Der Befangenenchor
Das Bundeshaus ist durchsetzt von Interessenvertretern. Zur Wandelhalle haben fünfmal so viele Einflüsterer Zutritt wie Parlamentarier. Die meisten Politiker sehen darin kein Problem. Kein Wunder: Sie profitieren.
Mittlerweile wirft Lukas Reimann, Nationalrat der SVP, die täglich eintreffenden Verlockungen nur noch in eine Kartonschachtel. In seiner ersten Legislatur hatte er all die Einladungen zu Apéros, Dinner Talks und exklusiven Essen für Parlamentarier noch systematisch abgelegt. Am Ende hatte er 35 Bundesordner gefüllt. Reimanns Abneigung gegen die Einflussversuche durch Verbände, Organisationen, Firmen und andere Institutionen liess ihn eine Volksinitiative für mehr Transparenz lancieren: Jedes Mitglied der eidgenössischen Räte müsse umfassend offenlegen, in wessen Sold es stehe.
Das brachte dem Jungspund bei seinen Parteikollegen von der SVP keinen Ruhm ein. Bei anderen Parteien erntete Reimann immerhin Schulterklopfen. Dennoch wird seine Initiative scheitern. Aller Voraussicht nach kommen die nötigen Unterschriften nicht zusammen, und das Volk wird weder Ja noch Nein sagen können in der Frage, ob sich Volksvertreter strengeren Transparenzregeln beugen müssen.
Von sich aus werden sich die National- und Ständeräte sowieso keine strengeren Regeln auferlegen. Der neuste Versuch, die Vernetzungen der Parlamentarier öffentlich zu machen, ging in der letzten Session den Bach runter. Der Vorstoss des unabhängigen Schaffhauser Ständerats Thomas Minder war der jüngste von einem halben Dutzend Versuchen in den letzten Jahren, den Einfluss der allgegenwärtigen Einflüsterer im Bundeshaus einzuschränken. Denn wenn die Parlamentarier – aus ihrer Sicht – etwas tun oder lassen sollen, greifen die Lobbyisten gnadenlos ins politische Spiel ein.
Gesundheitskommission Ständerat: So verstrickt sind unsere Parlamentarier
Eine der wohl am besten organisierten Lobbys ist im Gesundheitswesen tätig. Und hinter ihr steht ein Mann, der für viele in Bundesbern als der Einflüsterer par excellence gilt: Thomas B. Cueni, seit mehr als 20 Jahren Geschäftsführer und damit Cheflobbyist des Branchenverbands Interpharma. Taucht er in der Wandelhalle des Bundeshauses auf, muss ein wichtiges Thema anstehen. Hinter Interpharma, dieser «wirtschaftspolitischen Kampagnenmaschine» (Interpharma-Festschrift), stehen die Konzerne Novartis, Roche, Actelion und Merck Serono. Die grossen vier erwirtschaften mit ihren über 220'000 Mitarbeitern weltweit mehr als 90 Milliarden Franken Umsatz pro Jahr.
Cueni kokettiert, er sei eigentlich gar nicht oft im Bundeshaus, «vielleicht an zwei oder drei Tagen pro Session». Dann aber ist er sehr präsent. Er sitzt auf einem der üppigen Sofas in der Wandelhalle und hält Hof. Stets picobello gekleidet, konziliant im Ton und messerscharf in der Argumentation, hat Thomas B. Cueni Zeit für alle Ratsmitglieder, die gewillt sind, ihm zuzuhören. Den iPad mit aktuellen Studien und Grafiken in Griffweite, erklärt er hier einem Nationalrat etwas, plaudert dort mit einer Nationalrätin. Zu gutem Lobbying gehöre es halt, «gut aufgearbeitete Informationen rasch zur Verfügung zu stellen», erklärt der Lobbyist im Gespräch mit dem Beobachter (siehe Artikel zum Thema «Im Vorfeld werden wir auch mal konsultiert»)
Mit diesen Lobbys sind die Nationalräte verbunden
Thomas B. Cueni ist auch in diesen Wochen die Ruhe selbst, obwohl es bei seiner aktuellen Mission um Hunderte von Millionen Franken geht. Denn in der Pharmabranche herrscht seit dem 1. Januar 2012 Alarmstimmung. Nach neun für sie fetten Jahren mit einem freisinnigen Innenminister begann an diesem Tag die Ära des Sozialdemokraten Alain Berset, und der Neue im Bundesrat stellte schnell klar, dass er nicht gewillt ist, nach der Pfeife der Pharmalobby zu tanzen.
