Da steht es, aufgebahrt im Hof des Verkehrshauses. Die Bullaugen sind erblindet, der Rumpf ist gezeichnet von Schrammen eines wilden Lebens. Rost hat sich tief in die Schiffshaut gefressen, runzlig ist der Anstrich, gekappt der Turm, zerfranst die Scheuerleiste. Zerbröselt ist der stolze Bug, der die Weltmeere durchpflügte, verschollen das markante Heckruder, amputiert der Kiel, der manchen Meeresgrund berührte, abrasiert sind die Tiefenruder – der Mésoscaphe PX-8 ist ein trauriger Schiffsleichnam. Erde füllt schon die Ballasttanks, Bäumchen und Gräser spriessen aus den Speigatten an der Brücke.

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Dabei war dieses U-Boot der Stolz der Schweiz. Der Tiefseepionier Jacques Piccard, der 1959 in der «Trieste» im Marianengraben die tiefste Stelle des Planeten erreicht hatte, baute das Schiff für die Landesausstellung 1964 in Lausanne. Zu Ehren seines Vaters, des visionären Stratosphärenballon- und U-Boot-Konstrukteurs, taufte er es «Auguste Piccard». 28,5 Meter lang, 7,5 Meter hoch und 165 Tonnen schwer, ist es das erste und einzige touristische Grossraum-Tauchboot, das je gebaut wurde. Und es ist unter den nichtmilitärischen U-Booten jenes mit den meisten Tauchstunden und Passagieren. Der schlanke weisse Rumpf mit dem roten Band und dem Plexiglasturm trugen ihm an der Expo 64 den Übernamen «Weisser Schwan» ein und machten es zum Emblem. Es stand für Schweizer Pioniergeist, Ingenieurkunst und Fortschritt, wurde euphorisch gefeiert und weckte im Binnenland die Faszination für die Tiefsee.

Vor der Verschrottung gerettet

Jetzt ist das einst stolze Schiff ein nichtssagender Rosthaufen. This Oberhänsli, Kurator am Verkehrshaus, und Restaurator Wolf Meyer zu Bargholz stehen vor dem Wrack – und vor einer grossen Aufgabe. Nach einem mutigen Entscheid von Verkehrshausdirektor Daniel Suter haben sie das Schiff 2005 in einer eiligen Bergungsaktion ins Verkehrshaus geholt. Ein Verein von Idealisten hatte die sterblichen Überreste aus den USA repatriiert. Lange rostete es in Le Bouveret an der Rhonemündung am Genfersee vor sich hin. Letztmals gezeigt wurde die Schiffsruine an der Expo.02 in Murten auf der Arteplage «Augenblick und Ewigkeit» – als stummer Zeuge für die «Vergänglichkeit des Erfolgs».

Danach lagerte ein Baustoffhändler das Boot auf einem schlammigen Gelände im nahen Villeneuve ein. Schon vorher hatte Bertrand Piccard, Sohn von Jacques, betont, die PX-8 gehöre als Meilenstein der Mobilitätsgeschichte ins Verkehrshaus, wo sich schon Stücke des Pioniervorfahren Auguste sowie Bertrands Stratosphärenballon befinden. Im Juli 2005 übernahm das Verkehrshaus den Schrotthaufen vom Verein, dem das Geld ausgegangen war. Kaufpreis: null Franken. «Plötzlich pressierte es», erzählt Restaurator Meyer. Der Platz in Villeneuve musste einem Reitzentrum weichen. «Es hiess: Holt das Ding, oder es wird verschrottet.»

Die Expo-Leute trauten Piccard nicht

Zwei Wochen blieben, um die Verschiebung zu organisieren und das Boot transportfähig zu machen. «Wir mussten das Oberdeck stutzen, um unter Brücken durchzukommen. Damit das Deck beim Abtrennen nicht zerbröselte, baute ich ein Metallskelett und schweisste die Rostteile daran an. Rost schweissen geht eigentlich gar nicht.» Sieben Tage à 14 Stunden arbeitete er am Boot. «600 Kilo Erde habe ich aus dem Bug geschaufelt.» Dann trat die «Auguste», aufgebahrt auf einem Schwertransporter, ihre letzte Reise an.

