Globalisierung bedroht Tiere und Pflanzen
Der wachsende Waren- und Personenverkehr bringt zunehmend blinde Passagiere mit: Fremde Tier- und Pflanzenarten, die nach Europa eingeschleppt wurden, verursachen bereits heute jedes Jahr Schäden in Höhe von rund 15 Milliarden Franken.
Europa erkennt die Zeichen der Zeit nicht, die die Bedrohung der Ökologie durch eindringende Tiere und Pflanzen darstellt – so lautet die Warnung des Ökologen Philip Hulme von der neuseeländischen Lincoln University in einem Artikel des Fachmagazins «Science». In Europa gebe es keine Regierungskultur oder institutionelle Koordination, die sich des Problems invasiver Arten annimmt.
Als invasiv werden Organismen bezeichnet, die im Jahr 1500 noch nicht in Europa heimisch waren: «Die Entdeckung Amerikas nimmt man auch als Ausgangspunkt dafür, dass Europa seine Arten im grossen Stil nach aussen transportierte. Dann kam es zu einem Bumerang-Effekt, und die Arten wurden eingeschleppt», erklärt Wolfgang Nentwig, Ökologe der Universität Bern. Eindeutiger Hauptschuldiger sei der Mensch. «Teilweise geschieht die Verschleppung bewusst, wenn etwa Haustiere in den Urlaub mitgenommen werden. Damit transportiert man die heimischen Parasiten ins Ausland und importiert von dort neue.» Das Mitbringen fremdländischer Pflanzen, die sich selbständig verbreiten, habe einen ähnlichen Effekt, ebenso entwischte exotische Haustiere.
«Vielfach werden Arten jedoch unabsichtlich eingeschleppt, wenn etwa auf chinesischen Containern mit Elektronikprodukten Pflanzensamen, Tiereier oder Kokons mitgebracht werden», so der Berner Ökologe. Auch der Bau von Wasserkanälen wie der Rhein-Main-Donaukanal begünstige eine Verbreitung von Organismen, die etwa auf der Schiffsunterseite als blinde Passagiere mitreisen. Dieser Prozess sei in seiner Gesamtheit irreversibel und nehme jedes Jahr exponentiell zu.
Forschungen des europäischen Forschungsnetzwerkes DAISIE zeigen, dass derzeit 11'000 invasive Organismen in Europa verbreitet sind. «Jeweils knapp die Hälfte sind Pflanzen und wirbellose Tiere wie Insekten, etwa tausend sind Pilze, Mikroorganismen oder Bakterien. Auch Organismen im Süsswasser oder im Meer gehören dazu», erklärt Nentwig.
«Invasive Arten sind keine Bereicherung für die Artenvielfalt, sondern eine Bedrohung», so Nentwig. Für den Menschen bringe die Einschleppung neue stechende, giftige oder Allergie auslösende Organismen, darüber hinaus seien Schäden ein beachtliches ökonomisches Problem: «Dämme und Deiche werden plötzlich durch neue Wühltiere bedroht, das Getreide von neuen Schädlingen.» Hochrechnungen gehen davon aus, dass sich der ökonomische Aufwand für Reparaturmassnahmen europaweit auf mindestens 15 Milliarden Franken pro Jahr beläuft. «Dabei handelt es sich nicht um eine Phantasiezahl, sondern um die unterstmögliche Grenze, denn bei 90 Prozent aller invasiven Arten sind die Folgeschäden noch nicht erforscht», so Nentwig.
Zudem seien die ökonomischen Schäden meist auch ökologische, betont Nentwig. Unter den 100 Arten, die das DAISIE-Projekt als die schlimmsten bezeichnet, befindet sich die aus Osteuropa stammende Zebramuschel. «Sie verstopft Wasserrohre, Schiffswege wie auch Kühlsysteme von Atomkraftwerken und sorgt dafür, dass einheimische Arten verschwinden.»
Weitere Beispiele sind die giftige Killeralge Caulerpa, die in Filzteppichen die Mittelmeer-Seegraswiesen überwuchert und dabei die Lebensgrundlage vieler Fische zerstört, sowie der Ulmenpilz, der zum Absterben von bereits 90 Prozent aller heimischen Ulmen geführt hat.
Eine der bekanntesten Plage ist die spanische Wegschnecke, die seit den siebziger Jahren über Gemüseimporte aus Spanien den Weg nach Mitteleuropa gefunden hat. «Raps, Getreide und Mais müssen seither mit Molluskiziden behandelt werden, die auch einheimische Schnecken töten.»
Um dieser Entwicklung gegenzusteuern, hält Nentwig die Umsetzung bereits bestehender Regelungen für dringend: «Es gibt etwa eine Verordnung über die Reinheit von Saatgut, die nicht umgesetzt wird, obwohl sie bestimmte Probleme lösen könnte. Beispielsweise enthalten Sonnenblumenkerne, die als Vogelfutter vertrieben werden, über ein Prozent Ambrosia-Samen, die bei der Fütterung zu Boden fallen und sofort keimen. Dieses Unkraut hat jedoch hohes allergenes Potential und verursacht jährlich horrende Gesundheitskosten.» Eine Einhaltung der Reinheitsbestimmungen könne das verhindern, jedoch wolle die Politik die Saatgutverteiler nicht brüskieren und die Preise in die Höhe treiben.
Der Trend zu immer mehr freiem Waren- und Personenverkehr beschleunigt die Invasion. «Mit dem Wegfall der Grenzkontrollen entfallen auch alle hygienischen Sicherheiten», so Nentwig. Australien, Neuseeland und die USA kontrollieren weitaus gezielter Reisegepäck oder Transportgüter, da das Problem invasiver Arten in diesen Ländern noch grössere Dimensionen habe.
Als Schwierigkeit in Europa sieht Nentwig das fehlende Bewusstsein seitens der Bevölkerung. «Würde die Gefahr bestehen, dass Malaria oder Gelbfieber importiert wird, wäre das öffentliche Interesse sowie die Bereitschaft zu Massnahmen sofort vorhanden. Bei den invasiven Arten ist die Toleranzschwelle jedoch noch sehr hoch.» Als denkbare Massnahme sieht Nentwig das Einfordern stärkerer Verantwortung und Haftung von Lieferanten aus Übersee dafür, dass mit gelieferten Waren keine nicht-heimischen Arten eingeschleppt werden.
International wurden bereits Regelwerke zur Eindämmung der Problematik geschaffen, etwa durch die Biodiversitätskonvention von Rio. Doch auch deren Umsetzung steckt noch in den Anfängen. «In den einzelnen Ländern gibt es sehr unterschiedliche Vorschriften, doch zwischen den Behörden gibt es weder Austausch noch Kooperation. Eine europäisches Koordination des Managements invasiver Arten könnte hier ein richtiger erster Schritt sein», so der Berner Ökologe. (pte/03.04.2009)