Eine Stunde nördlich der Strände von Bali, mitten im Niemandsland, liegt die Green School mit ihren kühn geschwungenen Strohdächern, die aus der Luft wie spiralförmige Muscheln im Grün des Urwalds erscheinen. Sie ist eine ganzheitlich ausgerichtete Privatschule, die weltweit von sich reden macht, als Ausbildungsstätte einer neuen Generation nachhaltig handelnder Weltbürger. Erdacht wurde sie vom kanadischen Manager John Hardy, konzipiert von Reformpädagogen und erbaut von den besten Architekten der indonesischen Insel.

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Wer das Schulgelände betritt, wird von einem Hauch Flower-Power umweht und von kalifornisch geprägter Dauerfröhlichkeit. Seit drei Jahren wird in kühnen Bambuskonstruktionen Shakespeare gelesen, Algebra gepaukt und englische Grammatik studiert. Obschon die Lehrer den international anerkannten Schulstoff von Cambridge umsetzen, erinnert die Green School wenig an eine klassische Schule, wie wir sie im guten, alten Europa kennen. Ihr Areal dient als Lern- und Erfahrungsfeld inmitten tropischer Natur. Die Kinder praktizieren Yoga, üben Rockmusik und spielen Theater. Dreijährige werden dazu ermuntert, sich im schuleigenen Schlammfeld zu suhlen, und Kindergärtner dazu, kunstvolle Opferkörbchen für hinduistische Zeremonien zu basteln. Die Schüler arbeiten im Reisfeld und erleben dabei die Botanik hautnah. Physik, Biologie oder Geologie wird draussen auf dem Feld, im Dschungel, beim Fluss oder direkt bei einem Vulkan erlebt.

Nicht nur die Schulkinder, sondern auch deren Eltern tummeln sich oft auf dem Campus und engagieren sich in den Ökoprojekten der Schule. Ob Lehrer, Eltern, Kinder: Wer hier mitmacht, hat sich bewusst dafür entschieden. «Die Green School ist mehr als eine Schule: Sie ist ein Lifestyle», sagt Manuel, Vater der sechsjährigen Jaëlle aus Bern, die hier den Kindergarten besucht.

Jaëlle besteigt jeden Morgen um 7.30 Uhr im nahe gelegenen Städtchen Ubud den Schulbus und durchquert eine halbe Stunde später das «Herz der Schule» – der Name des Hauptgebäudes ist Programm. Daran angrenzend liegen die Schulpavillons und Jaëlles Kindergarten, alles luftige, helle Bambuskonstruktionen ohne Wände: damit der Geist im Sinne der Steiner-Pädagogik Raum zum Denken und Träumen finden möge.

Wie die anderen Kinder lernt und spielt Jaëlle in Gebäuden, die aus nachhaltig gewachsenem Material erbaut wurden, umgeben von Kokospalmen und Mangobäumen, Ananas- und Bananenstauden, zahlreichen Bio-Schulgärten und -Reisfeldern. Durch die Lernpavillons kriechen Eidechsen, Gottesanbeterinnen und Tausendfüssler. Ab und zu schaut auch ein Huhn im Schulunterricht vorbei oder eine Katze. Auch Schlangen oder Skorpione schleichen sich gelegentlich ein. Das finden die Kinder «okay». Und die Lehrer nutzen das Getier als Anschauungsmaterial für ihren Unterricht.

Ob giftige Skorpione oder handgrosse Spinnen: Jedes Lebewesen sei Teil eines genialen Ganzen, erklärt Matt, der Lehrer für «green studies», seinen Schülern. Er ist für die Naturstudien der 3- bis 14-Jährigen zuständig, während die älteren Schüler von Brynn in «environmental management» unterrichtet werden. Derzeit besuchen über 250 Kinder zwischen 3 und 17 Jahren aus über 40 Ländern die Green School auf Bali.

Jaëlles Freundin, die sechsjährige Zürcherin Aileen, die im Pavillon nebenan die erste Klasse besucht, klebt förmlich an Matts Lippen. Gerade erklärt er, dass auch Würmer dem Naturplan dienen und dass sie den Menschen helfen, indem sie nährstoffreichen Kompost produzieren. Die Kinder staunen, weil die Würmer Abfall in Gold verwandeln können: «Schwarzes Gold» nennt Matt den Kot der Würmer.