Als sie im Verkehrshaus 2007 an ihren definitiven Liegeplatz umgebettet wurde, kam auch der damals 85-jährige Jacques Piccard. «Wir besprachen die Restaurierung», erzählt Kurator Oberhänsli. Piccard habe sogleich Tipps gegeben, wie man mit dem alten Eisen umgehen müsse. «Er freute sich sehr und hatte offensichtlich das Gefühl, dass das Denkmal am richtigen Ort gelandet ist.» Der 90-jährige Alfred Waldis, Gründer des Verkehrshauses und Freund der Familie Piccard, betont: «Es war für ihn eine grosse Genugtuung, dass die PX-8 in den Urzustand zurückversetzt und als Meisterleistung der Industriegeschichte gewürdigt wird.» An der Expo 64 war es nämlich zu einem Eklat gekommen, der Piccard tief getroffen hatte.

Die Expo-Leitung war begeistert gewesen, als Piccard ihr vorschlug, ein Touristen-Tauchboot mit 40 Plätzen zu konstruieren. Gebaut wurde der Mésoscaphe (meso = mittlere Tiefe; scaphos = Schiff) in der Stahlbaufirma Giovanola in Monthey. Als es fertig war, bekamen die Expo-Leute kalte Füsse. Sie misstrauten dem weltberühmten Konstrukteur – weil er keinen Ingenieurtitel hatte. Um die Verantwortung zu verteilen, setzten sie Experten ein, die das Boot prüfen sollten. Bloss hatten vier der fünf Sachverständigen nie zuvor ein U-Boot gesehen. Am 27. Februar 1964 lief die «Auguste Piccard» vom Stapel und das Expertenunheil nahm seinen Lauf.

«Wochenlang wimmelten die Experten um unseren Pott herum, ohne dass sie sich in ihn hineingetraut hätten», erinnert sich Piccard in einem 1971 erschienenen Buch. «Wochenlang verschwendeten sie wer weiss wie kostbare Zeit, indem sie vollkommen unnütze, ja absurde Versuche verlangten und dreierlei Arten von Änderungen vornahmen, von denen die einen unsinnig und gefährlich, die zweiten völlig unnötig und die dritten schliesslich unerheblich waren.» So entfernten sie einen Schalter, der verhinderte, dass das Boot mit offenen Türen tauchen konnte – obwohl dies bei Marine-U-Booten häufigste Unglücksursache war. Dann entliessen sie die Mannschaft und holten Leute ohne Erfahrung. Die «Seeschlacht», wie die Presse titelte, verzögerte die Touristenfahrten um zweieinhalb Monate und gipfelten in Piccards Ausschluss aus dem Projekt. An der Einweihung wurde ihm der Zutritt zur Pressekonferenz verwehrt, zu einer Tauchfahrt wurde er nicht eingeladen.

Bitter belustigt schildert Piccard im Buch die erste Pressefahrt, die er als Zaungast verfolgt. Als die «Auguste» mit den ersten 20 Journalisten an Bord die Ballasttanks flutet, geschieht – nichts. Laut einem Tonbandmitschnitt von Piccard meldet der Kapitän nach mehreren Versuchen: «Wachboot, hören Sie! Wir sind zu leicht. Schicken Sie noch drei Journalisten!» Zweiter Versuch – immer noch zu leicht. «150 Kilo Journalisten! – 300 Kilo Journalisten!», bestellt der Kapitän. Dann gibt er auf: «Alles aussteigen!» Fast kommt es zur Panik, als ein Wasserschwall des heranbrausenden Wachboots auf die Journalisten schwappt. Später stellt sich heraus, dass der Sicherheitsballast für den Notaufstieg auf dem Hafengrund lag. «Ein Matrose versicherte mir, dass es ausgerechnet ein ‹Experte› war, der irrtümlich diesen Ballast abgelassen hatte», berichtet Piccard mit spöttischem Unterton. «Man hätte also noch fünf Tonnen Journalisten gebraucht.»

