Die Biologin Marta Manser erforscht das Verhalten von Erdmännchen hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen sozialem Netz, Kommunikation und Intelligenz. Sie arbeitet mit wildlebenden Tieren und einer Referenzgruppe aus Zootieren. 

Quelle: Basil Stücheli

BeobachterNatur: Erdmännchen gelten als sehr soziale Tiere. Dabei herrschen in der Kalahari Zickenkrieg, Mord und Totschlag, wie neuere Dokumentarfilme zeigen.
Marta Manser: Das eine schliesst das andere nicht aus. Erdmännchen sind sozial; sie teilen sich die Aufgaben in der Gruppe, betätigen sich als Wächter, Futterbeschaffer und Babysitter. Gleichzeitig sind Erdmännchen knallhart. Es herrscht ein enormer Konkurrenzkampf, Tiere werden getötet und fortgejagt. Für Verstossene ist die soziale Isolation das Schlimmste überhaupt: Sie zeigen noch grössere Stresssymptome als bei Gefahr durch Räuber. Denn auf sich allein gestellt kann kein Erdmännchen lange überleben.

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Quelle: Basil Stücheli

Der Weg in die Selbständigkeit: Höher Entwickelte brauchen länger

BeobachterNatur: Immerhin ziehen Erdmännchen ihre Jungen gemeinsam auf.
Manser: Sie sind sogar sehr talentierte Babysitter. Sie spielen intensiv mit den Kleinen, und die weiblichen Babysitter können den Nachwuchs auch säugen. Fortpflanzen darf sich jedoch nur das dominante Weibchen, Jungtiere von anderen Weibchen werden totgebissen, Konkurrentinnen weggejagt. Dass sich die Helferinnen für den Nachwuchs der Chefin aufopfern, lässt sich unter anderem damit erklären, dass dies die Überlebenschancen der Gruppe erhöht.

BeobachterNatur: Berühmte Anthropologen wie Frans de Waal vertreten die These, dass Empathie bei Tieren weit verbreitet sei.
Manser: Die Schwierigkeit liegt darin, mitfühlendes Verhalten objektiv nachzuweisen. Bisher liess es sich kaum quantifizieren. Generell ist es heikel, vom Menschen auf Tiere zu schliessen. Denn es gibt sehr oft alternative Erklärungen, weshalb sich ein Tier auf eine bestimmte Art und Weise verhält.

BeobachterNatur: Sind Tiere knallharte Egoisten?
Manser: Es gibt die sehr kooperativen Wesen, aber auch ausgeprägte Egoisten und Einzelgänger. Viele Tiere sind sicherlich beides mit graduellen Unterschieden, wie bei uns Menschen auch. In den nächsten Jahren werden wir dank modernen Untersuchungsmethoden präzisere Antworten zu dieser Frage liefern können.

BeobachterNatur: Bei Delphinen soll es jedoch so etwas wie «Freundschaft» geben.
Manser: Bei Meeressäugern und Primaten gibt es tatsächlich solche Koalitionen. Tiere helfen und unterstützen einander, auch wenn sie nicht direkt verwandt sind. Sie kennen sich vielleicht von früher, haben als Jungtiere positive Erfahrungen miteinander gemacht. Dieses «freundschaftliche» Verhalten liesse sich allerdings auch mit einfachen Mechanismen erklären. Es braucht ausgefeilte Experimente, um den Unterschied herauszuschälen, klare Beweise für Altruismus zu finden.

BeobachterNatur: Sind Emotionen im Tierreich ähnlich umstritten wie Mitgefühl und Freundschaft?
Manser: Heute spricht Tieren kein Wissenschaftler mehr Emotionen ab. Tiere empfinden beispielsweise Angst, Wut und Schmerz. Bei Hunden lässt sich nach dem Tod ihres Halters oft ein depressives Verhalten beobachten, das wir beim Menschen als «Trauer» bezeichnen würden. Emotionen lassen sich anhand von Hirnaktivitäten nachweisen; je nach Emotion sind andere Areale aktiv.

BeobachterNatur: Viele Tierhalter gestehen ihren Lieblingen Persönlichkeit zu. Wie sieht das die Verhaltensforschung?
Manser: Es gibt tatsächlich immer mehr wissenschaftliche Beweise dafür, dass Tiere unterschiedliche Persönlichkeiten haben. Sehen Sie dieses Erdmännchen (geht zum Fenster und zeigt auf ein besonders aktives Tier)? Es ist das jüngste Männchen der Gruppe, also nicht das dominante. Sein letzter Platz in der Rangordnung hat es aber nicht davon abgehalten, als Erstes mit dem Weibchen zu kopulieren. Das Tier ist auch besonders neugierig und clever. Es hat als bisher Einziges den Dreh raus, wie es übers Gitter ins andere Gehege klettern kann.

BeobachterNatur: Was macht ein Tier zum Alphatier?
Manser: Bei den Erdmännchen hat die Clanchefin höhere Testosteronwerte als die übrigen Weibchen, sie ist körperlich stärker und fitter. Sobald sie aber einen Anflug von Schwäche zeigt, ist es mit ihrer oft Jahre dauernden Herrschaft sogleich vorbei; dann folgt eine Jüngere. Das mag hart erscheinen, aber unter den gegebenen schwierigen Lebensbedingungen ist dies die erfolgreichste Strategie. Seien wir ehrlich: Bei Menschen ist das nicht viel anders: Wenn es ums Überleben geht, ist jeder sich selbst der Nächste.

Quelle: Basil Stücheli