Kryonik – eisgekühlt in die Zukunft
Patrick Burgermeister will in der Schweiz eine Lagerstätte für Kryoniker bauen – Menschen, die sich nach dem Tod einfrieren lassen.
Veröffentlicht am 22. Dezember 2017 - 12:08 Uhr,
aktualisiert am 22. Dezember 2017 - 11:48 Uhr
Sie sind offiziell tot. Doch die Organisationen, die ihre Körper lagern, nennen sie «Patienten». Bis jetzt gibt es weltweit drei Schweizer «Patienten», die in Kryonik-Tanks hängen, kopfüber in flüssigem Stickstoff, bei minus 196 Grad. Kopfüber, weil so das Hirn als Letztes auftaut, falls es mit den Tanks Probleme gibt.
Nur von einem Schweizer, Patient Nummer 86 des Cryonics Institute in Michigan, sind Name und Alter bekannt. Ali, 27 Jahre.
Ali starb vor neun Jahren an Leukämie. Der Nanotechnologie-Student an der Universität Basel wollte eine Chance haben, zu leben, obwohl er todkrank war. «Stellen Sie sich vor, in der Zukunft gäbe es die Möglichkeit, Leukämie zu besiegen», sagt Molekularbiologe Patrick Burgermeister. «Zum Beispiel mit Nanomedizin. Winzig kleine Roboter würden die Krebszellen im Blut abtöten und den Körper von innen wieder aufbauen. Wenn Ali 100 Jahre später geboren worden wäre, hätte er überleben können.»
Um einen Todkranken wie Ali in eine Zukunft zu befördern, in der er geheilt werden kann, sieht Burgermeister nur eine Chance: die Kryonik. Jemanden einzufrieren, pflegt er zu sagen, ist wie eine «Ambulanz in die Zukunft».
Es ist auf den ersten Blick einfach, den Basler als Spinner abzutun. Dagegen spricht aber erstens sein Fachwissen: Der Molekularbiologe arbeitet seit 15 Jahren in der pharmazeutischen Innovation und beschäftigt sich intensiv mit biomedizinischer Forschung.
Zweitens gibt er offen zu, dass Zweifel an der Kryonik berechtigt sind. «Ich bin Wissenschaftler und muss sagen: Es ist unwahrscheinlich, dass ein eingefrorener Mensch in der Zukunft wieder aufgetaut werden kann. Aber auch wenn die Chance nur fünf Prozent beträgt, ist das schon besser als null.»
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Doch die wissenschaftliche Vorsicht kann seine Begeisterung nicht dämpfen. «Die Medizin hat schon enorme Sprünge gemacht», sagt er. «Zwei grosse Killer des 20. Jahrhunderts, Pocken und Tuberkulose, haben wir besiegt. Hepatitis, gewisse Krebsarten und HIV sind behandelbar geworden. Die Kindersterblichkeit wurde zumindest in der westlichen Welt massiv reduziert. Die nächsten grossen Todesursachen werden auch nicht mehr lange standhalten.»
Doch: Ist der Tod nicht einfach ein natürlicher Vorgang? «Der Lebenserhaltungstrieb ist der stärkste Trieb, den der Mensch hat», sagt er. Erst mit schwerer Krankheit, Schmerzen oder unerträglichen Altersgebrechen sei ein Mensch bereit zu sterben. Wenn aber die Medizin Gesundheit garantieren könnte, falle diese Bereitschaft weg. «Junge Menschen verdrängen die eigene Endlichkeit. Ältere und Kranke lernen sie zu akzeptieren. Kryonik bietet eine dritte Möglichkeit: dagegen anzukämpfen.»
Vor zweieinhalb Jahren hat der Basler den Non-Profit-Verein CryoSuisse gegründet. Sein längerfristiges Ziel ist es, eine Schweizer Lagerstätte für tiefgefrorene Patienten zu errichten. Bis jetzt gibt es weltweit drei Möglichkeiten: die zwei Non-Profit-Organisationen Alcor und Cryonics Institute in den USA sowie KrioRus in Russland. Rund 350 Menschen weltweit sind nach ihrem Tod eingefroren worden, bei den meisten der vollständige Körper, bei einigen wenigen nur der Kopf. Ihr Hirn soll in ferner Zukunft in einen komplett neuen Körper implantiert werden.
Wenn Kryoniker in der Schweiz sterben, ist das Prozedere langwierig. Weil es hierzulande kein Kryonik-Team gibt, muss eine spezielle Ambulanz schon im Vorfeld von England in die Schweiz fahren, um die Menschen möglichst sofort nach dem Tod zu behandeln. Denn nach ein paar Minuten setzt bereits der Verfall ein.
Das Team kühlt den Körper mit Eisbeuteln und ersetzt Blut und Wasser durch Frostschutzmittel. So bilden sich keine Eiskristalle im Gewebe. Danach wird die Temperatur heruntergefahren. Vitrifizierung nennt sich der Prozess – am Schluss ist der Körper gelblich, hart und fest, wie dickes Glas. «Der Pausenknopf wurde gedrückt», sagt Burgermeister.
Wenn der Körper genügend gekühlt ist, wird er auf Trockeneis gelegt und in die USA oder nach Russland geflogen. Eine Schweizer Non-Profit-Lagerstätte würde vieles vereinfachen – auch für Kryoniker aus dem restlichen Europa. «Die Schweiz ist politisch sehr stabil und nicht erdbebengefährdet», sagt Burgermeister. Zudem gebe es Gaslieferanten in der Nähe, die Flüssigstickstoff liefern könnten. Burgermeister hat schon alte Militärbunker und ein unterirdisches ehemaliges Armeespital begutachtet. Noch hat er keinen passenden Ort gefunden.
Kryonik ist nicht billig. Den Kopf einfrieren zu lassen kostet rund 30'000, den ganzen Körper bis zu 200'000 Dollar. Damit Kryonik nicht nur ein Luxus für Reiche ist, hat sich Burgermeister um eine Versicherungslösung bemüht. Bei Swiss Life können Interessierte eine sogenannte Risikolebensversicherung abschliessen und eine Kryonikorganisation begünstigen. Wer früh anfängt, zahlt so ein paar hundert Franken pro Jahr.
Und, wird sich Burgermeister auch selbst einfrieren lassen? Er ziert sich etwas, dann gibt er zu: «Ich habe noch keinen Kryonikvertrag.» Einerseits weil er daran arbeitet, die Schweizer Lösung in den nächsten Jahren aufzubauen. Anderseits weil sich der sonst so nüchtern wirkende Biologe ein kleines Gruseln nicht verkneifen kann. «Kryonik ist zu wichtig, als dass man es nicht macht», sagt er. «Aber ich denke nicht gern daran.»