Noch vor kurzem hätte Aileen beim Anblick von Würmern angeekelt gequiekt. Heute, nach nur zwei Monaten als Erstklässlerin an der Green School, jauchzt sie vor Spass, weil einer der mitgebrachten Würmer den Arm von Matt erklimmt.

Die Eltern der Green-School-Kinder staunen, wie rasch ihre Kleinen dank der Schule ihre Umwelt bewusster wahrnehmen, wie ihr Verhalten holistischer, also ganzheitlicher wird. Sie sehen, wie die Kinder aufeinander achtgeben: Alter, Ethnie, Geschlecht und sozialer Status eines Kindes stehen im Hintergrund. Grosse Burschen helfen den Kleinsten in den Schulbus, Fünftklässler lesen den Kindergartenkindern Geschichten vor, Millionärssöhne spielen mit Jungs aus armen indonesischen Familien Fussball, Teenager schäkern in den Pausen entspannt miteinander, frei von der Verklemmtheit, die andere Pubertierende an den Tag legen.

Mobbing? Ein Fremdwort. Vandalismus, Zigaretten, Schminke? Nicht zu entdecken. Stress um Kleiderlabels oder das Zelebrieren von Schulfrust sind hier fehl am Platz. «So eine lockere, tolle Stimmung habe ich noch nie an einer Schule gesehen», sagt Jaëlles Mutter Daniela, die in der Schweiz während vieler Jahre als Primarlehrerin tätig war.

Während Jaëlle ihre täglichen Yogaübungen praktiziert, hocken Matt, Aileen und ihre Kollegen auf dem Fussboden im Lernpavillon. Einige Kids liegen auf den Matten, andere sind auf einen Tisch geklettert und hören von oben zu. Frontalunterricht gibt es kaum. Meist wird in kleinen Gruppen gearbeitet. Alles wirkt entspannt und zugleich aufmerksam und konzentriert. Anschliessend arbeiten Aileen und ihre Freunde mit Eifer im Klassengarten. Sie jäten Unkraut, begiessen spriessende Tomatenstauden und pflanzen Gurkensetzlinge ein. Mit Regenwürmern gehen sie seit der letzten Schulstunde besonders sorgfältig um: Hey, Mann! Das sind schliesslich Goldproduzenten!

Jede Klasse zieht Biogemüse im eigenen Klassengarten. Ihre Auberginen, Salate und Brokkoli werden später nur 30 Schritte nebenan in der Mittagspause verzehrt. Näher kann man Kinder nicht an den Ursprung ihrer Nahrung heranführen.

Die Krippen- und Kindergartenkinder nehmen ihr Essen noch mit den Lehrerinnen in der Gruppe ein. Aileen als Erstklässlerin ist in der Mensa bereits auf sich selbst gestellt. Sie holt sich ihre Portion am Buffet und entsorgt nach dem Essen die Überreste ihrer Mahlzeit: Das Bananenblatt, auf dem das Mittagessen in einem Körbchen serviert wurde, kippen die Kinder in einen Kompostkessel, die Papierservietten ins Recycling, die Essensreste in den Schweinetrog. Für das Füttern der schuleigenen Schweine sind die Viertklässler zuständig. Weitere Klassen kümmern sich um die Ziegen, Kühe, Hühner, Truthähne und Enten der Schule.

Die Älteren beteiligen sich am Aufzuchtprojekt des vom Aussterben bedrohten Bali-Stars. Die Voliere für den balinesischen Vogel befindet sich direkt neben der Kinderkrippe: Hier mischen sich die hellen Kinderstimmen in das Rauschen des nahe gelegenen Ayung-Flusses; in den Baumwipfeln raschelt der warme Wind. Ab und zu trägt er gedämpfte Marimbaklänge zu den Kleinen. Weiter oben, im Musikpavillon, wird geprobt.

Die Krippenkinder spazieren oft zum Flussufer oder zu den Tiergehegen. Oder sie kraxeln auf einem grossen Piratenschiff herum, das in voller Bambusmontur in den Dschungel zu stechen scheint. Hier ist das Reich der dreijährigen Myrah, der kleinsten Schweizerin an der Schule. In ihren ersten Krippentagen hatte sie noch oft nach ihrer Mutter geweint – gemeinsam mit Kindern aus Russland, Spanien, Finnland und Singapur in einem vielsprachigen Jammerchor.

