Tiere als Quälgeister
Wenn Hähne krähen oder Hunde jaulen, gibts schnell Streit unter Nachbarn. Wie viel Tierlärm muss man denn ertragen?
aktualisiert am 24. August 2017 - 15:20 Uhr
Das Konzert beginnt in aller Herrgottsfrühe. Den Auftakt macht der Hahn, der jeden Morgen die Anwohner aus den Federn reisst. Bald hat der verhätschelte Hund einer anderen Nachbarin seinen Einsatz. Er heult los wie ein Wolf, wenn Frauchen die Wohnung verlässt – und Frauchen ist meist den ganzen Morgen ausser Haus. Um die Mittagszeit stimmt der Papagei einer dritten Nachbarin ein: Er imitiert dauernd verblüffend echt eine Polizeisirene, weiss der Geier warum. Und abends, wenn endlich Ruhe im Quartier einkehren könnte, quakt es ohne Unterbruch aus dem nahen Biotop. Nachts schliesslich sorgen liebestolle Katzen für disharmonische Untermalung, ehe der Güggel wieder loslegt.
Zugegeben: Das ist überspitzt dargestellt – sozusagen ein Puzzle aus Fällen im Beratungszentrum des Beobachters. Deren Häufigkeit zeigt aber, dass «tierische» Lärmimmissionen immer wieder zu Zwist unter Nachbarn führen. So meldete sich jüngst Michèle Freiburghaus aus dem Berner Mittelland an der Beobachter-Hotline. Sie lebt in einem Wohnblock gleich neben einem Hühnerstall, der schon vor der Errichtung der Siedlung existierte. Seit Jahren stellt der ortsansässige Hahn ab vier Uhr früh seine Stimmkraft unter Beweis und bringt die Nachbarschaft um den Schlaf. Auf Lärmklagen hin verfrachtet die Halterin das Tier zwar in der Nacht in einen geschlossenen Raum, doch nach wenigen Wochen hat sich der Hahn seinen Freiraum jeweils wieder zurückerobert. «Kann man wirklich nichts dagegen unternehmen?», fragt Michèle Freiburghaus.
Selbstverständlich sollten Nachbarn zuerst versuchen, Toleranz zu üben. Doch Toleranz bedeutet gegenseitige Rücksichtnahme, nicht bloss einseitige. Nicht jede Lärmimmission muss hingenommen werden. So kann das hobbymässige Halten eines Hahns in einer Wohnzone die Nachtruhe der Anwohner übermässig stören. Das Bundesgericht sagt, dass es in einem eher städtisch als ländlich geprägten Wohnquartier verboten ist, einen Hahn zwischen 20 und 7 Uhr ins Freie zu lassen.
Michèle Freiburghaus könnte sich also grundsätzlich wehren. Am einfachsten via Polizei. Denn diese muss jeder Anzeige nachgehen, vorausgesetzt, eine öffentlich-rechtliche Vorschrift ist verletzt. Die Spielregeln bezüglich Tierlärm werden in der Regel von gemeindeeigenen Polizeiverordnungen bestimmt. Massgeblich ist vor allem die Einhaltung der Nachtruhe. Diese kann variieren, am meisten verbreitet ist eine Nachtruhevorschrift von 22 Uhr bis 6 oder 7 Uhr morgens. Während dieser Zeit ist jeglicher die Ruhe oder den Schlaf störende Lärm verboten.
Doch selbst wenn diese Ruhezeiten eingehalten werden, kann Tierlärm den nachbarschaftlichen Frieden empfindlich stören. So nervt Stefan Meier, der im Kanton Zürich in einem Einfamilienhausquartier wohnt, seit geraumer Zeit der Papagei seiner Nachbarin. Wohl ist der Vogel nachts unter Verschluss, aber tagsüber ahmt er auf der Terrasse stundenlang alle erdenklichen Geräusche nach – laut und deutlich. «Ich habe schon mehrmals mit der Nachbarin gesprochen, doch das bringt nur kurzfristig etwas», sagt Meier. «Kann ich denn noch mehr tun?»
Grundsätzlich gilt: Grundstückseigentümer müssen Einwirkungen ihrer Nachbarn in einem gewissen Umfang tolerieren. Diese Duldungspflicht findet aber im Nachbarrecht ihre Grenzen. Die gegenseitigen Rechte und Pflichten sollen ein geordnetes Nebeneinanderleben gewährleisten. Artikel 684 des Zivilgesetzbuchs bestimmt, dass jedermann verpflichtet ist, «sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten». Auf Deutsch: Niemand darf seine Nachbarn übermässigem Lärm aussetzen.
Verrichtet Nachbars Katze ihr Geschäft auf Ihrem Grundstück? Oder stören Kuhglocken Ihren Schlaf? Ob Sie diese und andere tierische Immissionen erdulden müssen und wie Sie sich dagegen wehren können, erfahren Sie hier als Beobachter-Mitglied.
Wo genau die Lärmgrenzen liegen, ist aber oft nicht einfach festzumachen. Dabei spielt nicht das subjektive Empfinden der Beteiligten eine Rolle – vielmehr wird die Immission nach objektiven Kriterien beurteilt. Wenn also alle Gespräche mit dem Nachbarn gescheitert sind, muss in einem Streitfall der Richter untersuchen, ob ein durchschnittlich empfindlicher Mensch die konkrete Lärmimmission ebenfalls als übermässig empfinden würde. Das Gericht wird sich somit ein eigenes Bild von den örtlichen Gegebenheiten machen, Zeugen befragen, und allenfalls kann es sogar die Grenzwerte der Lärmschutzverordnung zur Beurteilung heranziehen. Nimmt also im Papageienfall die Tierhalterin auf das Ruhebedürfnis ihrer Nachbarn auch künftig nicht genügend Rücksicht, indem sie nach einer für alle Beteiligten gangbaren Lösung sucht, wird Stefan Meier früher oder später nichts anderes bleiben, als den Fall vor den Schlichter zu bringen.
Mitunter sind die Tierhalter am längeren Hebel, wie die Geschichte von Theres Röthlisberger zeigt. Die Baselbieterin hält seit vielen Jahren inmitten einer Wohnzone einen Hahn. Bisher gab das nie Anlass zu Beschwerden, da sie den Hahn vorschriftsgemäss immer erst nach acht Uhr ins Freie lässt. Doch seit sie einen neuen Nachbarn hat, ist es vorbei mit der Eintracht: Der Mann arbeitet Schicht und fühlt sich vom Hahn um den Schlaf gebracht. Deshalb fordert er, der Hahn müsse aus der Wohnzone verschwinden. Doch bei dieser speziellen Konstellation muss Theres Röthlisberger nichts befürchten – solange sie sich weiterhin an die Vorschriften hält.