Irgendwann konnte Nora nicht mehr. Über Jahre hinweg schickt ihr Ex-Freund ihr unzählige SMS, E-Mails und Sprachnachrichten, ruft sie bis zu 100-mal am Tag an, lauert ihr immer wieder auf.

Nora Betschart, die in Wirklichkeit anders heisst, reicht Strafanzeige ein, doch eine Verurteilung erweist sich als äusserst schwierig. Den Straftatbestand der Nötigung kann sie nicht nachweisen – und Stalking als solches ist kein eigener Straftatbestand. Doch das soll sich jetzt ändern.

Partnerinhalte
 
 
 
 

Stalking ist nur selten strafbar

Der Nationalrat arbeitet zurzeit an einem neuen Gesetzesentwurf, der Stalking explizit unter Strafe stellen will. Der Forensiker Frank Urbaniok hat Anfang Juli zusätzlich eine Online-Petition lanciert, mit der er die Öffentlichkeit auf das Thema aufmerksam machen und Druck auf die Politik ausüben will. «Das ist notwendig», sagt er.

Heute können Stalkerinnen und Stalker nur für einzelne Taten verurteilt werden – beispielsweise Nötigung, Drohung und Telefonbelästigung. Viele Handlungen, die den Opfern stark zusetzen, sind aber nicht strafbar.

Der Forensiker macht ein Beispiel: «Jemand kann wieder und wieder eine Bestellung auf Ihren Namen aufgeben, aus reiner Böswilligkeit. Sie müssten diese Bestellungen drei- bis viermal die Woche retournieren und immer begründen, dass das nicht Ihr Zeug ist. Das kann Ihr Leben extrem belasten – doch Sie können oft wenig dagegen tun.» Eine Statistik der Beratungsstelle für Stalking der Stadt Bern von 2021 zeigt: Lediglich 27 Prozent der dort als Stalking identifizierten Handlungen verstossen gegen das Strafgesetz.

Opfer müssen um Strafen kämpfen

Wenn keine der Stalking-Handlungen strafbar ist, bleibt den Betroffenen nur, zivilrechtlich wegen Persönlichkeitsverletzung zu klagen. So hat es letztlich auch Nora Betschart Betschart geschafft, eine Verurteilung ihres Peinigers zu erwirken. Das Problem: Ein Zivilverfahren ist ohne anwaltliche Vertretung kaum zu bewältigen. Betroffene benötigen oft viel Geld und Zeit. Und den Tätern drohen lediglich Bussen oder Kontaktverbote. «Es ist fraglich, ob Geldstrafen Stalker davon abhalten, ihrem Opfer weiter nachzustellen», sagt Urbaniok. 

Gesetzesänderung ist auf dem Weg

Die Rechtskommission des Nationalrats hat den Handlungsbedarf erkannt. Im Mai schickte sie einen Gesetzesentwurf in die Vernehmlassung, der Stalking zum eigenständigen Straftatbestand machen soll. Der Entwurf spricht Betroffenen mehr Rechtsmittel zu, um sich zu wehren. Täterinnen und Tätern drohen mehrjährige Freiheitsstrafen. 

Frank Urbaniok ist allerdings skeptisch, ob es wirklich so weit kommt. Die Rechtskommission habe mit ihrem Gesetzesentwurf zwar eine gute Grundlage erarbeitet. «Jedoch hat es seit 2007 immer wieder Vorstösse diesbezüglich gegeben, die alle wieder fallen gelassen wurden», so Urbaniok. Auch jetzt gibt es Gegenwehr: So sagen einige Anwälte, Stalking sei durch den Nötigungstatbestand abgedeckt. Und manche Kreise befürchten, harmloses Flirten könnte als Belästigung ausgelegt werden. Urbaniok sagt: «An solchen Bedenken sind neue Stalking-Gesetze bisher immer gescheitert.»

Darum lancierte Urbaniok im Juli die Online-Petition, um für das Thema zu sensibilisieren – und zu vermeiden, dass der Vorstoss erneut hängen bleibt. «Stalking kann die Opfer wahnsinnig unter Druck setzen. Da muss der Staat einspringen und sagen: Das ist auch unser Problem, nicht nur deins», so Urbaniok.

Die Vernehmlassungsfrist dauert bis zum 16. September 2023. Jede Person und jede Organisation kann sich am Verfahren beteiligen und eine Stellungnahme einreichen. Das Gesetz tritt frühestens Anfang 2025 in Kraft.