Energie der Zukunft?
Methanhydrat könnte das weltweite Energieproblem für viele Jahrhunderte lösen. In aller Welt tüfteln Forscher daran, wie man das «feurige Eis aus der Tiefe» fördern könnte. Doch die Nutzung der schier unerschöpflichen Energiequelle birgt auch grosse Risiken.
Veröffentlicht am 26. November 2010 - 11:33 Uhr
Tief in den Meeren lagert ein mysteriöser Stoff, der aussieht wie dreckiges Zitronensorbet. Holt man ein Stück des flockigen Eises an die Luft, löst es sich sofort schäumend und brodelnd auf. Zündet man den Klumpen hingegen an, brennt er lichterloh in gelben Flammen. Und das macht das seltsame Material äusserst interessant. «Methanhydrat kann unsere Erdgasversorgung für viele Jahrhunderte sicherstellen», ist Klaus Wallmann, Professor am Leibniz-Institut für Meereswissenschaften an der Universität Kiel, überzeugt.
Der Wissenschaftler erforscht das «feurige Eis aus der Tiefe» bereits seit Jahren. Derzeit sucht er im Rahmen des grossangelegten internationalen Projekts Submarine Gas Hydrate Reservoirs (Sugar) nach einem Weg, das Material effizient und sicher zu fördern. Methanhydrat besteht zur Hauptsache aus stark verdichtetem, gefrorenem Methan, das in Eis eingelagert ist. In einem Kubikmeter Methanhydrat sind sagenhafte 164 Kubikmeter brennbares Methan gebunden – jenes Gas also, das auch der Hauptbestandteil von Erdgas ist. Und das Beste: Methanhydrat kommt weltweit in gewaltigen Mengen vor – nicht nur im Meeresboden, sondern auch in den Permafrostböden der Arktis.
Bei tiefen Temperaturen und bei hohem Druck entsteht aus Wasser und Methan (CH4) Hydrat. Die Methanmoleküle sind dabei im Kristallgitter des Eises wie in kleinen Käfigen eingeschlossen. Das Gas selber stammt aus dem Abbau organischer Substanz durch Bakterien im Boden oder am Meeresgrund.
In den 1930er Jahren wurde Methanhydrat zum ersten Mal in «freier Natur» entdeckt – als das ungewöhnliche Mate-rial eine Gaspipeline verstopfte. In den 1960er Jahren stiessen Wissenschaftler dann zum ersten Mal auf Hydratvorkommen im Permafrostboden Sibiriens und Alaskas. Aus den Tiefen des Meeres holten Geophysiker erst 1980 ein kleines Stück herauf.
Bei der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko im vergangenen Sommer spielte Methanhydrat eine wichtige Rolle: Weil sich im Inneren der Absaugglocke Methaneis bildete, musste der erste Versuch, das ausströmende Öl einzufangen, abgebrochen werden.
Die Idee, die hinter dem Forschungsprojekt von Klaus Wallmann und seinen Kollegen steckt, klingt simpel: Man zapfe die Methanhydrat-Lagerstätte an, hole das Methan herauf und presse gleichzeitig unerwünschtes CO2, das etwa in einem Kohle- oder einem Gaskraftwerk abgeschieden wurde, in das Sediment hinunter. So könnte man eine beinahe unerschöpfliche Energiequelle nutzen – und dies erst noch mit einer neutralen Klimabilanz. «Prinzipiell funktioniert es», sagt Projektleiter Klaus Wallmann. Allerdings bisher nur im Labor; Feldversuche sollen erst in einer zweiten Phase gemacht werden.
Auch andere Forschungsgruppen interessieren sich für das Material. Um den vermeintlichen Schatz zu heben, geben Länder wie die USA, China, Japan oder Deutschland jährlich Forschungsgelder in Millionenhöhe aus. Erste konkrete Produktionstests laufen in der Prudhoe Bay in Alaska schon seit 2002. Ein von den USA unterstütztes Konsortium baut dort Methanhydrat ab, das in rund 100 Metern Tiefe im Permafrostboden der Tundra lagert. Verwendet werden mehr oder weniger die gleichen Methoden wie bei der konventionellen Erdgasförderung. Prinzipiell genügt es, die Schicht anzubohren, worauf sich das Eis unter dem Druckabfall zu zersetzen beginnt. Das Methan strömt automatisch hoch und muss nur noch gereinigt werden. Diese Art der Förderung soll nun effizient gestaltet werden.
