Ohne Nebenjob für Bauern keine Zukunftsperspektive
SOS Beobachter finanziert einer Bäuerin eine Spezialausbildung, damit ihre Familie trotz knappem Haushaltsbudget die anspruchsvolle Betreuungsaufgabe bewältigen kann.
Der Arch-Hof befindet sich mitten in Sumiswald BE. Stall und Scheune liegen an der Strasse und schützen das alte Bauernhaus und den Gemüsegarten vor Autolärm und Staub.
Bauer Jakob Widmer kommt am langen Esszimmertisch gleich zur Sache. «Nach heutigen Kriterien ist unser Hof zu klein, um eine Daseinsberechtigung zu haben», sagt er. «Eigentlich müssten wir mit der Landwirtschaft aufhören.» Es ergebe doch einfach keinen Sinn, fährt er nach einer kurzen Pause fort, «dass die Grossen noch grösser werden und die Kleinen verschwinden».
Jakob Widmer ist mit Leib und Seele Bauer. «Ich habe Freude an dem, was wir haben.» Der 50-Jährige, der im Stall seinen Kühen manchmal einfach nur beim Kauen zuschaut, hätte sich niemals als Grossbauer gesehen. «Dazu bin ich einfach nicht der Typ.» Jakob Widmer ist indessen auch kein Rebell, der sich gegen Entwicklungen stemmt, die eh nicht zu ändern sind. Widmer ist Realist. Doch er hängt an der vom Vater geerbten Scholle.
Es waren schwierige Stunden, Tage, Wochen, in denen sich dumpfe Angst um die Existenz zur Gewissheit verdichtete, dass es wirtschaftlich mit dem Hof so nicht mehr weitergehen konnte. «Es blieben nur zwei Varianten: den Hof verkaufen oder einen Zusatzverdienst aufbauen.»
Den Landwirtschaftsbetrieb zu vergrössern und damit rentabler zu machen lag nicht drin. «Den Viehbestand konnten wir nicht aufstocken. Dazu hatten wir zu wenig Land.» Sie hätten sich auch überlegt, auf Spezialkulturen wie Erdbeeren auszuweichen. Aber das sei ihnen einfach nicht gegeben. Die Idee der Schweinezucht mussten die Widmers ebenfalls fallen lassen. «Wir hätten den Stall teuer umbauen müssen, dafür aber keine zinsgünstigen Darlehen erhalten.» Kommt hinzu, dass sie ihren Nachbarn eine Schweinezucht mitten im Dorf nicht zumuten wollten.
Die Idee, älteren oder behinderten Menschen Wohnraum und Betreuung anzubieten, sei schon lange in ihr gereift, sagt Bäuerin Magdalena Widmer. Als ehemalige Krankenschwester brachte sie ideale Voraussetzungen dafür mit. «Die Lage unseres Hauses im Dorfzentrum war hier ein Vorteil. Entmutigend war einzig, dass sich das alte Haus mit den engen Treppen für das Wohnen mit Behinderten nicht eignete.»
Eine ausgiebige Beratung durch die Fachstelle Inforama Emmental zeigte jedoch, dass die Wirtschaftlichkeit gewährleistet wäre. Denn das künftige Einkommen würde die Kosten des behindertengerechten Umbaus mehr als wettmachen. «Die Investitionen werden sich auszahlen», ist Jakob Widmer überzeugt. Nachdem die Stiftung Agrofutura ein zinsloses Darlehen bewilligt hatte, «wagten wir das Abenteuer».
Bereut haben Widmers diesen Schritt bis heute nicht – obwohl der ganze Umbau den Alltag arg erschwert hatte und am Schluss um einiges teurer zu stehen kam als ursprünglich vorgesehen. Mitte September zog der erste Langzeitpensionär bei der Bauernfamilie ein. Er habe das schönste Zimmer auswählen können, sagt ein sichtlich erfreuter Hansruedi Lengacher.
Langsamer Annäherungsprozess
Sowohl der Pensionär wie auch die Widmers mit ihren vier halbwüchsigen Kindern müssen sich nun aneinander gewöhnen. Und das ist für alle Beteiligten gar nicht so einfach. Er merke erst jetzt, dass er eigentlich Mühe habe, sein altes Zuhause loszulassen, erzählt Hansruedi Lengacher. «Ich war in Gwatt sehr verwurzelt. Ich vermisse meine Bekannten, die gewohnte Umgebung, den Thunersee.» Auch wisse er, der nun seit dem Tod seiner Frau vier Jahre lang allein gelebt habe, nicht so recht, wie er sich den Kindern gegenüber verhalten soll. «Ich bin unsicher, ob ich mich nicht zu stark einmische, denn die Kinder kommen kaum auf mich zu.»
Magdalena Widmer hat verständnisvoll zugehört und versichert ihm, dass es den Kindern ähnlich ergehe. «Wir müssen alle in unsere neue Wohnform hineinwachsen.» Für die Kinder sei es ebenfalls eine ungewohnte Situation, da sie ihre Mutter nun nicht mehr für sich allein hätten. Die Bäuerin ist jedoch überzeugt, dass das Zusammenleben mit Behinderten auch ihrer Familie wertvolle Impulse gebe.
«Ich finde meine neue Aufgabe toll. Sie erlaubt mir, meine Kenntnisse als Krankenschwester voll einzubringen.» Magdalena Widmer ist sich aber auch bewusst, dass sie eine schwierige Arbeit übernommen hat. Aus diesem Grund ist sie froh darüber, dass der Kanton Bern die Spezialausbildung «Betreuungsleistung im ländlichen Raum» anbietet.
SOS Beobachter bezahlt Magdalena Widmer die Spezialausbildung, damit die Bauernfamilie trotz knappem Haushaltsbudget ihre anspruchsvolle Betreuungsaufgabe bewältigen kann.