Eigeninteressen waren stärker
Der Nationalrat will sich nicht dreinreden lassen und schickt eine Vorlage für ein Lobbyistenregister bachab. Offensichtlich hat man aus der Vergangenheit nichts gelernt, findet Beobachter-Redaktor Thomas Angeli in seinem Kommentar.
Veröffentlicht am 18. Juni 2019 - 16:14 Uhr
Natürlich hätte die Ratslinke mehr gewollt: Am liebsten ein Lobbyistenregister , das den Namen auch verdient. Oder noch besser ein Akkreditierungssystem für Lobbyistinnen und Lobbyisten, bei dem nicht mehr die Parlamentarier bestimmen, wer im Bundeshaus im Auftrag Dritter weibeln darf. Eine solche Akkreditierung könnte zum Beispiel die Bundeskanzlei ausstellen, nach objektiven, nachvollziehbaren Kriterien. Selbst die Schweizerische Public Affairs Gesellschaft (SPAG) befürwortete dies. Das überholte Götti-System, mit dem jedes Parlamentsmitglied zwei Zutrittsausweise an x-beliebige Personen abgeben darf, hätte damit ausgedient gehabt.
Bei der Beratung der parlamentarischen Initiative von Didier Berberat (SP, NE) «Für transparentes Lobbying im eidgenössischen Parlament» hätten Linke und Grüne mit Unterstützung der GLP selbst eine Mini-Reform akzeptiert. Zur Diskussion stand, dass Mitarbeitende von Lobbyagenturen deklarieren müssen, in wessen Auftrag sie in der Wandelhalle unterwegs sind. Auch ehemalige Parlamentsmitglieder, die einen unbeschränkten Zutritt zum Bundeshaus geniessen und deshalb gern als Lobbyisten angeworben werden, hätten ihre Auftraggeber offenlegen müssen.
Selbst diese Minimallösung für mehr Transparenz hatte jedoch keine Chance. Weder bestehe ein echtes Problem, noch würde ein solches Register eine Lösung bringen, argumentierte etwa Ruth Humbel (CVP): «Wir sind keine Dunkelkammer, und unsere Interessenbindungen sind öffentlich einsehbar». Das eigentliche Lobbying finde sowieso ausserhalb des Bundeshauses statt. Dass in Sachen Transparenz durchaus Luft nach oben ist, zeigt jedoch ausgerechnet Humbels eigene Deklaration ihres Engagements bei der Concordia-Gruppe. Die Aargauer Nationalrätin gibt auf der Parlaments-Website ein einziges Mandat bei der Versicherung an. Die Transparenz-Plattform Lobbywatch hingegen fand bei Recherchen deren vier.
«Wenn das nächste Mal etwas passiert, wird uns diese Ablehnung um die Ohren fliegen».
Balthasar Glättli, Grüne
«Ein Placebo» sei die vorgeschlagene Regelung, erklärte auch Kurt Fluri (FDP, SO): «Was ist denn der Mehrwert für die Bevölkerung, wenn man nachschauen kann, dass eine Lobbyagentur heute 32 Mandate hat und morgen 30?»
Wer Humbel und Fluri zuhörte, begriff schnell: Auf bürgerlicher Seite will man schlicht vernebeln, wer im Bundeshaus in wessen Auftrag ein und aus gehen und lobbyieren darf. Die Kasachstan-Affäre? Vergessen. Der Fall von alt Nationalrat Christian Miesch (SVP, BL), bei dem der Nationalrat wegen Korruptionsverdachts die Immunität aufhob, so dass jetzt die Staatsanwaltschaft ermitteln kann? Längst verdrängt. Von den damals eingereichten Vorstössen, die das Lobbying im Bundeshaus strikter regeln wollten, ist gerade noch einer geblieben: derjenige von Didier Berberat. Und diesen hat der Nationalrat mit 103 zu 72 Stimmen abgelehnt.
«Liebe Kolleginnen und Kollegen», warnte der Grüne Balthasar Glättli während der Debatte: «Wenn das nächste Mal etwas passiert, wird uns diese Ablehnung um die Ohren fliegen». Man möchte es fast hoffen.
Thomas Angeli ist Redaktor beim Beobachter und Co-Präsident von Lobbywatch.