Die letzten Dinge nicht totschweigen
Der Tod ist nach wie vor ein Tabuthema. Dabei verliert es viel von seinem Schrecken, wenn man sich früh mit ihm befasst.
Veröffentlicht am 30. Mai 2018 - 13:34 Uhr,
aktualisiert am 30. Mai 2018 - 11:56 Uhr
«Nichts ist gewisser als der Tod, nichts ungewisser als seine Stunde», schrieb der Philosoph Anselm von Canterbury (1033 bis 1109). Man muss aber nicht Philosoph oder Dichter sein, um sich mit Tod und Sterben zu befassen. Das geschieht mitunter bei alltäglichen Kleinigkeiten. Die 71-jährige Rita Egle aus Emmenbrücke LU beispielsweise zieht ihren Wohnungsschlüssel immer zurück, wenn sie von innen die Tür abschliesst. Früher machte sie dies, damit ihr inzwischen verstorbener Mann oder die Söhne nicht vor verschlossener Tür standen. Und heute, wo sie allein lebt und niemand mehr nach Hause kommt? «Man weiss ja nie, was passieren kann», sagt sie.
Vor dem Tod fürchtet sich Rita Egle nicht. Nur manchmal vor dem Sterben. «Wie alle Menschen wünsche auch ich mir einen schnellen Tod. Ich möchte weder leiden noch künstlich am Leben erhalten werden.» Schon lange plant sie daher, ihr Testament zu schreiben und eine Patientenverfügung zu verfassen – Dinge, mit denen sich niemand gern beschäftigt. «Schliesslich gibt das Leben mit all seinen schönen Seiten schon genug zu tun und zu organisieren», sagt Rita Egle. Wohl deshalb schiebt sie das Notieren ihres letzten Willens immer wieder vor sich her.
Rita Egle ist nicht die Einzige. «Wir könnten uns frühzeitig mit unserem Ableben auseinander setzen und uns um vieles im Voraus kümmern», sagt Beobachter-Redaktorin Karin von Flüe, die zum Thema Tod und Sterben eine Broschüre verfasst hat (siehe rechts). Sie beschreibt darin, was beim Ableben eines Angehörigen zu tun ist und was man vor seinem eigenen Tod regeln kann.
Wenn Rita Egle an ihren Tod denkt, steht für sie eines schon fest: Sie möchte nicht, dass eine Anzeige erscheint, in der es heisst, die Abdankung habe bereits stattgefunden. Sie wünscht sich eine Beerdigung, bei der Verwandte und Freunde zusammenkommen und gemeinsam Abschied nehmen können. «Ich habe mich bei der Beerdigung meines Mannes im Kreis all seiner Freunde und Angehörigen richtig aufgehoben gefühlt. Es hat mir gut getan, wie wir alle beisammen waren und wie mich viele in die Arme genommen haben», erinnert sie sich.
Sie selber könnte sich zwar durchaus vorstellen, dereinst ohne Trauergottesdienst und Zeremonie in einem Gemeinschaftsgrab beigesetzt zu werden. Das würde sie aber nie so verfügen, denn «es würde für meine Söhne nicht stimmen. Sie müssen letztendlich bestimmen, wie sie von mir Abschied nehmen wollen.» Darüber hat sie mit ihren Söhnen schon gesprochen.
«Reden miteinander» ist ein Ratschlag, der ihr auch vom Beobachter-Beratungszentrum gegeben würde. Karin von Flüe: «Für die Trauernden ist es oft schwierig, den letzten Willen des oder der Verstorbenen zu erfüllen, wenn nach dem Tod eine unübliche Bestattungsanordnung auftaucht, von der niemand etwas gewusst hat.» Angehörige können sich nämlich vor den Kopf gestossen fühlen, wenn der oder die Verstorbene beispielsweise entgegen der bisherigen Familientradition kremiert werden oder den toten Körper wissenschaftlichen Untersuchungen zur Verfügung stellen will.
In Gesprächen mit Ratsuchenden macht Karin von Flüe immer wieder die Erfahrung, dass der Tod stark an Angst und Schrecken verliert, wenn man sich rechtzeitig mit ihm beschäftigt und man mit sich und den letzten Dingen im Reinen ist. Das hat auch Rita Egle erfahren: «Wenn man weiss, dass der Tod zum Leben gehört, dann wird das Leben lebenswerter.»