Kamera läuft und ... Action!
Eine Zürcher Filmproduktionsfirma hat sich auf spektakuläre Outdoor-Sportarten spezialisiert. Den Kameraleuten ist kein Dreh zu strapaziös.
Veröffentlicht am 5. Mai 2015 - 11:28 Uhr
Diesen Sommer wird sich ein junger Bikeprofi aufmachen zu einem Rekordversuch auf über 4000 Metern über Meer. Er wird keinen Rucksack schultern wie normale Bergsteiger, sondern sein Mountainbike, das er hochträgt bis zum Gipfel. Dort wird er in den Sattel steigen und über Eis und Fels und Geröll in die Tiefe donnern bis ins Tal. Er will die gesamte Strecke fahren, egal, wie unwegsam das Gelände ist.
Er wird nicht alleine sein. Alec Wohlgroth wird sich mitsamt Velo vom Helikopter auf dem Berg absetzen lassen, um sich an das Hinterrad des Rekordfahrers zu klemmen bei dessen halsbrecherischer Talfahrt. Er wird zwei Kameras auf dem Helm tragen, eine grössere, die nach vorne gerichtet ist, und eine kleinere rückwärts, damit er den Draufgänger nicht aus dem Fokus verliert. Er wird ihn fahrend filmen, von vorne, von hinten, seitwärts, muss den Kopf möglichst gerade halten, obwohl es ungeheuer steil sein wird, und er wird aufpassen müssen, dass er nicht stürzt.
Alec Wohlgroth ist es etwas mulmig zumute, wenn er an den Auftrag denkt. «Du sagst: ‹Kein Problem, dem fahre ich einfach mit der Kamera hinterher.› Und irgendwann fragst du dich, ob du dir vielleicht ein zu hohes Ziel gesetzt hast.» Der 41-Jährige sitzt im Skater-Outfit in der Sofaecke seines Büros in Zürich-Oerlikon und ist schon braungebrannt, bevor die Frühlingssonne überhaupt richtig warm geworden ist.
Im breiten Regal hinter dem Sofa reiht sich alte Filmkamera an alte Filmkamera; manche gehörten noch Wohlgroths Grossvater. Ein Tablar tiefer ist die Firmengeschichte aufgereiht, frühe Aufnahmen auf breite VHS-Kassetten gebannt, spätere auf schmale DVDs.
In der Küche türmen sich Energydrink-Dosen, im Büro nebenan saugen auf einem Tischlein mehr als ein Dutzend Akkus Strom, und in einem deckenhohen Schrank lagern GoPro-Kameras, Mikrofone, Kabel, Stative und die neuesten Filmkameras, die alle mit schwarzem Klebeband «verarztet» sind. Materialschäden von 20 000 Franken fallen jährlich offiziell an, inoffiziell ist es aber meist noch mehr. «Wir geben der Versicherung nicht alles an», sagt Alec Wohlgroth. Nicht jeder Schaden ist den bürokratischen Aufwand wert.
Wohlgroth ist gerade von einem Dreh in Grönland zurückgekehrt, wo er unter anderem aufpassen musste, dass die Kameras nicht einfroren: «Wenn du dort einmal auf das Objektiv hauchst, hast du gleich Eis auf der Linse.» Nur eine der vielen Tücken des Filmens bei minus 20 Grad.
Halsundbeinbruch Film heisst seine Firma. «Klingt extrem, aber wir sind viel vorsichtiger, als es den Anschein macht», versichert Wohlgroth; alles andere könnten sie sich gar nicht erlauben. «Ich war jedenfalls schon lange nicht mehr im Spital.» Früher dagegen: Knochenbrüche, Schleudertraumata, Hirnerschütterungen, Wirbelverletzung an Hals und Rücken: «Das war gar nicht lustig.»
Zuletzt waren es drei Finger, die senkrecht nach oben zeigten statt geradeaus. Aber das sei schon länger her. «Früher hatten wir oft Glück, inzwischen haben wir viel Erfahrung und sind wohl auch nicht mehr so draufgängerisch.»
«Früher hatten wir Glück. Heute haben wir Erfahrung.»