Zwei Monate später sind die Kinder Freunde geworden. Zusammen singen sie Reime auf Englisch und Bahasa Indonesia, denn die Nationalsprache Indonesiens steht schon bei den Allerkleinsten auf dem Lehrplan. Hauptsprache an der Schule ist Englisch. Rund 10 bis 20 Prozent der jüngeren Kinder treten dabei ohne Englischkenntnisse in die Green School ein.→

Egal, ob ein jüngeres Kind Kaninchen füttern will oder ein Teenager ein schuleigenes Eiscreme-Geschäft gründen möchte: Wenn Schüler eine gute Idee oder einen kreativen Vorschlag haben, geben die Lehrer in der Regel dieselbe Antwort: «Yes! Just go for it! Alles ist möglich, und du kannst es, wenn du es willst.»

«Die Kinder werden laufend ermutigt und stimuliert», sagt Susanne aus Samstagern ZH, Mutter des 13-jährigen Miro, der hier die Mittelschule besucht. Im Schulfach «elective» können die Mittelschüler selbst definieren, was sie tun oder lernen wollen. «Wenn man sein Kind in einem solchen positiven Umfeld weiss und sieht, wie freudig es lernt und sich entwickelt, dann ist man einfach glücklich», sagt Susanne, die in Sanur lebt. Sie könnte es sich einfach machen und Miro gleich um die Ecke in eine internationale Schule schicken. Doch Susanne zieht für ihren Jungen die Green School vor und nimmt dafür zweimal täglich eine fast einstündige Schulbusfahrt in Kauf.

Neben der Schule wird derzeit «Green Village» erbaut, eine Ökosiedlung, in der die Green-School-Familien dereinst wohnen sollen – vorderhand ruckeln täglich noch rund 80 Autos und Schulbusse zur Schule an. Auch fliegen viele Familien mehrfach pro Jahr nach Bali, verschleudern Energie und Chemie in Häusern mit Air-Condition und Swimmingpools. So grün das Marketing der Green School auch sein mag, das Versprechen, «die Schule mit dem kleinsten ökologischen Footprint der Welt» zu sein, kann sie trotz Komposttoiletten und Bambusmöbeln noch nicht einlösen. Projekte zur Gewinnung von nachhaltig gewonnener Energie durch Wasser, Solarkraft und Biogas sind erst im Aufbau.

Den meisten Eltern scheint aber wichtiger zu sein, dass die gute Stimmung auf dem Campus alle Minuspunkte der Green School überwiegt. «Alle gehen hier sehr offen und kameradschaftlich miteinander um. Sogar die grossen Jungs machen keine Probleme», sagt Miro. «Ich habe schon in den ersten Tagen gute Freunde gefunden.» Dank dem respektvollen Umfeld ist es möglich, dass ein Bursche wie Miro selbst auf die Idee kommt, den Abfall am Ufer eines Bergsees in einem grossen Sack einzusammeln. Das war im Klassenlager, als seine Mitschüler badeten und er wegen einer Verletzung im Trockenen bleiben musste. Die Schule hat ihm dafür den wöchentlichen Umwelt-Award verliehen.

Auch die Eltern der sechsjährigen Schweizerin Jaëlle freuen sich am gewonnenen Selbstbewusstsein ihrer Tochter: «Sie ist eigentlich sehr schüchtern», sagt ihre Mutter Daniela, «aber schon nach wenigen Wochen fand Jaëlle den Mut, erstmals vor die ganze Klasse zu stehen und frei über sich zu erzählen – auf Englisch notabene.» Vor Publikum auftreten, kurze Reden halten: Das wird an der Green School in jeder Altersstufe geübt.

Ebenso stellen die Lehrer ihre Schüler immer wieder vor reale Probleme, für die sie allein oder in der Gruppe eine Lösung zu finden haben. Die Kinder werden dazu angehalten, Verantwortung zu übernehmen, Initiative zu ergreifen, Probleme anzupacken. Schliesslich sollen sie, so das hochgesteckte Fernziel, zu grünen Leadern, verantwortungsvollen Managern, visionären Pionieren heranreifen.