Als eines der ersten Themen im Gesundheitsbereich knöpfte sich Berset die Preise von rund 2500 rezeptpflichtigen Medikamenten auf der sogenannten Spezialitätenliste vor. Für diese galt eine komplizierte Berechnungsformel, in der es um Begriffe wie «therapeutischer Quervergleich», «Auslandspreisvergleich» und «Toleranzmarge» ging. Festgelegt war auch der Euro-Kurs, den die Schweizer Pharmamultis ihren Preisberechnungen zugrunde legen dürfen. Dieser ist bei 1.58 Franken zementiert und liegt damit weit über dem aktuellen Wechselkurs. Berset setzte per Verordnung durch, dass die Pharmafirmen ab dem 1. November für etwa 800 der gut 2500 Medikamente nur noch einen Kurs von 1.29 Franken berechnen dürfen.
Da schlug die Stunde des Lobbyisten Cueni: Er begann an allen Ecken zu mobilisieren. Ende Februar ventilierte er gegenüber Journalisten, dass die Pharma einen Euro-Wechselkurs von 1.40 Franken brauche. Kurz darauf beklagte er sich im «Sonntags-Blick», die Pharmabranche als wichtigste Exportbranche werde durch diesen tieferen Wechselkurs «abgestraft».
Der clevere Strippenzieher Cueni setzt die Medien gezielt ein. Er kann komplizierte Sachverhalte – und davon gibt es im Gesundheitswesen viele – in einfache, druckreife Sätze fassen. Entsprechend oft wird er von Journalisten zitiert. Seine Meinung zur Neufestsetzung der Medikamentenpreise, die er in zahlreichen Zeitungsartikeln kundtun konnte, untermauerte er mit seiner eigenen wöchentlichen Kolumne in der «Basler Zeitung». Hier erläuterte er, weshalb Medikamente in der Schweiz «nur» 19 Prozent teurer seien als in vergleichbaren europäischen Ländern. Cueni weiss genau: Jede seiner Äusserungen landet via Presseschau in den zuständigen Ämtern, um dort ihre Wirkung zu entfalten.
Ein zweiter Argumentationsstrang der Pharmafirmen ist der Wirtschaftsstandort Basel. So lancierte der Basler SVP-Nationalrat Sebastian Frehner im Bundeshaus flugs die «Parlamentarische Gruppe Region Basel». Allein in den vergangenen acht Monaten haben Frehner und sein Parteikollege Thomas de Courten drei Vorstösse zum Thema Medikamentenpreise und Pharmastandort Basel eingebracht. De Courten ist nicht nur SVP-Nationalrat, sondern auch Leiter der Wirtschaftsförderung Basel-Landschaft – und Präsident von Intergenerika, dem Branchenverband der Generika-Hersteller.
Besonders eifrig weibelt Nationalrat Frehner für den finalen Coup der Pharmalobby, eine von der Zürcher CVP-Nationalrätin – und Apotheken-Verwaltungsrätin – Barbara Schmid-Federer eingebrachte Kommissionsmotion. Deren Ziel ist es, Bersets Preisfestsetzungsmodus faktisch rückgängig zu machen. Lobbyist Cueni weist die Gerüchte zurück, wonach Interpharma den Motionstext formuliert habe, «aber wir sind selbstverständlich konsultiert worden». In der vorberatenden Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) des Nationalrats kam der Vorstoss dank der bürgerlichen Mehrheit locker durch. Das sei auch kein Wunder, spottet die unterlegene Gegenseite: Interpharma habe den Kommissionsmitgliedern gleich seitenweise Argumentarien für die Motion zugestellt.
Ansonsten wird Diskretion in Bundesbern grossgeschrieben, und so nehmen es die National- und Ständeräte nur halbwegs genau mit der Offenlegung ihrer Interessen. Sie wissen dabei das Gesetz oft auf ihrer Seite. Artikel 11 des Parlamentsgesetzes verpflichtet die Ratsmitglieder lediglich, «Tätigkeiten in Führungs- und Aufsichtsgremien sowie Beiräten und ähnlichen Gremien von schweizerischen und ausländischen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des privaten und des öffentlichen Rechts» offenzulegen.