Alec Wohlgroth, Filmer
Sie drehen drinnen und draussen, unter Wasser, aus der Luft, auf 5000 Metern über Meer «oder höher, wenn nötig», wie auf der Website steht. Acht Mitarbeiter sind es insgesamt, und neben Wohlgroths Computer stapeln sich Bewerbungsdossiers. Wenn eine Jobanwärterin schreibe, sie sei schon mal mit dem Velo durch Südamerika gereist, sei das sicher ein Pluspunkt. «Aber es müssen nicht alle Mitarbeiter outdoorbegeistert sein. Sie können auch einfach agil im Geist sein, bereit, flexibel auf Herausforderungen zu reagieren.»
Zu Wohlgroths Kunden zählen Sportler, die ihre waghalsigen Exploits sichtbar machen möchten. Gerade im Outdoorbereich scheint der Drang gross, Leistungen per Kamera festzuhalten. Heute rast jeder zweite Teenie mit einer GoPro-Kamera über Skischanzen, Bergsteiger verschicken Selfies von Gipfeln. Extremsportler werden sich vielleicht bald von Drohnen begleiten lassen, und es gibt heute bereits Kamerarucksäcke, die Bilder über mehrere integrierte SIM-Karten verschicken, live und in bester Qualität. «Möglicherweise haben Outdoorsportler ein stärkeres Bedürfnis, ihre Leistungen öffentlich zu machen, weil sie, im Gegensatz zu denjenigen anderer Sportler, oft nicht sichtbar sind», mutmasst Wohlgroth.
Auch Firmen, die ihre Produkte spektakulär inszenieren wollen, engagieren Halsundbeinbruch Film. Oder das Schweizer Fernsehen für Produktionen wie «Hoch hinaus» oder «Sommer-Challenge», in der waghalsige Sportlerinnen und Sportler mit hohen Geschwindigkeiten und dem Sog tiefer Abgründe kämpfen. «Bei solchen Drehs darf wirklich nichts passieren. Ansonsten bist du tot. Dazwischen gibt es nichts.»
Wie bei der einen Produktion beim Salto Ángel in Venezuela, beim höchsten freifallenden Wasserfall der Welt, der nur schwer zu erreichen ist. Alec Wohlgroth und sein Arbeitskollege Alex Wydler schleppten zwei Wochen lang kiloweise Material durch den Dschungel, Kameras, Akkus, Solarladegeräte, Computer. Ohne die Hilfe von einheimischen Trägern hätten sie es nicht geschafft. Sie filmten Highline-Akrobaten auf einem Seil oberhalb des Wasserfalls, der fast 1000 Meter in die Tiefe stürzt. «Am Anfang kriechst du auf allen vieren zu dieser glitschigen, leicht abfallenden, moosbewachsenen Felskante, und dir wird alleine vom Hinunterschauen übel.» Mit der Zeit vergisst man die Angst, dem Auftrag zuliebe. Und genau dann wird es gefährlich. Einmal stand Alec Wohlgroth zuvorderst am Abgrund, um zu filmen, schaute kurz zurück und realisierte erst dann, dass er vergessen hatte, sein Sicherungsseil zu befestigen. «Mir bricht noch heute kalter Schweiss aus, wenn ich daran denke.»
Früher, als Halsundbeinbruch Film erst eine Idee war, gab es noch keine Furcht, bloss ein paar Jungs Anfang 20, die sich bei kühnen Tricks und Mutproben auf dem Skateboard oder Mountainbike filmten. Die Aufnahmen unterlegten sie mit lauter Musik und zeigten sie in Zürcher Clubs. Es war die Zeit der Sendung «Jackass» auf MTV, die durchgeknallte Typen zeigte, die möglichst gefährliche und schmerzhafte Stunts vollführten und dabei alles in Kauf nahmen für die Kamera.
«Wir fanden das cool, ein richtiger krasser ‹Jackass› war ich aber nie», sagt Alec Wohlgroth, und man nimmt es ihm mit seiner ruhigen Art ab, obwohl er als jüngerer Bruder von «Jackass»-Erfinder Johnny Knoxville durchgehen könnte.