Sohn Bertrand Piccard erinnert sich: «Damals hat mein Vater sehr gelitten unter den Intrigen und der Eifersucht, die zu seinem Ausschluss führten. Aber die wunderbare ozeanische Karriere des Mésoscaphe bewies später, dass seine Ansichten richtig und das U-Boot gut konstruiert war.»

Schliesslich renkte sich alles ein. Das Boot, nun mit U-Boot-Fahrern aus Frankreich und Italien bemannt, wurde zum Highlight der Expo. Alt und Jung stand stundenlang Schlange, um für stolze 40 Franken 25 Minuten lang zu tauchen. «Wir waren voller Erwartung, Hostessen geleiteten uns an unsere Plätze, dann ging es langsam runter», erinnert sich Alfred Waldis, damals 45-jährig. Gesehen habe man im Scheinwerferlicht durch die Bullaugen kaum etwas. «Aber das lag nicht am Boot, sondern am trüben Wasser.» Die Begeisterung war riesig. «Dass man als Tourist U-Boot fahren kann, fanden wir einfach grossartig», erinnert sich Waldis. Insgesamt brachte die «Auguste» auf 1100 Fahrten rund 33'000 Gäste etwa 100 Meter tief zum Grund des Genfersees.

Tiefseetauchen in der Badewanne

Die Faszination verbreitete sich rasch, auch bei Leuten, die nicht dabei waren. Peter Schweizer, damals 15-jährig, konnte sich die 40 Franken nicht leisten. Stattdessen kaufte er einen Elektromotor und Material. «Ich projizierte ein Dia an die Wand, mass den Mésoscaphe aus und baute ihn nach», erzählt Schweizer. «Ich wollte auch etwas machen, was keiner vor mir gemacht hat.» So entstand das erste Modell der PX-8, das selbständig ab- und wieder auftaucht. Der 70 Zentimeter lange Nachbau steht heute als Zeuge jener Begeisterung im Verkehrshaus. Jedes Kind kannte damals das Boot, und manches – auch der Schreibende – besass ein Plastikmodell im Massstab 1:100, mit dem man in der Badewanne unter Schaumbergen die Geheimnisse der Tiefsee erkunden konnte.

Nach der Expo suchte der Bund einen Käufer für den Mésoscaphe; man glaubte, ein U-Boot mit 750 Metern Tauchtiefe sei gefragt. Aber die erhofften zehn Millionen Franken wollte niemand zahlen. Schliesslich kaufte der Kanadier John Horton das Boot für 100'000 Franken, um es als Forschungsschiff zu betreiben.

Das U-Boot «made in Switzerland» bricht nun vom Genfersee auf zu seiner abenteuerlichen Reise durch die Weltmeere, nach Marseille und dann per Frachtschiff nach New Castle, Delaware. Wegen des Kalten Krieges verweigern die USA jedoch den Einsatz in ihren Gewässern, worauf Horton es nach Vancouver bringt. Bis 1976 erhält es viele wissenschaftliche Instrumente, einen neuen Turm, einen anderen Anstrich und zwei Dieselmotoren, damit es vollständig autonom operieren kann. Vor Kanada führt es Erkundungen für den Bau einer Erdgas-Pipeline durch. Dann, ausgerüstet mit Mast und Segel, schippert es nach San Diego, taucht für den US Geological Survey und die US Navy.

Das grösste Abenteuer erlebt die «Auguste Piccard» 1981/82 – ihr schönster Erfolg und ihre letzte Mission: Das Unternehmen Sea Search Armada will die spanische Galeone «San José» finden. Sie war 1708 von der englischen Flotte vor der kolumbianischen Küste bei Cartagena versenkt worden – an Bord tonnenweise Gold, Silber, Edelsteine von unschätzbarem Wert. Ende 1981 startet die «Auguste Piccard» bei den Rosario-Inseln zur Schatzsuche.