Miro und seine elfjährige Zürcher Kollegin Anaïs proben neben traditionellen indonesischen Tänzen ihre Management-Skills derzeit zusammen mit Naturlehrer Matt bei der Erstellung eines «Green Manual»: Die Schüler der sechsten, siebten und achten Klasse entwickeln ein grünes Handbuch, das sie dereinst verkaufen wollen. Dafür erstellen sie Konzepte, leiten Arbeitsgruppen, betätigen sich als junge Fotografen, Journalisten, Fundraiser, Produzenten und schliesslich Verleger.

Für den grünen Lernmix – kombiniert mit dem exotisch-schicken Lifestyle der beliebten Ferieninsel Bali – greifen die Eltern der Green-School-Kinder tief in die Taschen. Es gibt Millionäre unter ihnen, alleinerziehende Mütter mit knappen Budgets, Normalverdiener, die sich das Schulgeld von umgerechnet rund 10' 000 Franken pro Kind und Jahr hart ersparen müssen. Die Schule ist als Non-Profit-Organisation registriert und schreibt zurzeit noch Minuszahlen.

Dank einem Spendenfonds können arme indonesische Kinder die Schule besuchen, ohne dafür bezahlen zu müssen. Namhafte Sponsoren und Berühmtheiten wie Modeproduzentin Donna Karan oder Autor Thomas Friedman begeistern sich für das grüne Schulmodell auf der Götterinsel Bali. Der Zauberkünstler David Copperfield beschreibt die Green School als «inspirierend, überraschend» und, wie er sagt, «magisch».

Die Schule reisse ihm zwar ein Loch in die Familienkasse, sagt Pete, der Vater von Anaïs, Aileen und Myrah, aber das sei es ihm für ein Jahr absolut wert. Weil er sehe, welche Erfahrungen seine Töchter hier machen könnten, bevor sie zurückkehrten in die Schweiz und auf eine normale Schulbank.

Schulen mit Nähe zur Natur

Obwohl das Interesse an grünen Schulen wächst, gibt es in der Schweiz oder auch in Deutschland noch kein mit der Green School auf Bali vergleichbares Lerninstitut für Kinder aller Altersstufen.

Schulen im Wald
Das Angebot für kleine Kinder in der Schweiz wächst dennoch ständig: Waldspielgruppen und Waldkindergärten spriessen wie Pilze in den Wäldern. Seit 2009 gibt es am Zollikerberg in Zürich die erste «Schule am Wald». Sie nutzt mit Schülern von der ersten bis zur sechsten Klasse den Wald als Lern- und Spielort und räumt der Natur- und Waldpädagogik grossen Stellenwert ein.
www.schule-am-wald.ch

Schulen auf dem BioBauernhof

2009 wurde die Lindenschule in Oberkirch LU gestartet: Sie ist in einen Bioknospe-Bauernhof integriert und bietet Kindern zwischen 4 und 16 Jahren ein Umfeld
mit Tieren, Garten, Wald und Bach.
www.lindenschule.ch

Im Wallis soll ab 2012 die «Bambusschule» in Goppisberg ihren Betrieb aufnehmen. Auch sie ist einem Biobauernbetrieb angeschlossen und steht Kindern zwischen drei und zwölf Jahren offen.

Zudem integrieren immer mehr Privatschulen Naturerlebnisse in ihren Stundenplan. Sie sind im Verzeichnis der Schweizer Privatschulen und beim Verband der Schweizer Privatschulen zu finden:
www.swiss-schools.ch
www.privatschulverzeichnis.com

Büffeln im Wattenmeer
Eine der naturnahesten Schulen im deutschsprachigen Raum ist die Hermann-Lietz-Schule auf Spiekeroog. Die Insel liegt in der Nähe von Bremen, wurde als «Unesco-Weltnaturerbe Wattenmeer» geschützt und hat eine reiche Tier- und Pflanzenwelt. Die Schule bietet zudem das erste segelnde Klassenzimmer der Welt, die «High Seas High School», in der Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren während sieben Monaten über die Weltmeere segeln.
www.hl-schule.de