Eine Mitgliedschaft in einer parlamentarischen Gruppe muss hingegen nicht deklariert werden – obwohl das mithin schlicht vorgeschobene Interessengruppierungen sind, die im Hintergrund von Lobbyorganisationen oder Branchenverbänden gesteuert und finanziert werden. Bei den Parlamentsdiensten sind nicht weniger als 93 derartige «parlamentarische Gruppen» gemeldet.
Auch sonst wird der gesetzlich zulässige Interpretationsspielraum weidlich genutzt. So hat SVP-Nationalrat Toni Bortoluzzi die Mitgliedschaft im «Beraterboard» der Pharma-Consulting-Firma Accertis AG «vergessen». Accertis ist laut eigenen Angaben «spezialisiert auf die strategische und operative Beratung im Pharmamarkt». Die beiden Geschäftsführer waren einst Manager des Pharmariesen Pfizer (Ponstan, Temesta, Viagra). Mit Bortoluzzi an Bord kann die Beraterfirma bequem das Wissen der Gesundheitskommission anzapfen. Entschädigt werde diese Tätigkeit nicht, versichert der SVP-Vertreter: «Ich lese nur den Jahresbericht und gebe meinen Senf dazu.» Darben muss Bortoluzzi aber nicht, «gelegentlich werde ich während der Session von den beiden Herren zum Essen eingeladen».
Die Verbundenheit zu Firmen und anderen Interessenvertretern geht in Bern augenfällig oft durch den Magen. Eine – bei weitem nicht vollständige – Liste der Anlässe während der jüngsten Herbstsession zeigt: Wer im Parlament etwas erreichen will, lädt zu «Dinner Talks», «Info Lunches» oder «Parlamentariertreffen» – mit Vorteil in die Nobelhotels Bellevue Palace oder Schweizerhof. Das sei aber nicht weiter schlimm, sagen Parlamentarierinnen und Parlamentarier unisono. Verbindungen zu Verbänden und Organisationen seien im Milizparlament üblich.
Eine umfassende Erhebung des Beobachters zeigt ein umgekehrtes Bild: Verbände, Organisationen und Firmen spannen die National- und Ständeräte gezielt für ihre Zwecke ein. Seit sie Mitglied der SGK sei, sagt etwa die freisinnige Waadtländer Nationalrätin Isabelle Moret, habe sie gleich mehrere Angebote erhalten, bei Krankenversicherern in einem Gremium Einsitz zu nehmen. Bislang habe sie abgelehnt, erklärt die FDP-Politikerin. Sie gibt aber freimütig zu, dass sie sich von allen Interessengruppen zum Essen einladen lasse: von den Ärzten, der Industrie, den Krankenkassen.
Der Beobachter hat die Interessenbindungen der Mitglieder von National- und Ständerat am Beispiel der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit analysiert – für einmal nicht nach der Anzahl Mandate, sondern nach der Art der Mandate. Damit wird zum ersten Mal deutlich, welche Firmen, Verbände und Organisationen in qualitativer Hinsicht am meisten Einfluss auf das Parlament ausüben (siehe obenstehende Grafiken).
Das Fazit ist ernüchternd: In den beiden Gesundheitskommissionen von Nationalrat (25 Mitglieder) und Ständerat (13 Mitglieder) sind nur gerade zwei Personen nicht mit einem Verband oder einer Firma des Gesundheitsbereichs verstrickt, nämlich Karin Keller-Sutter (FDP) und Hans Stöckli (SP). Auffallend oft sind die National- und Ständeräte nicht bloss «Mitglieder» eines Verbands, sondern präsidieren einen Stiftungsrat oder führen die Geschäftsstelle einer Organisation. Wenn nötig, schaffen Firmen extra für «ihre» Nationalräte entsprechende Gremien. Das nennt sich dann «Beirat» (wie beim Internetvergleichsdienst Comparis) oder «Groupe de réflexion» (wie bei der Krankenkasse Groupe Mutuel).
