiel auf, wie schwierig es ist, Wohnungen für Flüchtlinge zwischen 18 und 25 Jahren zu finden. «Das Budget ist klein, zudem haben viele Vermieter Vorbehalte gegen junge Mieter – erst recht, wenn sie Flüchtlingsstatus haben», sagt sie. Junge Flüchtlinge landeten deshalb oft in Studios weitab vom Schuss. «Dort sitzen sie dann, allein, praktisch ohne Möglichkeit, sich mit Bewohnern und Kultur des Aufnahmelands auseinanderzusetzen.»
«Wir wollen keine betreuten Wohngemeinschaften.»
Gian Andri Färber, Mitinitiant «Wegeleben»
Wohnen in WGs dagegen sei «gelebte Integration», findet Gian Andri Färber. «Die Menschen erhalten Anschluss, werden mit unserer Sprache und den hiesigen Mentalitäten vertraut. Umgekehrt bedeuten sie selber für jede WG eine Horizonterweiterung.» Wichtig sei allerdings, dass sich die WG-Bewohner nicht als Sozialarbeiter verstünden – sondern ganz einfach als Mitbewohner. «Wir wollen keine betreuten Wohngemeinschaften. Es soll einfach normal werden, dass WGs auf der Suche nach einem neuen Mitbewohner die Möglichkeit in Betracht ziehen, ihr freies Zimmer an einen geflüchteten Menschen zu vergeben.»
«Wegeleben» beschränkt sich auf die Kantone Bern, Aargau und Zürich, ähnliche Projekte sind aber auch andernorts im Aufbau; Ulrich und Färber erhalten Feedback aus allen Landesteilen von Leuten, die eine ähnliche Idee hatten, sie aber nicht recht anzupacken wussten. Das freut die beiden Berner – denn es sei eine nachhaltige Art, sich in der gegenwärtigen Situation zu engagieren, sagt Méline Ulrich: «In einer Wohngemeinschaft verliert der Begriff des Flüchtlings an Bedeutung, da begegnet man sich von Mensch zu Mensch. Das ist unheimlich viel wert.»
Als Nebeneffekt entlastet es auch die Asylstrukturen. Denn: Etliche Flüchtlinge, die in der Schweiz bleiben dürfen, müssen mangels Wohnraum in den Zentren ausharren, die für Neuankömmlinge gedacht sind. Und dort dürfte es weiter eng werden. Der Kanton Aargau musste bereits im Sommer Asylbewerber in Zelten unterbringen – nun stellt auch Bern Zelte auf, die Basler Regierung will temporäre Wohncontainer einrichten.
Dieser Artikel ist Bestandteil unserer Artikelserie «Die vielen Helden, die sich kümmern»: Was jede Schweizerin und jeder Schweizer tun kann, um das Leid der Flüchtlinge zu lindern.
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