Nach nur fünf Tagen, am 10. Dezember, ist das Wrack entdeckt. Die Stelle wird Dutzende Male abgefahren. Videoaufnahmen, Beobachtungen von Auge und mit Tauchrobotern zeigen ein 40 Meter langes und zwölf Meter breites Wrack, Spanten, Planken, Ballast, verkrustete Kanonen. Holzstücke werden geborgen, die sich als 300 Jahre alt erweisen. Dicke Ablagerungen überziehen jedoch das Wrack. Als die «Auguste» ein Schleppnetz darüberzieht, reisst das Tau. Man erwägt den Einsatz von Enterhaken und Sprengstoff, um die Identität des Schiffs zu erhärten. Schliesslich schleppt ein Begleitschiff einen 230 Kilo schweren Anker über das Wrack, aber die Kruste lässt sich nicht knacken.

Beinahe Endstation in Texas

Im Februar 1982 läuft die «Auguste» auf Grund und muss ins Dock. Nach einem letzten Tauchgang vor Kolumbien heisst es dann: «mission completed». Sie hat den Schleier über der «San José» ein Stück weit gelüftet – doch diese bewahrt ihr Geheimnis. Ein Streit um die Bergungsrechte zieht sich Jahre hin und endet mit der Abweisung durch Kolumbiens Gerichte. Als eine andere Gesellschaft 1994 die Zone erneut absucht, findet sie nichts mehr. Bis heute ist der sagenhafte Schatz nicht gehoben.

Nach der Schatzsuche segelt der Mésoscaphe nach Galveston in Texas, wird an Land gehievt und eingelagert. Ein Wirbelsturm beschädigt das Boot so stark, dass es nicht mehr einsatzfähig ist. Dann übernimmt es ein Industrieller für 10'000 Dollar – und überlässt es dem Zerfall.

Erst 1995 tauchte die «Auguste Piccard» aus der Versenkung auf. Der Idealisten-Verein hatte sie in Galveston ausfindig gemacht. Nach vier Jahren war genug Geld beisammen, um sie für 350'00 Franken zu kaufen und heimzuholen. 1999 wurde sie in Le Bouveret angelandet, wenige Meter vom Ort entfernt, wo sie 35 Jahre zuvor zu Wasser gelassen worden war.

Kurator Oberhänsli und Restaurator Meyer stehen im Keller des Verkehrshauses, wo sauber verpackt die abgetrennten Roststücke liegen. Meyer hat bereits einen Plan, wie er den vier Zentimeter starken Druckkörper behandelt und die anderen Teile rekonstruiert: Bug, Brücke, Turm, Tiefenruder, Steuerruder. Denn die PX-8, so das Konzept, soll in den Urzustand zurückgebaut werden. «Man könnte sie auch konservieren, wie sie ist, so dass sie ihre Geschichte dokumentiert», sagt Oberhänsli. Eine Konfrontation mit dem Verfall wie an der Expo.02 sei zwar ein interessantes intellektuelles Memento mori. «Aber auf einen Rosthaufen entwickelt man keinen Stolz.» Ihre Bedeutung für die Schweiz habe die PX-8 als visionäre Pioniertat von 1964. «Das ist der für die Schweiz relevante Zustand.» Im charakteristischen Weiss, mit dem markanten Bug und dem futuristischen Turm sei sie als Symbol in den Köpfen verankert, und so müsse sie wieder inszeniert werden. Innen will Oberhänsli den Steuerstand und zwei Sitzreihen herrichten und die Forschungsgeschichte nachvollziehbar machen.

Dafür muss das Verkehrshaus aber noch eine rechte Summe auftreiben. Bisher wurden 400'000 Franken für Rettung und Transport ausgegeben, es braucht eine weitere Million, für die das privatwirtschaftlich getragene Museum auf Spenden angewiesen ist. Für die Spendenaktion half ein glücklicher Zufall. Bei einem Privatmann hatte ein Posten jener populären Plastikmodelle von 1964 die Zeit überdauert. Jetzt verkauft das Verkehrshaus die Bubenträume von damals als exklusive Raritäten für 350 Franken und hofft, auf diesem Weg einen Beitrag zur Restaurierung des «nationalen Kulturguts» zu erhalten.

Der Schweizer Tiefseepionier Jacques Piccard ist am 1. November 86-jährig gestorben. Sein Mésoscaphe hat im Verkehrshaus die letzte Bleibe gefunden. Bald wird sie auferstehen, als strahlende Ikone der Schweizer Industriegeschichte – und als Denkmal für ihren Schöpfer.