Kiste mit Aussicht
Um Arten zu erhalten, schicken Zoos Tiere auf Reisen. Das ist so kompliziert, wie es klingt.
Veröffentlicht am 7. Mai 2014 - 13:21 Uhr
Jungtiere sind die Stars im Zoo. Kaum gibt es Nachwuchs, drängen sich die Besucher vor den Gehegen. Was die meisten nicht ahnen: Die tapsigen Kleinen sind das Resultat des immensen Aufwands, den wissenschaftlich arbeitende Zoos wie die in Basel und Zürich für die Arterhaltung leisten. Sie sind zu einem weltweiten Netzwerk zusammengeschlossen und setzen alles daran, ausreichenden genetischen Austausch sicherzustellen. Für die meisten Tierarten gibt es einen eigenen Zuchtbuchführer. Als Partnervermittler sorgt er für grösstmögliche genetische Vielfalt.
«Zoos sind im Grunde Inseln, auf denen kein natürlicher Austausch stattfindet», sagt Zolli-Betriebsleiter Victor Bindy. Darum tauschen die zoologischen Gärten zur Blutauffrischung Tiere aus. Und Victor Bindy betätigt sich als Reiseveranstalter.
Der Zolli betreibt eine eigene Schreinerei, um für jedes Tier die passende Transportkiste bereitstellen zu können. Damit der Passagier am Reisetag keine Szene macht, wird er oft schon Tage zuvor in der Kiste gefüttert. Trotzdem steigen nicht alle Tiere freiwillig ein. Manchmal setzen die Tierpfleger mannshohe, mit Rädern versehene Holzplatten ein. «Wir fahren sie so zum Tier hin, dass es in die vorbereitete Kiste geleitet wird. Bei einem drei Tonnen schweren Flusspferd stehen zehn der kräftigsten Tierpfleger auf der anderen Seite der Wand. Und die braucht es manchmal auch», sagt Bindy.
Affen muss er selber fangen. Die den Tieren vertrauten Pfleger machen das aus gutem Grund nicht: Affen merken sich sehr wohl, wer neulich einen ihrer Kollegen weggefangen hat. «Wenn ich ins Affenhaus komme, setzen sofort die Warnrufe ein», sagt Bindy. Das Fangen ist nicht einfach, und Affen haben einen kräftigen Biss. Dicke Handschuhe, bei den Javaneraffen gar Kettenhandschuhe, gehören zum Handwerkszeug.
Manche Tiere können nicht in Kisten transportiert werden, zum Beispiel Giraffen. Nur Jungtiere bis zu einer vergleichsweise handlichen Grösse von zweieinhalb, höchstens drei Metern sind überhaupt transportabel. Weil Flugzeugfrachträume in der Regel nicht hoch genug sind, reisen Giraffen meistens per Camion, in Spezialanhängern, deren Dach sich hydraulisch heben und senken lässt. Auf Kopfhöhe gibt es eine Futterluke, durch die der mitreisende Tierpfleger belaubte Äste hineinreichen kann. Steht der Anhänger trotz sorgfältiger Routenplanung bei einer Brücke an, kann der Chauffeur das Dach etwas absenken. Die Giraffe muss sich kurz vorbeugen und kann sich nach der Brückenpassage wieder aufrichten.
So kam im vergangenen Jahr Giraffe Sophie aus Frankreich nach Basel. Die Route musste aber nicht nur wegen der Durchfahrtshöhen akribisch geplant werden. Da Giraffen Huftiere sind, durfte der Transport nicht durch Gebiete mit Maul- und Klauenseuche führen; Huftiere dürfen solche Gebiete weder verlassen noch passieren. Dasselbe gilt für Wiederkäuer bezüglich der Blauzungenkrankheit und für Vögel bezüglich Vogelseuchen. Victor Bindy ist deshalb stets auf dem Laufenden, was Seuchenverläufe in Europa betrifft.
Er baut aber auch auf die Fachkenntnis der wenigen auf Zootiertransporte spezialisierten Spediteure, die sich mit den Vorschriften bestens auskennen. Wenn es einmal wirklich kompliziert wird, ruft er Marianne Imhof an. Ihre an den Flughäfen von Zürich und Genf ansässige Firma ACE Pet Moving ist auf die Organisation von Tiertransporten spezialisiert. Den Grossteil ihres Geschäfts macht sie mit der Reiseorganisation für Haustiere. Das gerate regelmässig zu einer emotionalen Angelegenheit, sagt sie.