«Sind die Tests erfolgreich, könnten erste kommerzielle Förderprojekte noch in diesem Jahrzehnt anlaufen», glaubt Wallmann. Und auch am Meeresgrund soll bald Methaneis abgebaut werden: Erste Produktionstests sind 2012 vor Japan geplant.
Bohrt man das Methanhydrat an, verflüchtigt sich unter dem Druckabfall Methan, das aufgefangen und abtransportiert wird. Um den Prozess zu beschleunigen, wird warmes Meerwasser nach unten gepumpt. Zugleich wird CO2 eingelagert. Methan kann wie herkömmliches Erdgas zur Stromgewinnung genutzt werden – dank der CO2-Einlagerung sogar klimaneutral.
Wird uns also bald eine neue, langfristig sprudelnde Energiequelle zur Verfügung stehen? Denn die globalen Methaneis-Vorräte sind riesig: Gemäss Schätzungen übersteigen sie die Menge des konventionellen Erdgases um das Doppelte bis das Zehnfache. Spezialisten des U.S. Geological Survey, einer Behörde des US-Innenministeriums, gehen gar davon aus, dass das Hydrat rund 1000 Jahre lang den gesamten Erdgashunger der Welt zu stillen vermag. Doch nicht alle Forscher sind so euphorisch.
Das Problem ist, dass das Methanhydrat nicht konzentriert in grossen Lagerstätten liegt, sondern relativ verstreut im Boden verteilt ist. Das weckt auch Zweifel: «Ich glaube eher nicht, dass sich ein Abbau im ganz grossen Stil lohnen würde», sagt Martin Heimann, Direktor des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie in Jena (D). «Zudem würde eine kommerzielle Förderung wohl bedeuten, dass der Meeres- oder der Permafrostboden tausendfach angebohrt und grossräumig platt gewalzt werden müsste – mit weitreichenden Folgen für die Ökosysteme.»
Energiehungrige Länder lassen sich von negativen Auswirkungen auf die Umwelt allerdings kaum abschrecken. Schon heute verwandeln die USA riesige Landstriche in tote Mondlandschaften, um aus Sand- und Schieferschichten Erdöl und Erdgas herauszupressen. Unter solch erschwerten Bedingungen gefördertes, sogenannt nicht-konventionelles Erdgas macht in den Vereinigten Staaten bereits 50 Prozent der gesamten Fördermenge aus.
Die Förderung und die Nutzung von Methanhydrat haben jedoch noch weitere Schönheitsfehler. Erstens fällt bei der Verbrennung genauso viel CO2 an wie bei normalem Erdgas. Befürworter der Methanhydrat-Förderung sehen darin aber kein Problem. Ein Teil des Methans wird nämlich infolge des Klimawandels sowieso in die Atmosphäre entweichen: Steigt die Wassertemperatur in den seichten Kontinentalabhängen (Schelfen) um nur ein Grad an, beginnt nach neuen Berechnungen bodennahes Methaneis grossflächig zu schmelzen, und das Gas gelangt in die Atmosphäre (siehe Artikel zum Thema «Methanhydrat: Eine Zeitbombe am Meeresgrund?»). Das würde die Klimaerwärmung noch beschleunigen, denn Methan ist 23-mal klimaschädlicher als CO2. Wenn man dieses freigesetzte Methan hingegen abfange und zur Energienutzung verbrenne, so die Befürworter, entweiche statt Methan «nur» CO2 in die Atmosphäre.
«Das Methan zu nutzen, bevor es in die Atmosphäre entweicht, wäre an sich sicher sinnvoll», sagt Martin Heimann. An die Machbarkeit glaubt er allerdings nicht. «Das Gas entweicht sehr diffus aus dem Schelfmeer und kann daher nicht grossflächig eingefangen werden.»
