«Die Wyssi Frau trägt heute Schwarz»
Hans Hostettler arbeitet in der Blüemlisalphütte – und erlebt täglich am eigenen Leib, wie die steigenden Temperaturen das Leben im Hochgebirge verändern.
Aufgezeichnet von Felix Ertle:
Als Bergsteiger bin ich dem Tod schon oft von der Schippe gesprungen. Lawinen, Steinschläge, Berggewitter. Das hat mir schon früh gezeigt: Du kannst die Natur nicht kontrollieren. Und sie verändert sich in den letzten Jahren hier oben dramatisch schnell. Wegen des Klimawandels.
Ich kam 1978 als junger Bergsteiger das erste Mal auf die Blüemlisalp. Der Weg vom Morgenhorn zum Gipfel der Blüemlisalp verlief damals über eine meterhohe Schneedecke, über die Wyssi Frau. Der Gletscher, der damals bis direkt hinter die auf rund 2840 Meter gelegene Blüemlisalphütte reichte, machte seinem Namen alle Ehre. Heute aber ist der Schnee praktisch weg. Die Wyssi Frau trägt Schwarz.
Wo ist das Wasser?
2008 wurde ich Hüttenwart auf der Blüemlisalp. Hier oben galt damals und erst recht heute: ohne Wasser kein Hüttenbetrieb. Die schwindenden Gletscher machen uns hier oben das Leben schwer. Vor meiner Zeit als Hüttenwart floss das Schmelzwasser auch im Sommer direkt vor unsere Haustür. Es wurde einfach in das nahe gelegene Reservoir geleitet.
Inzwischen läuft es weit weg von der Hütte ab. Da muss man kreativ werden, um es auffangen zu können. Die letzten Jahre haben wir mit einer riesigen Plane direkt am Gletscherrand das Schmelz- und Regenwasser gesammelt. Doch in den letzten Sommern regnete es so wenig, da half auch die Plane nicht mehr.
Zweimal haben wir nun den Winterschnee mit weissem Vlies abgedeckt. Um die Sonne zu reflektieren und den Schnee kühl zu halten. Uns blieb etwas mehr Schnee für den Sommer. Der Materialaufwand war aber enorm. Und das Vlies nach der Saison unbrauchbar.
In absoluten Notfällen könnte ich Wasser mit dem Helikopter hinauffliegen lassen. Oder mit einer Dieselpumpe von einem kleinen Gletschersee weiter unten hinaufpumpen. Beides ist aber ziemlich aufwendig und schadet der Umwelt.
Bodenschichten tauen auf
Wassermangel ist nicht die einzige Sorge hier oben. Neulich unterhielt ich mich mit ein paar Geologinnen und Geologen aus Freiburg, die die Bodentemperaturen in den Bergen messen. Sie stiessen erst fünf Meter unter der Erdoberfläche auf gefrorene Bodenschichten, also Permafrost. Anfang der Neunziger lagen sie hier noch 50 Zentimeter unter der Oberfläche.
Das ist ein grosses Problem. Denn der Dauerfrost hält die Berge ab 2500 Meter Höhe stellenweise zusammen wie Kleber. Doch der fliesst durch die Hitze weg. Und wenn die Felsschichten nicht optimal sind, bröckelt auch mehr ab. Einer der Zugänge zur Fründenhütte, einer unserer Nachbarhütten, ist bereits geschlossen. Sie ist nur noch via Fründenschnur erreichbar. Schwierig zu sagen, wie weit das gehen wird.
Vor einer ungewissen Zukunft
Wie gesagt, du kannst die Natur nicht kontrollieren. Hier oben müssen wir uns anpassen, nicht umgekehrt. Ich sehe die Zukunft der Hütte aber positiv. Wir haben dieses Jahr eine 600 Meter lange Leitung von der Wildi Frau – sie liegt gleich neben der Wyssi Frau – montiert. Damit können wir das Schmelzwasser dort abfangen, wo es abfliesst.
Nächstes Jahr wird die Sektion Blümlisalp mit meinem Nachfolger Trocken-WCs einbauen. Dann benötigen unsere Gäste nur noch 25 statt 55 Liter pro Übernachtung. Und es wird ein weiterer Wassertank eingebaut. Dann sollte das gesammelte Wasser auch für Trockenperioden reichen. Mindestens für die nächsten sieben Jahre sollte das Problem dann gelöst sein. Aber dann? Keine Ahnung.
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