Marianne Imhof organisiert auch etwa zehn Zootiertransporte pro Jahr. Dabei steht allein das Tierwohl im Vordergrund. So auch beim Transport von zwei Okapis von Dallas nach Basel im vergangenen Jahr. Ursprünglich wollte ein anderer Spediteur die Tiere per Lastwagen von Texas nach New York fahren, um sie dann per Charterflug in die Schweiz zu bringen. Doch es stellte sich heraus, dass die Okapis samt Kisten für den Frachtraum einer Passagiermaschine zu hoch waren; nicht umsonst nennt man die eleganten Tiere auch Waldgiraffen. Ein Frachtflugzeug samt Crew anzumieten, wäre so teuer geworden, wie es klingt.
Da sprang Marianne Imhof ein. Sie stellte fest, dass in Houston reguläre Frachtflugzeuge Richtung Frankfurt starten. Der Landtransport in die texanische Metropole war das kleinere Problem. Das grössere sah so aus: «Grundsätzlich war die Einfuhr eines Paarhufers aus den USA in die EU damals gar nicht möglich, wegen der Seuchengefahr», sagt sie. Der Import gelang nur, weil die Berner Behörden ihr Okay schon gegeben hatten und die zuständigen Ämter in Frankfurt den Transit durch die EU auf dieser Basis genehmigen konnten. Weiterer Knackpunkt: Eines der Okapis war für Frankreich bestimmt. Wegen der EU-Vorschriften musste es ein Dreivierteljahr in Basel verbringen, bevor es als «Schweizer» Okapi an seinen Bestimmungsort weiterreisen durfte.
Für Victor Bindy fängt die Arbeit schon Monate vor der Reise an. Sobald ein Austausch beschlossen ist, nimmt er mit dem jeweiligen Zoo Kontakt auf. Dann gehen Unmengen E-Mails, Telefonate und Dokumente hin und her. Das Bundesamt für Veterinärwesen stellt die Import- oder Exportbewilligung aus. Gesundheitszeugnisse müssen beschafft werden und der Nachweis, dass der empfangende Zoo die entsprechende Tierart halten darf und Platz für ein weiteres Exemplar hat. Immerhin sind Zootiere von der Mehrwertsteuer befreit. Aber selbst das muss auf dem passenden Formular bestätigt werden.
Hat Victor Bindy alle Papiere zusammen, wird das Tier mit sogenannten TRACES-Papieren auf die Reise geschickt. Das TRACES-System (Trade Control and Expert System) dient dem standardisierten Informationsaustausch unter den europäischen Veterinärbehörden. Die entsprechenden Papiere sind also eine Art Reiseticket von Tierarzt zu Tierarzt.
Auch hinsichtlich der «Verpackung» gibt es strenge Vorschriften. Sie muss angemessen ausgestattet sein, eine Auffangvorrichtung für Kot und Harn aufweisen und eine Möglichkeit zur Fütterung bieten. «Wenn wir neue Kisten bauen, konsultieren wir die aktuellen Vorschriften der IATA (International Air Transport Association). Die sind präzise, lassen aber einen gewissen Spielraum», sagt Bindy. Er beschafft alle zwei Jahre die neuste telefonbuchdicke Ausgabe der IATA-Vorschriften. Denn wenn ein Tier in der falschen Kiste steckt, ist die Reise spätestens am Flughafen vorbei.
Laut Vorschrift muss ein Tier in der Kiste stehen und bequem liegen können. Es darf aber nicht genug Platz haben, um sich umdrehen zu können. Zu hoch sollte die Kiste auch nicht sein: «Ein Somali-Wildesel beginnt zu steigen, wenn er zu viel Platz hat, und bricht sich womöglich das Genick. Und Kängurus beginnen zu hüpfen und schlagen sich den Kopf an», sagt Bindy. Für Zebras, die zu Panik neigen, muss das Dach innen gepolstert sein. Luftschlitze müssen mit feinem Draht abgedeckt sein, damit sich nicht ein Ohr oder der Schwanz darin verfängt. Klappen für die Versorgung mit Futter und die Entsorgung der Exkremente sind ebenfalls Vorschrift. Und will man ein Stachelschwein transportieren, sollte die Kiste mit Metall ausgeschlagen sein; aus einer Holzkiste könnte sich das Nagetier womöglich befreien. Die meisten Zoos halten sich auch für Landtransporte an die IATA-Vorgaben. So sind sie punkto Tierschutz auf der sicheren Seite.
«Allerdings habe ich auch schon per Spedition einen Staubsaugerkarton aus Ungarn erhalten, in dem ein Vogel zu uns geschickt worden war», schmunzelt Bindy. Da gewöhnlich der empfangende Zoo die Kosten für den Transport und somit auch die Kiste übernimmt, konnte das Bindy nur recht sein. Und der Vogel kam zum Glück putzmunter an.