Die Nomination für den Prix Courage hat mich wirklich ausserordentlich gefreut», sagt Reto Cantieni. «Für mich ist es ein Zeichen, richtig gehandelt zu haben.»

Auch die Reaktionen aus seinem Umfeld seien sehr positiv gewesen. Allerdings mit einer Einschränkung: «Für meinen alten Arbeitgeber, den Kanton Graubünden, bin ich nun erst recht ein rotes Tuch.» Seit Monaten wartet Reto Cantieni auf sein Arbeitszeugnis. «Dass ich je wieder eine Stelle in der Verwaltung bekomme, kann ich glatt vergessen.»

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Der ehemalige Leiter des Regionalen Arbeitsvermittlungszentrums (RAV) in Thusis GR erhielt im August 1998 die Kündigung und wurde freigestellt. Begründet wurde der erzwungene Abgang mit «fehlender Loyalität gegenüber Vorgesetzten» und der «Weigerung, berechtigten Weisungen nachzukommen».

Hintergrund der amtlichen Machtdemonstration: Der gradlinige Cantieni, ausgebildeter Sozialarbeiter mit starkem Gerechtigkeitssinn, hatte sich geweigert, heikle Angaben aus den Beratungsgesprächen mit den Arbeitslosen im computergestützten Informationssystem AVAM des Bundesamts für Wirtschaft und Arbeit zu erfassen.

Es ging dabei um Angaben wie «Alkoholprobleme», «HIV-positiv» oder «suizidgefährdet» – also um besonders sensible Personendaten, auf die allein im Kanton Graubünden rund zwei Dutzend Personen Zugriff haben.

Chur missachtete den Datenschutz
Ein Jahr zuvor hatte der eidgenössische Datenschutzbeauftragte, Odilo Guntern, die RAVs aufgefordert, solche Rubriken ersatzlos zu streichen. Die Publikation der Persönlichkeitsprofile im AVAM-System hat demnach anonym zu erfolgen. Doch Bern ist weit weg – und in Chur gingen die Uhren noch lange Zeit anders.

Schliesslich verlor Cantieni wegen seiner Standhaftigkeit die Stelle. Sein Rekurs gegen die Kündigung hatte bei der Bündner Regierung keine Chance.

«Cantieni hat eine klare Linie», sagt einer seiner ehemaligen RAV-Kollegen. «Wenn er von etwas überzeugt ist, kann er sehr hartnäckig sein. Und er sah die Arbeitslosen nie als Nummer. Das hatte nicht allen gepasst.» Seit Cantienis Abgang haben weitere RAV-Leiter ihre Stelle gekündigt; das Klima ist seit längerem belastet.

Das Geld ist knapper geworden
Für den 39-jährigen Vater von zwei Kindern hat der Clinch mit dem Kanton unangenehme Folgen: Er ist noch immer teilweise arbeitslos, denn seine neue Stelle als Gewerkschaftssekretär ist nur ein 80-Prozent-Job. Ausserdem ist unsicher, wie lange er dort bleiben kann. Deshalb sind die Cantienis auch aus der bisherigen Wohnung ausgezogen: Sie war zu teuer geworden. Ehefrau Jacqueline arbeitet seit dem Rauswurf ihres Mannes stundenweise auswärts. Doch die Turbulenzen haben die Familie noch stärker zusammengeschweisst.

«Wahr ist auch dann wahr, wenn die Konsequenzen unangenehm sind», sagt Cantieni. Er wirkt zuversichtlich. Vorbei ist die schwierige Zeit beim Kanton, als ihn die Vorgesetzten massiv unter Druck setzten und er zweimal zusammenbrach.

Als RAV-Leiter fühlte er sich oft im «Sandwich zwischen den Ansprüchen der Arbeitslosen und den Auflagen der öffentlichen Hand». Heute ist er Partei und wird dafür bezahlt, die Interessen seiner Gewerkschaftsmitglieder zu vertreten.

«Ich kann etwas bewegen», erzählt er. Genugtuung schwingt in seiner Stimme mit, wenn er vom «hundertprozentigen Sieg gegen die Arbeitslosenkasse» spricht, den er kürzlich für ein Mitglied erstritten hat. Diesem war das Arbeitslosengeld gestrichen worden – zu Unrecht.

In solchen Momenten wird klar, dass Reto Cantienis Wunden noch nicht verheilt sind. Aber eben: Was wahr ist, ist wahr. Da darf man sich nicht drücken. Auch wenns weh tut.