Ein Fall für Batwoman
Wer sich vor Fledermäusen gruselt, sollte unbedingt Karin Safi kennenlernen. Die Fledermaus-Expertin begeistert selbst die grössten Skeptiker für den Erhalt der bedrohten Tiere.
Veröffentlicht am 19. März 2018 - 15:11 Uhr,
aktualisiert am 19. März 2018 - 14:34 Uhr
Genau zwölf Minuten Zeit hat sie, um den Betonkasten im Turm zu montieren. Dann wird die Kirchenglocke wieder ohrenbetäubend zu läuten anfangen. Also ist schnelles Arbeiten angesagt. Karin Safi stellt die Leiter an, bohrt Löcher in einen Längsbalken und befestigt den Kasten. Er soll den Fledermäusen, die im Dachstock der Kirche Flaach bald ihre Jungen aufziehen werden, als Wochenstube dienen.
Karin Safi ist die Fledermausschutz-Beauftragte des Kantons Zürich. In der Schweiz leben rund 30 Fledermausarten. Nicht alle sind gleich stark bedroht, aber alle sind geschützt. Manche Arten hat man seit vielen Jahren nicht mehr gesichtet, so dass man davon ausgehen muss, dass sie bereits ausgestorben sind. Karin Safi setzt sich seit 20 Jahren für den Schutz der nachtaktiven Tiere ein.
Beobachter: Fledermäuse sind ja nun nicht gerade die süssesten Botschafter des Tierreichs. Trotzdem gibt es Fledermaus-Safaris und ein Fledermaus-Nottelefon. Haben die Tiere eine Fangemeinde?
Karin Safi: Ich persönlich finde überhaupt nicht, dass Fledermäuse hässlich und verhutzelt aussehen. Sie haben sogar einen ausgesprochenen Jöö-Effekt. Viele Leute staunen über ihre herzigen Gesichter – das Gruselige, Vampirmässige ist nur ein Vorurteil. Und ja, Fledermäuse haben tatsächlich ihre Fans: Wir haben schon Fledermaus-Viewings veranstaltet, bei denen über 400 Menschen kamen. Obwohl am selben Abend ein wichtiger Fussballmatch übertragen wurde.
Beobachter: Was ist ein Fledermaus-Viewing?
Safi: Ein intimer Blick in eine Fledermauskolonie. Dank hochempfindlichen Infrarot-Videokameras kann man beobachten, wie die Fledermäuse aus dem Tagesschlaf erwachen, ihre Jungen säugen und sich auf ihren abendlichen Ausflug machen. Bei einem Public Viewing übertragen wir solche Live-Bilder auf eine Grossleinwand.
Bis heute gelten Fledermäuse als geheimnisvolle Wesen. Zwar ist das Orientierungssystem der Tiere, die trotz dem Namen nichts mit Mäusen zu tun haben, heute gut erforscht: Fledermäuse stossen Töne im Ultraschallbereich aus, deren Echo von Gegenständen oder Beutetieren zurückgeworfen wird. So machen sie sich ein Bild der Umgebung. Über den Winterschlaf der Tiere weiss man aber immer noch wenig. Sie verbringen ihn in Höhlen und Stollen, doch kennt man die genauen Aufenthaltsorte nur selten.
Im Kanton Zürich ist das Graue Langohr am stärksten bedroht. Die Fledermaus zieht nur noch in drei Estrichen ihre Jungen auf. In der Kirche Flaach lebten einst rund 40 Tiere, letztes Jahr wurden noch 22 gezählt. In den Dachstöcken der Kirchen der Nachbargemeinden Berg und Buch gibt es nur noch einige wenige Exemplare. Das macht Karin Safi Sorgen. Denn bereits eine kleine Veränderung im Estrich – ein paar Grad wärmer oder kälter, eine veränderte Luftfeuchtigkeit oder ein versehentlich verschlossenes Einschlupfloch – kann die Tiere so sehr irritieren, dass sie den Ort fortan meiden.
Die Suche nach einer neuen Wochenstube wäre mit grossem Stress verbunden. Deshalb will Karin Safi die Estriche mit zusätzlichen Verstecken aufwerten. Weil das Graue Langohr seine Jungen auch in Mauernischen aufzieht, kommen Kästen aus Holzbeton zum Einsatz, die einem Versteck im Stein ähneln.