Die Politiker sind sich ihrer Rolle durchaus bewusst. «Kein Lobbyist kann das bewirken, was ein Parlamentarier dank dem direkten Kontakt zu seinen Ratskollegen erreichen kann», räumt der wirtschaftsnahe SVP-Mann Sebastian Frehner unumwunden ein. Der Geschäftsführer der «Parlamentarischen Gruppe Region Basel» arbeitet trotz seiner Heimatverbundenheit nicht für Gottes Lohn für die Pharmaindustrie. Seinen Einsatz finanziert unter anderem der Arbeitgeberverband Basel. Dieser hat Frehner und die anderen bürgerlichen Kandidaten aus den beiden Basler Halbkantonen bereits «mit einem mittleren vierstelligen Betrag» im Wahlkampf unterstützt, wie der Verband auf Anfrage erklärt. Offenbar arbeitet Frehner zur Zufriedenheit der Arbeitgeber: Sie schlagen ihn für die Wahl in den Basler Grossen Rat vor, wo er bereits politisiert und lobbyiert. Auf die Frage des Beobachters, wie er denn seinen Handlungsspielraum in Bezug auf Gesundheitsthemen einschätze, erklärt Frehner selbstbewusst: «Ich schätze meine Unabhängigkeit als sehr gross ein.»
Claude Longchamp, Politologe und Autor mehrerer Studien zum Lobbyismus in der Schweiz, hat dazu eine pointierte Meinung: «Eigentlich ist es nicht tragbar, dass politisch gewählte Personen private Mandate ausüben.» Longchamp stört sich insbesondere daran, dass die Lobbyisten nicht nur uneingeschränkten Zugang ins Bundeshaus erhalten, sondern sogar «am Schluss noch mit abstimmen». Sprich: Die wichtigsten Lobbyisten sitzen selber im Parlament – und die anderen bevölkern die Wandelhalle.
Wer in diesen nicht öffentlichen Teil des Bundeshauses will, benötigt eine Zutrittsberechtigung. Recherchen des Beobachters zeigen: Die Regelungen sind unklar, unkontrollierbar und absurd. Zurzeit besitzen rund 1400 Personen einen Zutrittsausweis, folglich tummeln sich fünfeinhalbmal so viele «Gäste» im Bundeshaus, wie es Parlamentsmitglieder gibt (siehe nachfolgende Box «Offene Tür: So kommen die Einflüsterer ins Bundeshaus»).
«Die heutige Form des Lobbyismus ist eine Folge des Milizparlaments», sagt Claude Longchamp. Allerdings sei das Milizparlament von heute bloss noch «eine Fiktion». Faktisch seien viele National- und Ständeräte Berufspolitiker, «auch wenn sie das nicht gerne hören». Die Schlussfolgerung des Universitätsprofessors: «Bei Berufspolitikern müssten wir eigentlich die Rollen sauber definieren.»
Die Schweiz müsste Lobbys somit nach dem europäischen System regeln; das würde bedeuten, dass sich Parlamentarier mit Lobbyisten an öffentlich zugänglichen Anhörungen austauschen. Claude Longchamp: «Damit ist die Einflussnahme transparent, man weiss, wer im Parlament Rede und Antwort steht.»
Eindrücklich verzahnt in Bundesbern ist etwa die Groupe Mutuel aus Martigny, eine Krankenkasse mit über einer Million Versicherten. Sie hatte schon vor Jahren ein Gespür für potentiell einflussreiche Parlamentarier. Da war einmal ein Verwaltungsrat und FDP-Nationalrat namens Pascal Couchepin. Er wurde später Bundesrat, gab sein Amt bei der Groupe Mutuel ab und wurde oberster Beaufsichtiger der Krankenkassen. Selbstverständlich war Couchepin völlig unvoreingenommen.
Bis heute verfügt die oberste Spitze der Westschweizer Krankenkasse über direkten Zugang zu den politischen Entscheidungsträgern. Über ihr Geschäftsleitungsmitglied, SVP-Nationalrat Jürg Stahl, schleust die Groupe Mutuel ihren Chef Thomas Grichting als Gast ins Bundeshaus. Stahl selber sitzt zusammen mit dem Zuger FDP-Nationalrat Bruno Pezzatti in der «Groupe de réflexion» der Krankenkasse. Wie viel sich die Groupe Mutuel die Parlamentarier im Beirat jährlich kosten lässt, will sie auch nach mehrmaligem Nachfragen nicht bekanntgeben. Bezahlt würden «Aufwand und Spesen», sagt ein Sprecher einsilbig. Der Internetvergleichsdienst Comparis etwa zahlt Beiräten 5000 Franken pro Jahr – für drei bis fünf Arbeitstage.
