Sind unsere Seen zu sauber?
Dank Kläranlagen und des Verbots phosphathaltiger Waschmittel ging der Phosphorgehalt etwa im Bodensee zurück. Zu weit, sagen die Berufsfischer, denn in nährstoffreicherem Wasser würde der Fischbestand zunehmen.
Wir Berufsfischer fordern nicht die künstliche Verschmutzung der Seen. Es geht uns lediglich darum, dass in den Kläranlagen weniger Phosphate ausgeschieden werden, denn Phosphor hat Auswirkungen auf das Algenwachstum und damit auf das Nahrungsangebot von Fischen.
Was früher ungeklärt in die Bäche, Flüsse und Seen lief, wird heute in Kläranlagen gereinigt. Dadurch ist der Phosphorgehalt in den meisten Schweizer Gewässern so massiv zurückgegangen, dass die Fischerträge stark gesunken sind. Immer mehr Fischerkollegen können mittlerweile von der Fischerei allein nicht mehr leben oder müssen sogar den Beruf aufgeben.
Ein etwas höherer Phosphorgehalt würde den Seen und auch den Menschen, die darin baden wollen, in keiner Weise schaden. Im Gegenteil: Phosphor führt zu einem ökologisch vielfältigen und artenreichen Gewässer. Bestimmt ist es ökologisch auch sinnvoller, mit etwas mehr Phosphor dafür zu sorgen, dass die Fischerträge aus den Schweizer Seen erhalten bleiben, statt Speisefische aus Übersee zu importieren oder sie in teuren und energiefressenden Aquakulturanlagen zu produzieren. Ausserdem sind Mineralstoffe wie Phosphor nicht allein für die Verschmutzung der Seen verantwortlich. Kleinste Plastikbestandteile, Arsen, Medikamente und Hormone gelangen trotz Filteranlagen in die Gewässer. Sollten in Zukunft nicht auch diese Parameter als Mass für die Sauberkeit der Gewässer herangezogen werden?
Über die Kläranlagen gelangen jährlich 80 bis 100 Tonnen Phosphor in den Bodensee. Dieser Wert ist seit zehn Jahren konstant. Der Phosphorgehalt im See ist mit sechs Mikrogramm pro Liter etwa 50 Prozent höher, als es natürlicherweise der Fall wäre. Für die Fische ist der Bodensee sicher nicht zu sauber. Der Fischertrag ist heute zwar geringer als vor 20 Jahren, aber er ist immer noch höher als in den Vierziger- und Fünfzigerjahren.
Das Ökosystem See reagiert sehr langsam auf Veränderungen. Wenn das Experiment «Seendüngung zur Steigerung des Fischertrags» versagt, dauert die Korrektur ein bis zwei Jahrzehnte! Wird die Leistung der Kläranlagen reduziert, um den Phosphorgehalt zu erhöhen, birgt das auch die Gefahr, dass andere Schadstoffe ebenfalls weniger gut eliminiert werden.
Wenn sich das Klima wie prognostiziert weiter erwärmt, führt dies zudem zu einer schlechteren Sauerstoffversorgung in der Tiefe des Sees. Erhöht man den Phosphorgehalt, verschärft sich die Situation zusätzlich. Genügend Sauerstoff am Seegrund ist aber eine Voraussetzung für die natürliche Entwicklung des Fischlaichs, etwa von Felchen. Mit dem heutigen Phosphorgehalt hat der Bodensee auch bei einer ungünstigen Klimaentwicklung genug Sauerstoff; er ist fit für die Zukunft. Die Tier- und Pflanzenwelt ist dank des sauberen Wassers ökologisch vielfältig. Das alles aufs Spiel zu setzen, ist unverantwortlich, auch den fünf Millionen Menschen gegenüber, die den See als Trinkwasserspeicher nutzen.