«In der Todeszone ist Schnelligkeit ein Vorteil»
Ueli Steck sorgte für Furore, als er in knapp drei Stunden die Eigernordwand durchstieg. Der Profibergsteiger über Tempo, Leistung, Risiko und Angst.
Veröffentlicht am 3. Februar 2012 - 09:34 Uhr
BeobachterNatur: Herr Steck, sind Sie ein Spinner?
Ueli Steck: Es gibt Leute, die mich als Spinner bezeichnen. Früher hat mich das gestört. Heute sehe ich es als Kompliment.
BeobachterNatur: Man muss schon ein bisschen durch den Wind sein, wenn man wie Sie beim Bergsteigen auf Geschwindigkeit setzt.
Steck: Jeder Mensch braucht Herausforderungen. Bei mir ist es das Bergsteigen mit Speed. Dabei exponiere ich mich halt etwas mehr als andere.
BeobachterNatur: Warum ist Ihnen Tempo so wichtig?
Steck: Heutzutage kann man keine Erstbegehungen mehr machen, also musste ich etwas anderes finden.
BeobachterNatur: Kann man nur noch mit Rekordzeiten Schlagzeilen machen?
Steck: Es geht nicht um Aufmerksamkeit, sondern darum, etwas zu tun, was andere nicht auch schon gemacht haben. Das treibt mich an.
BeobachterNatur: Auffallen ist aber wichtig. Ohne aussergewöhnliche Leistungen gibt es keine Medienpräsenz und keine Sponsorenverträge.
Steck: Das ist richtig. Es gibt den Sport, und es gibt das Business. Das eine braucht das andere. Schliesslich muss auch ich meine Rechnungen zahlen. Man muss aber aufpassen: Wer nur noch ans Geschäft denkt, verliert die Freude am Klettern, und das wirkt sich negativ auf die Leistung aus.
BeobachterNatur: Bedeutet schnell zu sein immer auch gut zu sein?
Steck: Wer schnell ist, hat Vorteile. Etwa in der Todeszone ab 7000 Metern über Meer. Je weniger lang man sich dort aufhält, desto besser. Aber eigentlich halte ich es bei diesem Thema stets mit Reinhold Messner: Nur ein alter Bergsteiger ist ein guter Bergsteiger.
BeobachterNatur: Speed ist auch eine Droge. Macht Ihr rasanter Kletterstil süchtig?
Steck: Da muss man tatsächlich aufpassen. Ich werde immer wieder gefragt, ob ich mir den Rekord am Eiger zurückholen werde. [Anm. d. Red.: Dani Arnold hat Stecks Eigernordwandrekord von 2 Stunden 47 Minuten um 19 Minuten unterboten]. So etwas ist gefährlich. Auf einmal lässt man sich von äusseren Einflüssen treiben.
BeobachterNatur: Vom Druck der Öffentlichkeit?
Steck: Ja, die Leute erwarten das. Aber es geht nicht immer noch schneller. Wobei ich auch richtigstellen muss: Dani hat sich im Gegensatz zu mir an den bereits vorhandenen Haken und Fixseilen hochgezogen. Darum kann man unsere Zeiten eigentlich nicht vergleichen; das wäre, wie wenn man den Marathon in New York mit jenem an der Jungfrau vergleichen würde.
BeobachterNatur: So zu klettern würde also Ihre Bergsteigerehre verletzen?
Steck: Es ist einfach ein anderer Ansatz. So wie ich den Mount Everest auch nicht mit Sauerstoff besteigen würde. Möglichst ohne Hilfsmittel hochzukommen ist für mich die eleganteste Art, einen Berg zu besteigen. Darum klettere ich oft ohne Seil.
BeobachterNatur: Je einfacher und schneller man unterwegs ist, desto gefährlicher wird es in der Regel.
Steck: Risiko ist relativ. Hobbybergsteiger gehen vielfach grössere Risiken ein, da sie nicht gut vorbereitet sind. Ich arbeite ständig an meiner Ausdauer und Technik. Und ich bin mir auch der Gefahren sehr bewusst. Ich bin ein eher ängstlicher Typ.
BeobachterNatur: Das kaufe ich Ihnen nicht ab!
Steck: Da können Sie meine Frau fragen. Ich bin ein richtiger Angsthase.
BeobachterNatur: Wie gehen Sie mit der Angst um?
Steck: Angst entsteht, wenn man vor etwas Unbekanntem steht und überfordert ist. Auf den ersten Blick sieht jede Wand glatt aus. Aber irgendwann bekommt alles eine Struktur. Man erkennt die Griffe und die Tritte. Dann weiss man, wie man damit umgehen muss – und plötzlich ist die Angst weg.
BeobachterNatur: In den Bergen gibt es unkalkulierbare Risiken. Am Annapurna etwa wurden Sie von einem Stein getroffen und wachten 200 Meter weiter unten wieder auf.
Steck: Es gibt Gefahren, und es gibt Risiken. Zudem birgt das Leben immer ein Risiko. Wenn man absolute Sicherheit will, muss man zu Hause vor dem Fernseher bleiben.
BeobachterNatur: Auch Ihre Frau hatte vor zwei Jahren einen schweren Unfall in den Bergen.
Steck: Wir waren auf dem Wetterhorn, via Westpfeiler. Das ist vom Schwierigkeitsgrad her mit der Eigernordwand vergleichbar. Der Unfall passierte dann aber auf dem Abstieg auf dem Wanderweg. Nicole rutschte am falschen Ort aus und stürzte 30 Meter in die Tiefe. Es ist ein Wunder, dass sie überlebt hat.
BeobachterNatur: Sie waren joggend unterwegs?
Steck: Quatsch! Das hat der «Blick» geschrieben. Wir waren einfach nur zügig unterwegs.
BeobachterNatur: Wie geht es Ihrer Frau heute?
Steck: Sehr gut. Sie musste sich das untere Fussgelenk versteifen lassen, aber sie kann wieder klettern. Im Herbst waren wir zusammen auf dem Ama Dablam im Himalaya. Dieser Berg war immer ihr Traum – und seine Besteigung somit ein Schritt zurück ins normale Leben.
Ueli Steck tourt ab Anfang März mit einer Live-Reportage über seine Expeditionen durch die Schweiz. Infos auf www.explora.ch