Nicht immer verbirgt sich hinter den deklarierten Verbindungen das, wonach es klingt. Die «IG Seltene Krankheiten» mit CVP-Nationalrätin Ruth Humbel als Präsidentin ist keine Patientenorganisation, wie man annehmen könnte. Die Gruppe dient vielmehr als Drehscheibe zwischen der Pharmaindustrie und der Ärzteschaft beziehungsweise den Spitälern. Geführt wird sie vom einflussreichen Berner Spezialisten für «Public Affairs», der Firma Furrer, Hugi & Partner. Ähnlich das «Forum Gesundheit» mit SVP-Nationalrat Alex Kuprecht als Präsident. Unter diesem Dach vereinigen sich Krankenkassen, Spitäler und die Pharmabranche mit zahlreichen kantonalen und nationalen Politikern. Bis vor kurzem war das Forum noch beim Büro des Centre Patronal angesiedelt, einer Lobbyorganisation. Jetzt zieht die Dynamics Group die Fäden, eine Firma für politische Propaganda. Der Kreis schliesst sich: Politiker brauchen Interessenverbände, Interessenverbände benötigen PR-Büros, um ihre Themen zu «kommunizieren». Das hindert die Politiker jedoch nicht daran, sich als «unabhängig» zu präsentieren.
Einen besonderen Dreh hat der Westschweizer SVP-Nationalrat Guy Parmelin gefunden. Er sagt gegenüber dem Beobachter: «Ich verfüge über keinerlei Mandate aus dem Gesundheitswesen, auch gehöre ich weder einem Krankenkassen-Beirat an noch einem Stiftungsrat eines Spitals.» Auch habe er keinerlei Verbindungen zu einem Berufsverband aus dem Gesundheitsbereich, von privaten finanziellen Engagements in Pharmafirmen könne keine Rede sein. Klingt gut. Doch auch Weinbauer Parmelin wird die Einflüsterer nicht los: Den einen seiner zwei Gästepässe reichte er nämlich an Luc Bastian weiter, den Cheflobbyisten von Santésuisse, dem Dachverband der Krankenkassen. Die zweite Gästekarte ermöglicht Pharma-Cheflobbyist Thomas B. Cueni den Zugang zur Wandelhalle. Parmelin und Cueni betonen, sie seien halt alte Freunde und tränken gerne ein Glas Wein zusammen. So einfach ist das.
Offensichtlich zahlt sich intensives Lobbying aus. Die Pharmaindustrie jedenfalls hat in der Herbstsession erreicht, was sie wollte. Angeführt von der Interessenkombination Basel-Wirtschaft-Pharma, hat die bürgerliche Mehrheit im Nationalrat Bundesrat Alain Berset dazu verdonnert, sich mit der Pharmaindustrie und den Krankenkassen an einen Tisch zu setzen und eine «einvernehmliche Lösung» zu finden. Das heisst: Er muss Medikamentenpreise aushandeln, die auch der Pharmaindustrie passen. Für Cheflobbyist Cueni ein Sieg auf der ganzen Linie.
Viel Transparenz, viel Honorar
Der Internet-Vergleichsdienst Comparis korrigiert das vom Beobachter genannte Honorar seiner Beiräte – nach oben. Die Beiräte erhalten pauschal 12'000 Franken pro Jahr und nicht 5000, teilt Comparis-Sprecher Felix Schneuwly mit. Verlangt werde dafür «die Teilnahme an mindestens zwei Sitzungen inkl. Vor- und Nachbereitung sowie diverse Beratungstätigkeiten». Die Transparenz ist begrüssenswert. Die Höhe des Honorars hingegen dürfte da und dort für Kopfschütteln sorgen.
Im Beirat sitzen Nationalrätin Ruth Humbel (CVP), die Nationalräte Toni Bortoluzzi, Pierre-François Veillon (beide SVP) und Alec von Graffenried (Grüne), Ständerat Pankraz Freitag (FDP) sowie der Berner Professor Robert Leu. Thomas Angeli
Offene Tür: So kommen die Einflüsterer ins Bundeshaus
Gästeausweise: Jedes Mitglied der eidgenössischen Räte kann zwei Gästen permanent Zutritt zur Wandelhalle verschaffen. Mit wem diese Gäste verbandelt sind, muss nicht deklariert werden, die Angabe ihrer Funktion genügt. Mehrere Lobbyvertreter sind offiziell nur als «Gast» oder als «persönliche Mitarbeiterin» unterwegs. Theoretisch könnten sich 492 Lobbyisten unter der Bundeshauskuppel einfinden; derzeit sind 377 Ausweise im Umlauf. Als besonders eifrige Sammler erweisen sich der Schweizerische Gewerkschaftsbund (7 Ausweise), der Gewerbeverband (6), Economiesuisse (5) und die Umweltorganisationen Pro Natura (5) und WWF (4). Von der Lobbyfirma Furrer, Hugi & Partner kommen drei Mitarbeiter dank Gästeausweisen direkt ins Bundeshaus, bei Konkurrent Burson-Marsteller sind es zwei.
