Im Büro von Ueli Grossniklaus stehen zwei leere Flaschen Champagner. Eine grosse, zwei Liter. Und eine kleine, 7,5 Dezi. «Champagner trinken wir, wenn wir einen Durchbruch erleben», sagt der Molekularbiologe und Professor an der Universität Zürich. Er blickt zu den staubigen Flaschen und grinst schief. «Das kommt leider nicht so oft vor.» Der Korken der grossen Flasche knallte vor 14 Jahren.

Ueli Grossniklaus will die Landwirtschaft revolutionieren. Seit 1994 versucht er, Nutzpflanzen zu züchten, die sich asexuell durch Samen vermehren. Die sich also selber klonen, statt dass sie ihr Erbgut mit dem von anderen Pflanzen vermischen.

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Visionär für die Landwirtschaft

Das Zauberwort dafür ist Apomixis. Einige hundert Pflanzen vermehren sich von Natur aus schon so, etwa Löwenzahn oder Brombeeren. Leider gehören Hirse, Mais, Reis oder Weizen nicht dazu. Wenn Grossniklaus diese Nutzpflanzen dazu bringen könnte, sich apomiktisch fortzupflanzen, würde das in der Welt des Ackerbaus ein kleines Erdbeben auslösen. Die Sortenzucht wäre unglaublich viel einfacher. Und selbstversorgende Bauern in Entwicklungsländern hätten plötzlich Zugang zu Hochertragssorten, wie sie bei uns wachsen.

Zudem müssten sie nicht jedes Jahr neues Saatgut kaufen, sondern könnten gewonnene Samen wieder ansäen. «20 bis 50 Prozent zusätzlich könnten sie so jährlich vermutlich ernten», sagt Grossniklaus. «Das ist viel, wenn ein wenig mehr Ertrag bereits genügt, um ein zweites Kind in die Schule zu schicken.»

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Grossniklaus weiss, wie hart ein Bauernleben sein kann. Er ist in Beatenberg im Berner Oberland aufgewachsen, auf einem kleinen Hof, mit fünf Geschwistern. Zwei Zimmer, acht Personen. «Wir hatten ein paar Milchkühe, ein paar Geissli. Sonst nichts.» Den ganzen Sommer über waren die Kinder damit beschäftigt, genügend Heu für den Winter einzubringen. In den steilen Hängen konnte man kaum Maschinen einsetzen.

«Wir haben genau so viel erwirtschaftet, dass wir überleben konnten», sagt Grossniklaus. «So zittert sich heute ein Grossteil der Bauern auf der Welt durch die Jahre.» Die Erinnerung an den Knochenjob ist mit ein Grund für seinen eisernen Durchhaltewillen. Sein Ziel ist zu wichtig, als dass er die Geduld verlieren könnte.

Ein Grund, warum seine Forschung so schwierig ist, ist die schiere Anzahl Gene der Pflanzen. Mais hat rund 40'000, nur ein paar davon steuern die Fortpflanzung. Um diese zu finden, musste er unzählige Pflanzen verändern, kreuzen und analysieren. «Wir sind auf der Suche nach der Nadel im Heuhaufen.»

«Einmal haben wir 60'000 verschiedene Maiskolben einzeln geöffnet, um zu gucken, wie die Samen darin aussehen.»

 

Ueli Grossniklaus, Molekularbiologe

Seine Motivation ist nicht nur selbstlos. Wenn Ueli Grossniklaus von Fortpflanzung erzählt, sprudelt es nur so aus ihm raus, die Vokale trotz Jahrzehnten in Zürich durch den Berner Akzent lang gezogen. Manchmal ist ihm schwer zu folgen: Er spricht mit akademischer Selbstverständlichkeit von Meiose, F1-Hybriden und triploiden Apomikten. «Ich will herausfinden, wie das Leben funktioniert», erklärt er. «Es ist etwas vom Faszinierendsten, dass aus einer Eizelle etwas so Komplexes wie ein Tier, eine Pflanze oder ein Mensch entsteht, mit Millionen Zellen, jede für sich mit Hunderten Funktionen.»

Im schwülheissen Gewächshaus im Botanischen Garten Zürich zeigt er auf grüngelbe Mini-Maispflanzen, die in roten Töpfen wachsen. «Einmal haben wir 60'000 verschiedene Maiskolben einzeln geöffnet, um zu gucken, wie die Samen darin aussehen.» Unter seinen Füssen lagern etwa drei Tonnen Mais, in einem kühlen Keller, der nach Mottenkugeln riecht. Alles Kreuzungsversuche der letzten 23 Jahre.

Kein Profit für Saatgutmultis!

Beharrlich ist Grossniklaus auch bei der Finanzierung seines Projekts. Nicht nur Forscher haben Interesse an Apomixis, sondern auch Saatgutmultis wie Monsanto oder Syngenta. Falls die Patente in ihre Hände kämen, würden sich ihre Koffer rapide füllen. Für die Kleinstbauern würde sich aber kaum etwas ändern.

Deshalb verweigert Grossniklaus jede Zusammenarbeit mit Agrokonzernen, wenn sie ihm nicht garantieren, dass die Technologie dereinst für den humanitären Einsatz frei zugänglich ist. Etwa durch Zuchtzentren in Entwicklungsländern. Das erschwert die Finanzierung deutlich. «Als wir das erste Mal mit den Anwälten einer Saatgutfirma verhandelten, dauerte es drei Jahre», sagt Grossniklaus. «Aber ich will nicht, dass die grossen Saatgutmultis profitieren – und Leute, die es wirklich brauchen, nicht.»

Aus diesem Grund hat er mit anderen Apomixisforschern bereits 1998 die «Bellagio Apomixis Declaration» initiiert. Forscher, die unterschreiben, verweigern Geld von Saatgutfirmen, die die Technologie nicht für humanitäre Zwecke teilen wollen.

Wieder im Büro, schweift der Blick des Forschers zurück zum Champagner. Wann wird er die bisher grösste Flasche öffnen? Erste Erfolge können Grossniklaus und sein 50-köpfiges Team bereits vorweisen. Vor zwei Jahren zeigten sie, dass asexuelle Vermehrung die Leistungsfähigkeit der Pflanzen nicht beeinträchtigen würde. Er sagt: «Bis zur Pensionierung in zwölf Jahren erwarte ich, dass wir einen ersten Prototyp haben.»

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