Nicht nur Renovationen machen den Fledermäusen zu schaffen. Auch unter dem grassierenden Insektensterben leiden sie. Denn sie ernähren sich fast nur von Insekten – deren Zahl hat hierzulande seit den achtziger Jahren um 75 Prozent abgenommen.
Beobachter: Wie können Sie den Fledermäusen helfen?
Safi: Im Gegensatz zu Tierschutzorganisationen, die sich um einzelne Tiere kümmern, setzen wir uns primär dafür ein, die Lebensgrundlagen der Tiere zu erhalten, vor allem die Wochenstuben. Oft beraten wir Hausbesitzer, die renovieren wollen.
Beobachter: Die wenden sich tatsächlich an Sie?
Safi: Na ja, die meisten Anrufe erhalten wir von Leuten, die sich beschweren. Weil Fledermäuse gern in unseren Häusern Unterschlupf suchen, ist das Konfliktpotenzial gross. Manche Arten ziehen gern in Rollladenkästen ein, dann fällt Kot auf das Fenstersims. Ich erkläre den Leuten dann, dass sie zumindest in der Zeit, in der die Jungen aufgezogen werden, nichts verändern dürfen. Denn das ist verboten.
Beobachter: Wie reagieren die Hausbesitzer?
Safi: Wenn sie erkennen, wie sehr Fledermäuse heute ums Überleben kämpfen müssen, ändern viele ihre Meinung. Nicht selten sind sie dann richtiggehend stolz auf ihre Mitbewohner.
Das Graue Langohr ist in der Schweiz vom Aussterben bedroht. Die ortstreuen Fledermäuse ziehen ihre Jungen ab Ende Mai in der Wochenstube auf, in der sie selbst zur Welt gekommen sind. Das sind oft Dachstöcke oder Gebäudespalten.
Sobald Ende März erste Insekten fliegen, werden die Grauen Langohren aus dem Winterschlaf erwachen. Über den Winter haben die Tiere ihre ganzen Reserven aufgebraucht. Sie sind ausgehungert und müssen als Erstes viel fressen.
Ab Ende Mai bringt das Weibchen sein Junges zur Welt. Es wiegt bereits einen Drittel des Körpergewichts der Mutter. Die Flügel sind noch kaum ausgebildet, die Füsse aber verhältnismässig gross. Mit ihnen hält es sich in seinem Versteck fest. Die Mutter säugt das Jungtier vier bis sechs Wochen lang. Bis zum Herbst muss es sich einen Vorrat anfressen. Nur rund die Hälfte der Jungtiere überlebt den ersten Winter.
Beobachter: Das ist eine hohe Verlustrate.
Safi: Ja. Die Überlebenschancen sind grösser, je früher im Jahr die Tiere zur Welt kommen. Dann bleibt ihnen mehr Zeit, um sich einen Vorrat anzufressen. Deshalb schützen wir die Wochenstuben: Die Fledermäuse sollen mit der Suche nach einem neuen Versteck nicht unnötig Zeit verlieren.
Beobachter: Sie kämpfen wie der Superheld Batman für die Schwächsten. Darf man Sie «Batwoman» nennen?
Safi: So werde ich seit 20 Jahren auf beinahe jeder Baustelle genannt. (Lacht) Im Gegensatz zu Batman bin ich aber nicht verbissen. Mir ist bewusst, dass das Zusammenleben mit Fledermäusen schwierig sein kann. Zum Beispiel wenn sie ständig auf eine Türschwelle koten. Aber in der Regel kann man mit relativ einfachen Massnahmen eine Lösung finden, die für Mensch und Tier gut ist.
- Für Nahrung sorgen: Ein naturnaher Garten mit einem Teich zieht Insekten an – die Leibspeise von Fledermäusen.
- Licht reduzieren: Die meisten Fledermausarten jagen am liebsten im Dunkeln.
- Wochenstuben schützen: Wenn ein Haus mit Fledermausquartier renoviert werden muss, sollte man rechtzeitig mit dem Fledermausschutz Kontakt aufnehmen. Im Sommer darf nichts verändert werden. Ansonsten: Einschlupflöcher offen lassen, raue Fassaden nicht durch glatte ersetzen, damit die Tiere weiterhin Halt finden.
- Fledermauskästen aufhängen: Für die Aussenfassade empfehlen sich Kästen mit mehreren Kammern.
Weitere Infos: www.fledermausschutz.ch