Tagesausweise: Pro Sessionstag können Parlamentsmitglieder zwei zusätzliche Zutrittsausweise vergeben, ohne Funktion oder Interessen deklarieren zu müssen. Pro Tag verschaffen sich bis zu 210 Personen auf diese Weise Zutritt, wie die Parlamentsdienste gegenüber dem Beobachter bestätigen.
Medienausweise: Im Bundeshaus sind rund 160 Journalisten akkreditiert, die für Tages- und Wochenzeitungen sowie für Fernseh- und Radiostationen arbeiten. Hinzu kommen 30 Fotografen. Zu diesen Medienschaffenden gesellen sich 273 Personen, die gemäss Eigendeklaration für Verbandszeitschriften und PR-Publikationen tätig sind – de facto in den meisten Fällen Lobbyisten unter dem Deckmantel des Journalismus. Die entsprechende Liste will die Bundeskanzlei mit Verweis auf den Datenschutz nicht herausrücken. Selbst die Namen der Publikationen bleiben ein Geheimnis. Ein Sprecher räumt jedoch freimütig ein, dass diese Funktionärsjournalisten «im Graubereich der PR oder gar im PR-Bereich selber operieren». Wie wertvoll der praktisch ungehinderte Zugang zur Wandelhalle für Verbände und Interessengruppen ist, zeigen zwei Gerichtsverfahren: Als die Bundeskanzlei zwei Ausweise nicht erneuern wollte, zogen die Betroffenen vor das Bundesverwaltungsgericht – und gewannen, weil die Rechtsgrundlage für einen Ausweisentzug fehlte.
Ehemalige Parlamentarier: Einmal im Bundeshaus, immer im Bundeshaus – nach diesem Motto haben ehemalige Ratsmitglieder Anrecht auf einen Zutrittsausweis. Damit können sie ungehindert und unregistriert als Lobbyisten arbeiten. Derzeit sind laut Parlamentsdiensten 385 solcher Ausweise im Umlauf. Als besonders aktiv gelten in Bern etwa Economiesuisse-Chef Gerold Bührer (FDP-Nationalrat von 1991 bis 2007) oder Regina Ammann – auch sie lobbyiert für den Wirtschaftsdachverband, dies als «Leiterin Bundeshausgeschäfte». Auch Bruno Frick, während zehn Jahren Ständerat für den Kanton Schwyz, zieht es wie viele seiner ehemaligen Kolleginnen und Kollegen immer wieder ins Bundeshaus, meist in unbekannter Mission. Die Parlamentsdienste verweigern auch hier die Herausgabe einer Namensliste.
Kantonsvertreter: 44 kantonale Lobbyisten sind offiziell registriert.
Lobbyisten für Bundesämter: Eine unbekannte Anzahl Bundesangestellter oder Angestellter von bundesnahen Betrieben hat Zugang zum Bundeshaus, um dort die Interessen ihrer Ämter zu vertreten. So arbeitet etwa ein Mitarbeiter des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats (Ensi) nach eigenen Angaben während der Session hauptsächlich im Bundeshaus.
1 Kommentar
Feudalismus oder Demokratie?
Horst Seehofer zum Stand in Deutschland: «Die, die gewählt sind, haben nichts zu sagen, und die die etwas zu sagen haben, sind nicht gewählt.»
Öffentliche (Volks-)Vertreter und solche der Privatwirtschaft sind im Bundeshaus zu trennen. Hier stehen Tür und Tor für Korruption zu einladend offen. Auch müssten die überalterten Privilegien der wirtschaftlichen Spin Doctors UND jene der Politschausteller der heutigen Zeit angepasst werden. Politiker sind Angestellte des Volkes, und nicht umgekehrt. Privatwirtschaftliche Interessenvertreter können schriftliche Anträge stellen, so wie die übrigen Untertanen auch.
Jemand stoppe endlich dieses Geklüngel auf Kosten der Bürger.