Benzin: Zu saftigen Preisen viel heisse Luft tanken
Mehr Leistung, weniger Abgase: Wer sich an der Zapfsäule für das teure 98-Oktan-Benzin entscheidet, erhofft sich zu viel: Der angebliche Wundersprit bringt Autos nicht besser auf Touren.
Veröffentlicht am 18. Juni 2001 - 00:00 Uhr
Ein Augenschein an einer Tankstelle in Basel zeigt: Ungefähr jeder zehnte Autofahrer spendiert seinem Wagen 98-Oktan-Benzin. Was teuer ist, muss gut sein, denken sich viele, denn der Sprit kostet sechs Rappen mehr pro Liter als 95-Oktan-Treibstoff.
«In der Bedienungsanleitung für meinen Wagen steht, 98 Oktan sei umweltfreundlicher», sagt ein BMW-M3-Lenker. Und ein Taxifahrer lacht verunsichert: «Es hiess mal, hochoktaniges Benzin öle den Motor besser. Aber sicher bin ich nicht.» Nur der junge Besitzer eines tiefer gelegten Sportwagens ist überzeugt: «Mit diesem Most zieht der Wagen viel besser. Ich spüre das, wenn ich aufs Gaspedal drücke.» Sagts, steigt ein und braust davon.
Motorexperten sehen das anders. Für Beat Wyrsch, Berater im technischen Zentrum des Touring-Clubs der Schweiz (TCS) im luzernischen Emmen, ist klar: Die angeblich höhere Leistung und der tiefere Verbrauch des teureren Kraftstoffs seien reine Verkaufsargumente der Mineralölgesellschaften, «um den Autofahrern teureres Benzin anzudrehen».
Gemäss TCS-Tabellen gibt es unter den rund 2400 in der Schweiz erhältlichen Automodellen derzeit nur einen Fahrzeugtyp, der wirklich 98 Oktan braucht: der Chrysler Jeep Grand Cherokee 5.9 A. Daneben sind laut Wyrsch noch ganz wenige Autos ohne Katalysator unterwegs, deren Motoren ebenfalls reineres Benzin brauchen. Der grosse Rest fährt mit dem günstigeren Treibstoff genauso gut.
Und mit mehr Umweltschutz hat die höhere Oktanzahl des Superbenzins rein gar nichts zu tun. Fazit von Autoprofi Beat Wyrsch: «98er-Benzin leert nur das Portemonnaie.»
Bei Shell Schweiz, dem Marktführer im hiesigen Tankstellengeschäft, wird denn auch nicht bestritten, dass sämtliche neueren Autos schadlos mit 95er-Benzin fahren können. Für Bruno Ursprung, Leiter technische Dienste und verantwortlich für Umweltschutz bei Shell, ist die Benzinwahl eine Frage des Fahrzeugtyps: «Bis vor kurzem wurden alle Autos für 95er-Sprit gebaut. Doch es kommen immer mehr Modelle auf den Markt, deren Motoren gezielt für 98-oktanigen Treibstoff optimiert wurden.»
Ein für 95 Oktan konzipiertes Auto mit 98 Oktan zu tanken bringe keine Vorteile, sagt auch Ursprung. «Aber es ist halt schon so: Es gibt eine beachtliche Anzahl von Kundinnen und Kunden, die mit dem teureren Benzin gefühlsmässig eine bessere Leistung verbinden.»
Laut eigenen Angaben wirbt Shell in der Schweiz nicht gezielt für das 98-Oktan-Superbenzin. Trotzdem hat der teure Sprit einen Marktanteil von ungefähr zehn Prozent und das, obwohl sich die Benzinpreise seit letztem Sommer auf Höchstniveau befinden. Zumindest die Käuferinnen und Käufer des Supertreibstoffs sollten bei der nächsten Benzinpreiserhöhung nicht jammern. Denn sie zahlen heute schon zu viel ganz freiwillig.