«Die Bilder gehen nicht so schnell aus dem Kopf»
Heinz Burkhalter hat keinen einfachen Job. Während der warmen Jahreszeit betreut der Berner Kantonspolizist Dutzende von verunfallten Töfffahrern.
Aufgezeichnet von René Ammann.
Jedes Jahr werden wir zu ungefähr 200 Unfällen gerufen. Im Sommer sind es meist Töffunfälle, Durchreisende oder Feierabendheizer, die den Töff auf Tempo 80, 160 oder sogar 180 hochtreiben. Manche sind müde, manche unachtsam, manche fahrlässig, die meisten schlicht zu schnell. Vielleicht ist unser Leben langweilig geworden, man muss nicht mehr um seine Existenz kämpfen, gibt anderswo Gas.
Es verunfallen vor allem Männer zwischen 20 und 30 und solche zwischen 50 und 60 – wenn die Kinder aus dem Haus sind. Die Physik verzeiht keine Fehler. Die Kräfte sind enorm, wenn man mit 50 oder 60 auf ein Hindernis prallt. Vor allem wenn man auf zwei Rädern unterwegs ist.
Unser Einsatzgebiet ist 650 Quadratkilometer gross. Es umfasst zehn Gemeinden und die Pässe Brünig, Grimsel und Susten. Wir sind neun voll angestellte Leute auf dem Posten der Kantonspolizei in Meiringen. Jeder übernimmt den Ausrückdienst und das Pikett, damit wir Tag und Nacht erreichbar sind. Im Sommer sind wir am Wochenende zwei mehr. Wenn die Pässe öffnen, beginnt für uns die Hauptsaison. Dann sind Einheimische und Gäste im Car, im Auto, auf dem Töff oder Velo unterwegs. Aus dem Wallis, aus Belgien, aus Moldawien, Korea. Woher auch immer.
«Die Physik verzeiht keine Fehler.»
Heinz Burkhalter, 52, Wachtchef in Meiringen BE
Früher musste man Münz im Hosensack haben, um an einer Notrufsäule zu telefonieren. Heute rufen uns Zeugen des Unfalls auf dem Handy an. Dann fährt einer von uns mit dem Polizeitöff oder -auto hoch. Auf die Susten-Passhöhe dauert das eine halbe Stunde. Oft ist man dann erst einmal allein dort, man sichert die Unfallstelle und verteilt Passanten orange Westen, damit sie helfen, den Verkehr zu regeln. Ich frage dann: «Ist jemand Arzt? Hat jemand gesehen, was passiert ist?» Die Leute sind meist sehr hilfsbereit . Wenn der Fahrer am Boden liegt und den Helm noch auf dem Kopf trägt, kommts meist nicht gut. Der erste Reflex ist, sich den Helm vom Kopf zu reissen. Wenn er das nicht getan hat, ist er vermutlich nicht ansprechbar. Falls er bei Bewusstsein ist, frage ich: «Wie geht es? Haben Sie Schmerzen? Spüren Sie die Beine? Waren Sie allein? Was ist geschehen? Wie heissen Sie?» Das geht einher mit der Wundversorgung.
Letztes Jahr zählten wir bei uns 123 Verletzte und sechs Tote. Der Leichnam wird aufgebahrt, die Angehörigen werden benachrichtigt. Immer persönlich, nie telefonisch, bei Ausländern über die Botschaft oder Interpol, und ein Polizist besucht die Angehörigen vor Ort und bringt ihnen die schlimme Nachricht.
Die Bilder der Verletzten oder Toten gehen einem nicht so rasch aus dem Kopf. Wenn ich über den Brünig oder Susten fahre, erinnere ich mich an dieser oder jener Stelle an Unfälle. Es sind wie kurze Filme, die sich im Kopf abspulen. Ich kann abends gut schlafen. Aber wenn ein Kind dabei war, ist das der blanke Horror. Das geschieht Gott sei Dank sehr selten.
Nach einem schweren Unfall dauert es ein paar Tage, bis ich wieder auf dem normalen Level bin. Ich besuche die Verunfallten im Spital, schreibe den Rapport und allenfalls die Anzeige. Wenns wirklich schlimm war, etwa nach einer tödlichen Frontalkollision, meldet sich der Psychologische Dienst der Kantonspolizei Bern und fragt: «Wie geht es dir? Brauchst du Hilfe?» Letztlich muss man selber spüren, was einem guttut. Und ich bin froh um die Hilfe meiner Frau, sie ist im Pflegeberuf tätig.