«Sein Coup zum Diversity-Label ist auch das Resultat einer Fehlinterpretation.»

«Neue Zürcher Zeitung», 9. März 2023

Die SVP macht derzeit eher Politik mit «Gender-Wahn» als mit Schutz von Minderheiten. Doch ein prominenter SVP-Stadtparlamentarier in St. Gallen fordert, die Stadtverwaltung müsse beweisen, dass sie Diversity-freundlich sei. Angeblich hat er sich geirrt. Zeit für einen telefonischen Test.

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«Herr Brunner, was heisst ‹LGBTI›?» – «Ou, warten Sie mal, lesbian, gay, bisexual, trans, intersexuell.» – «Voll richtig! Aber man hört, dass Sie bei Ihrem Vorstoss dachten, Menschen mit Beeinträchtigung und Angestellte über 50 seien da auch mit dabei – also müsste es wohl eher ‹LGBTIH50+› heissen, ‹handicapped› und ‹50+› noch dazu?» – «Damit es alle verstehen, würde das Sinn machen: Ich bin einfach gegen jegliche Diskriminierung. Aber es ist halt schon ein Zungenbrecher.»

«Herr Brunner, Sie setzen sich für Benachteiligte ein. Sind Sie in der falschen Partei?» – «Nein. Zum Beispiel in EU-Fragen bin ich sicher auf SVP-Kurs, aber in Sachen Umwelt und Integration ein Liberaler.» – «Die SVP sieht es wohl nicht so liberal, wenn einer von ihnen Minderheitenschutz betreibt.» – «Zwei Millionen Leute mit Behinderung gibt es in der Schweiz, und etwa eine halbe Million LGBTQ-Menschen. Die SVP setzt sich für eine viel kleinere Minderheit ein – für die 130'000 Bauern im Land.»

«Ehren-Födlebürger»

Jürg Brunner, 63, ist gewandt und beliebt. Gerade wurde er von der St. Galler Fasnacht zum «Ehren-Födlebürger» ernannt, weil er ein Politiker sei, «der immer wieder Herz und Födle zeigt». Seit 2009 ist er Inhaber einer Firma für Abwasser- und Umwelttechnik, beschäftigt heute 45 Leute. Er ist beinahe blind, sieht bloss 10 Prozent, trägt 12,75 Dioptrien.

«Herr Brunner, eine heikle Frage: Wenn Sie nicht selbst von einer Beeinträchtigung betroffen wären – würden Sie sich so für Benachteiligte einsetzen?» Er atmet schwer, kann nicht weitersprechen, sagt nur: «Entschuldigen Sie, ich brauche eine Pause.»

Zwei Minuten später ruft er zurück: «Entschuldigung. Wissen Sie, ich habe wegen meiner Behinderung», seine Stimme bricht erneut, «sehr genau erlebt, was es heisst, diskriminiert und schikaniert zu werden.»

Keine weiteren Fragen, Herr Brunner. Test bestanden. Höchstnote für Herz und Födle.