Das wohl grösste Hindernis für einen kommerziellen Abbau des Methanhydrats ist aber, dass die Förderung je nach Ort mit grossen Risiken verbunden sein kann. Was im schlimmsten Fall passieren könnte, zeigt eine Katastrophe globalen Ausmasses, die sich vor rund 8000 Jahren zwischen Norwegen und Island ereignete. Damals kollabierte innert kurzer Zeit ein rund 400 Kilometer langer Abschnitt eines unterseeischen Kliffs und stürzte in die Tiefe. Forscher der Universität Bergen, die die Meeresgegend untersuchten, gehen davon aus, dass der Hang abrutschte, weil das darin gebundene Methanhydrat auftaute. Normalerweise hält das Methaneis die Sedimente wie Zement zusammen. Doch schon eine relativ geringe Störung kann eine Kettenreaktion auslösen, die das gesamte Methanhydrat in einem Hang schmelzen lässt.
Viele Forscher glauben, dass auch das Anbohren von Methaneis-Schichten solche Ereignisse zur Folge haben könnte. Denn dummerweise finden sich die meisten Methaneis-Vorräte an den Kontinentalabhängen. Gerhard Bohrmann, der am Sugar-Projekt arbeitet, ist sich der Gefahren bewusst: «Wenn man das Methanhydrat in Abhängen aus den Poren der Sedimente herauslöst, kann es tatsächlich zu Rutschungen kommen», so der Professor vom Zentrum für Marine Umweltwissenschaften an der Universität Bremen. Ob sich dabei tatsächlich auch grossflächige unterseeische Bergstürze ereignen könnten, ist unklar.
Die grössten Vorkommen von Methanhydrat finden sich an den Kontinentalabhängen (Schelfen) ab einer Tiefe von rund 300 bis 400 Metern unter Meer. Dort lagert das Methaneis in den oberen Sedimenten, die einige hundert Meter dick sein können. In den permanent gefrorenen Tundraböden der Arktis (Permafrostböden) findet sich das Hydrat schon ab einer Tiefe von 100 Metern.
Doch Bohrmann und seine Forscherkollegen arbeiten bereits an der Lösung des Problems. Sie glauben, dass der Untergrund stabil bleibt, wenn man bei der Gashydrat-Förderung gleichzeitig CO2 in das Sediment hineinpumpt. Das Kohlendioxid lagert sich wie das Methan in die Eisschicht ein und verfestigt sich. Damit bleibt die Schicht stabil.
Aufsteigen und entweichen kann das CO2 somit nicht mehr – weshalb sich die Hydratschichten nach Meinung der Forscher hervorragend als Lagerstätten für das unerwünschte Treibhausgas eignen würden – besser noch als ausgeförderte konventionelle Öl- oder Gaslagerstätten. Dort nämlich kann das Kohlenstoffdioxid nur als Flüssigkeit eingelagert werden. In dieser Form ist es chemisch aggressiv und kann viel besser entweichen.
Klaus Wallmann vom Sugar-Projekt ist überzeugt, dass die CO2-Einlagerung allgemein Zukunft hat: «Kohlenstoffdioxid wird schon seit 1996 im Sleipner-Gasfeld vor Norwegen in industriellem Massstab eingespeichert», sagt er. «Allein die EU investiert in den nächsten Jahren mehrere Milliarden Euro in die Technik.» Er geht davon aus, dass die CO2-Abscheidung und -Speicherung spätestens ab 2020 eine wichtige Rolle spielen und bis dann auch von der Politik verlangt werden wird.
Derweil experimentiert neben Sugar ein zweites Konsortium mit dem Einlagern von CO2 in Methanhydrat-Schichten. In Alaska baut der Energiekonzern Conocophillips Methaneis ab und pumpt Kohlendioxid in den Untergrund. Zwar rentiert diese Art der «klimaneutralen» Energieproduktion noch nicht. Doch der Konzern ist sich sicher: «Methanhydrat hat ein signifikantes Potential, die Welt mit sauberer fossiler Energie zu bedienen.» Das Ziel ist klar: 2015 will Conocophillips mit der kommerziellen Förderung beginnen.