Den ersten offiziellen Auftrag erhielten die Halsundbeinbruch-Jungs von einer Rollbrettfirma. Honorar: 1000 Franken. «Wir filmten eine ganze Woche lang und fanden es grossartig.» Die Begeisterung für diesen «wahnsinnig tollen Beruf» hat Wohlgroth auch mit 41 Jahren noch nicht verloren. «Kennst du das, wenn du so schnell rennen musst, dass du den Puls spürst und beinahe das Blut in der Kehle schmecken kannst?» Er treibe ja sehr viel Sport, aber so richtig Adrenalin spüre er nur beim Filmen. Etwa wenn er mit einem 15 Kilogramm schweren Kamerarucksack im steilen, gebirgigen Gelände den weltbesten Mountainbikern hinterherjagt. Das Problem ist, dass keiner mithalten kann, schon gar nicht mit einer Kamera in der Hand oder auf dem Helm. Und auch nicht mit dem Extremkletterer, der für die neue «Sommer-Challenge» auf SRF in einer 23 Seillängen hohen Steilwand gefilmt werden soll. «Wir fühlen uns hier ja alle fit, aber wenn es darum geht, 20-jährige Spitzenathleten zu dokumentieren, müssen wir einsehen, dass wir älter werden.»
«Wenn wir 20-jährige Athleten filmen, sehen wir ein, dass wir älter werden.»
Alec Wohlgruth
Da hilft nur eins: schlaue Lösungen finden. Eine Abkürzung nehmen, auf ein Motorrad hüpfen, einen Helikopter zu Hilfe nehmen, auf einer einfacheren Route den Berg hochklettern, einen Bergführer engagieren oder einfach aus der Not eine Tugend machen.
Manchmal geben die Filmer ihren Protagonisten kleine Kameras mit, und immer statten sie sie mit einem Mikrofon aus. Auch wenn ein Kletterer nur ein Pixel in der Felswand ist, kann man immer noch seinen Atem hören, die Geräusche des Pickels, der Steigeisen, sogar seinen Herzschlag. «Der Ton ist so unglaublich emotional», schwärmt Alec Wohlgroth. Früher wurden Sportvideos in Musik ertränkt, heute sorgt der Originalton für Authentizität.
Auch der Inhalt der Filme hat sich verändert. Früher ging man vor der Kamera hohe Risiken ein, vieles ging dabei zu Bruch, nicht nur Material. Heute ist das etwas anders, den Zuschauern geht es vor allem darum, möglichst hautnah dabei zu sein, gerade wenn in Landschaften gedreht wird, die sie selbst nie kennenlernen werden.
Klar müsse ein Film einen gewissen Thrill haben, sagt Wohlgroth, aber noch viel wichtiger sei es ihm, gute Outdoorgeschichten zu erzählen und den Zuschauern damit Lust auf Naturerlebnisse zu machen.
Auch deshalb lehnt Halsundbeinbruch Film gelegentlich Aufträge ab. Sie wollen keine Selbstmordkandidaten vor der Linse, sondern Sportler, die ihre Grenzen ausloten, ohne sie zu überschreiten. Wie Warren Verboom, der beim Speed-Canyoning bäuchlings in knietiefes Wasser springt, statt sich abzuseilen, innert einer Viertelstunde eine ganze Schlucht bezwingt, für die andere zwei Tage brauchen. «Wer so einen Typen filmt, braucht vollstes Vertrauen in dessen Können. Sonst traust du dich kaum, durch den Sucher zu schauen.»
Auch darum sind die Kameraleute von Halsundbeinbruch Film ganz froh, wenn sie zwischendurch einen Werbespot für einen ganz gewöhnlichen Küchenmixer oder einen Grill filmen dürfen. Alec Wohlgroth spricht darüber mindestens so begeistert wie von den spektakulären Drehs auf Bergen, in Schluchten oder unter Wasser. «Mixer attraktiv zu filmen, ist genauso herausfordernd. Und sie laufen nicht ständig aus dem Bild.»
Weitere Informationen
Videos von Halsundbeinbruch Film kann man sich ansehen unter halsundbeinbruch.ch oder unter vimeo.com/halsundbeinbruchfilm.
Die nächste «Sommer-Challenge»-Staffel wird ab 25. August auf SRF 2 gezeigt. Die alten Folgen sehen Sie unter srf.ch.